Bonn. Zustellung binnen zwei Stunden bleibt Ausnahme, Lebensmittellieferungen werden ein großes Thema: Post-Chef Frank Appel wagt Prognosen.

Post-Tower in Bonn, 40. Stock. In seinem gläsernen Chefbüro kann Frank Appel weit übers Land blicken. Der 56-Jährige versprüht Gelassenheit. Er kommt gerade aus dem Urlaub – und es läuft rund im Unternehmen. Das Paketgeschäft brummt. Der Aktienkurs der Deutschen Post DHL Group befindet sich auf Rekordniveau. Welche Pläne der Vorstandsvorsitzende verfolgt und wohin er den Logistikkonzern mit weltweit 510.000 Beschäftigten steuern will, verrät er im Gespräch mit dieser Redaktion.

Herr Appel, sind Sie dieser Tage manchmal froh, nicht Chef eines deutschen Automobilkonzerns zu sein?

Frank Appel : Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Mich beschäftigt aber, dass sich durch die aktuellen Ereignisse das Ansehen von Unternehmen insgesamt verschlechtern könnte. Das wäre bedauerlich, denn eigentlich hat sich durch die gewachsene Transparenz und die damit verbundene Kontrolle einiges verbessert. Doch die Wahrnehmung vieler Menschen ist nun, es gäbe mehr Fehlverhalten in den Chefetagen als früher.

Stehen Deutschlands Automanager zu Recht in der Kritik?

Appel : Klar ist: Wenn es Gesetze gibt, muss man sich daran halten. Daran führt kein Weg vorbei. Aber den Diesel pauschal zu verteufeln, ist auch keine Lösung. http://Deutsche_Post_stellt_neuen_Elektro-Transporter_vor{esc#211602743}[video]

Aber Sie haben doch für die Deutsche Post DHL Group frühzeitig eine Entscheidung gegen den Diesel getroffen und bauen nun den Elektrotransporter Streetscooter.

Appel : Das tun wir, weil wir keinen Anbieter gefunden haben, der unsere Bedürfnisse erfüllen konnte. Die Kapazität für Pakete war zu niedrig, während die Reichweite unsere Anforderungen übertraf. Außerdem steht außer Frage, dass es wichtig ist, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu verringern. Zudem ist der Elektroantrieb eine sehr gute Lösung für Stop-and-go-Betrieb. Eine Grundsatzentscheidung gegen eine bestimmte Antriebstechnik war das aber nicht.

Wie hoch ist der Anteil von Dieselfahrzeugen in der Flotte von Post und DHL?

Appel : Von unseren rund 50.000 Fahrzeugen hat derzeit noch der weit überwiegende Anteil einen Dieselantrieb. Aber wir stellen mit großem Tempo um. Ende dieses Jahres werden wir mit 5000 Streetscootern auf der Straße sein.

Verzeichnen Sie beim Streetscooter zusätzliche Nachfrage von externen Kunden?

Appel : Wir haben eine extrem hohe Nachfrage. Das ist eine Chance, die wir so nicht erwartet hatten. Erste Kunden wie den Energieversorger EnBW und den Großhändler Deutsche See gibt es schon. Ich bin mir sicher, dass im Laufe der kommenden Monate weitere hinzukommen werden. Wir produzieren schon länger in Aachen und fahren dort die Jahreskapazität auf 15.000 Fahrzeuge hoch. Zusätzlich planen wir mit einem weiteren Standort. Wo dieser Standort sein wird, werden wir bald bekannt geben.

Möchten Sie sich als Konkurrenz zu den etablierten Autokonzernen positionieren?

Appel : Unser Ziel ist, ein hochwertiges Fahrzeug zu produzieren, mit dem wir unsere eigenen ehrgeizigen Klimaschutz-Ziele erreichen können, das die Anforderungen unserer Zusteller erfüllt und das nicht teurer ist als die am Markt verfügbaren Produkte. Wenn es dafür auch extern eine Nachfrage gibt, werden wir diese auch bedienen. Wir stoßen genau im richtigen Zeitpunkt in eine Lücke. Die Preise für Batterien werden bald massiv fallen.

Rechnen Sie mit Fahrverboten für Diesel?

Appel : Ich erwarte zumindest nicht, dass es kurzfristig Fahrverbote für Lieferanten gibt. Die Konsequenz in unserer Branche wäre ja: Nur die Deutsche Post dürfte zustellen, weil wir die einzigen sind, die breit auf Elektrofahrzeuge setzen.

Amazon ist ein Kunde, in Teilen auch Konkurrent. Der US-Konzern baut ein eigenes Logistik- und Zustellnetzwerk in Deutschland auf. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Appel : Amazon ist für uns ein wichtiger Partner – und wird das auch bleiben. Wir wollen Amazon auf seinem Wachstumskurs begleiten und die Zusammenarbeit ausbauen. Dabei ist es das gute Recht von Amazon, selbst Dinge auszuprobieren. Unser Anspruch ist: die beste Qualität zu guten Preisen. Dass es noch viel Potenzial für neue Logistiklösungen gibt, zeigt das Beispiel Amazon Fresh. Hier liefern wir im Auftrag von Amazon frische Lebensmittel an Kunden im Großraum Berlin.

Wie wichtig wird das Lebensmittelgeschäft für DHL?

Appel : Ich bin überzeugt, dass sich das Angebot von Lebensmittellieferungen an die Haustür durchsetzen wird. Sie können bei unserem Lieferdienst Allyouneed Fresh schon jetzt mehr Produkte einkaufen als in jedem Supermarkt. Auch die etablierten Lebenmittelhändler wachen auf und sehen: Da passiert etwas.

Aber der Einkauf im Internet kostet meist noch mehr als im Supermarkt.

Appel : Viele Leute sagen: Zeit und Freizeit sind mir wichtiger, als ein paar Cent zu sparen. Darüber hinaus sind die Produkte bei uns oft frischer als im Geschäft, da wir direkt aus dem Lager zustellen und so Schritte in der Lieferkette sparen. Wir können die Menschen überzeugen, wenn sie positive Erfahrungen machen.

Wie wichtig ist es, dass DHL Pakete auch innerhalb von zwei Stunden zustellen kann?

Appel : Für solche Dienstleistungen gibt es derzeit eine überschaubare Notwendigkeit. Kunden, die beispielsweise ein neues Smartphone kaufen, sagen: Ich kann auch bis morgen warten. Wenn sie das Kabel für ihr Handy verloren haben, kann es natürlich dringender sein. Dennoch glaube ich, dass eine Zustellung innerhalb von zwei Stunden zunächst ein Nischenprodukt bleiben wird.

Wie wichtig sind die Paketboxen, die sich Kunden vor der Haustür aufstellen können?

Appel : Sie sind ein wichtiges Produkt für uns, weil es für unsere Kunden eine weitere Möglichkeit ist, ihr Paket bequem und einfach zu empfangen. Aber wir stellen fest, dass viele Menschen mit unserem Service schon so zufrieden sind, dass sie keinen eigenen Paketkasten vor ihrem Haus benötigen. Sie lassen sich ihre Bestellung zum Beispiel einfach in die Packstation oder an die Haustür liefern.

Gibt es auch für die Zustellung in den Kofferraum eines Autos tatsächlich Nachfrage?

Appel : Absolut. Das ist eine sehr wichtige Innovation, die vor allem von jungen Leuten sehr gut angenommen wird. Die Kofferraumzustellung gibt es in Stuttgart und Böblingen, Köln, Bonn und in Berlin. Wir werden das Angebot ausweiten.

Sie testen auch die Zustellung mit Drohnen. Ist das wirklich alltagstauglich?

Appel : Technisch ist die Zustellung per Drohne schon jetzt möglich. Die Drohne könnte beispielsweise eine Packstation ansteuern, einen Carport oder eine Terrasse. Wichtig ist, dass wir zeitnah staatliche Regeln für den Einsatz von Drohnen bekommen. Dazu gehört ein Nummernschild wie beim Auto, damit die Drohnen jederzeit identifizierbar sind. Und für den Betrieb von Drohnen sollte eine Lizenz wie ein Führerschein Pflicht sein.

Werden irgendwann Roboter die Paket- und Briefzusteller ersetzen?

Appel : Roboter werden in Zukunft wichtiger, aber es geht vor allem darum, dass sie unsere Mitarbeiter unterstützen und zum Beispiel im Lager schwere Gegenstände heben. Die Briefzustellung selbst ist so komplex, dass sie in absehbarer Zeit nicht von einem Roboter erledigt werden kann. Jeder Briefkasten ist anders, oft sind Namensschilder schlecht lesbar. Davon ist ein Roboter schnell überfordert.

Die Post will das Porto für alle Briefprodukte bis einschließlich 2018 stabil halten. Kommt 2019 eine Porto-Erhöhung?

Appel : Das wird sich im nächsten Jahr entscheiden. Dabei spielen Kriterien wie Kostensteigerungen und die Gehaltsentwicklung eine wichtige Rolle. Das Porto für den Standardbrief in Deutschland liegt unter dem europäischen Durchschnitt.

Sie sind seit fast zehn Jahren Post-Chef. Was kann Sie im Job noch überraschen?

Appel : Meine Arbeit macht mir großen Spaß, und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich etwas dazulernen kann. Und manches möchte ich auch noch mal neu lernen. In jungen Jahren habe ich mal Programmieren gelernt. Jetzt beschäftige ich mich wieder mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, weil diese Themen auch die Logistik wesentlich verändern werden.