Frankfurt/Main. Der Europäische Gerichtshof prüft, ob die EZB unzulässige Staatsfinanzierung betrieben hat. Was das heißt und was daraus folgen könnte.

Für die unvorstellbar hohe Summe von 60 Milliarden Euro kauft die Europäische Zentralbank (EZB) Monat für Monat Staatsanleihen der EU-Länder. Von Beginn an war das Kaufprogramm umstritten. Das Bundesverfassungsgericht scheint nun Zweifel zu haben, dass das Kaufprogramm mit dem Mandat der EZB vereinbar ist, und lässt diese Frage vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) klären.

• Was ist der Anlass für die Vorlage an den EuGH?

Verschiedene Kläger, darunter der frühere CSU-Vizechef Peter Gauweiler und AfD-Mitbegründer Bernd Lucke, haben gegen das Milliarden-Kaufprogramm geklagt. Sie glauben, dass die EZB damit nicht nur Geldpolitik, sondern Wirtschaftspolitik betreibt, indem sie Staaten finanziert. Das jedoch würde das Mandat der Notenbank überschreiten. Als deutsche Wähler und Steuerzahler sehen die Kläger sich in ihren Rechten verletzt, denn der Deutsche Bundestag habe dem nie zugestimmt. Deutschland hafte, wenn ein totaler Wertverlust der aufgekauften Staatsanleihen eintrete, argumentieren die Kläger. Das Risiko für den deutschen Staatshaushalt sei dadurch unverhältnismäßig hoch. „Das Bundesverfassungsgericht teilt unsere Meinung“, erklärte Gauweiler am Dienstag.

• Was kritisiert das Bundesverfassungsgericht an dem Programm?

Den Verfassungsrichtern erscheint das hohe Volumen als „unverhältnismäßig“, außerdem vermissen sie die Bereitschaft der EZB, laufend zu überprüfen, ob es noch erforderlich ist. Geklärt werden müsse auch, ob mit den Anleihenkäufen nicht verbotenerweise Staaten finanziert würden.

• Warum entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht allein?

Fragen, die das europäische Recht betreffen, entscheidet nicht ein nationales Gericht, sondern der Europäische Gerichtshof. Er soll nun die Frage klären, ob die EZB gegen europäisches Recht verstößt und tatsächlich Staatsfinanzierung betreibt. Auf der Basis der EuGH-Einschätzung wird anschließend das Bundesverfassungsgericht die Klagen weiter behandeln.

• Wie sieht das Anleihekaufprogramm der EZB aus?

Die EZB unter Präsident Mario Draghi kauft über die Notenbanken des Eurosystems – also etwa die Bundesbank – Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Volumen von monatlich 60 Milliarden Euro. Zwischen März 2015 und Ende Juli hat sie Wertpapiere im Volumen von 2,01 Billionen Euro erworben. Das Programm soll bis mindestens Ende dieses Jahres laufen. Beobachter rechnen damit, dass es danach in langsamen Schritten zurückgefahren wird.

• Gibt es Vorgaben für das Programm?

Vor zwei Jahren hatte der EuGH eine Entscheidung zur Rechtmäßigkeit des sogenannten OMT-Programms (Out-right Monetary Transactions) gefällt. Dieses Programm hatte die EZB auf dem Höhepunkt der Eurokrise angekündigt. Danach wollte sie im Notfall am Sekundärmarkt Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen, um diese zu stützen. Das Programm ist nie angewendet worden, allein die Ankündigung reichte aus, um die Märkte zu stabilisieren. An diesen Kriterien, die der EuGH damals aufstellte, müsse sich das laufende Kaufprogramm der EZB ausrichten, meinen die Bundesverfassungsrichter.

• Welche Kriterien sind das?

Die EZB darf den Staaten nicht direkt Anleihen abkaufen, sondern diese nur am Sekundärmarkt erwerben, also von Banken oder anderen Investoren. Diese müssen ein bestimmtes Rating haben, Schrottanleihen darf sie nicht erwerben. Außerdem darf sie nur einen bestimmten Prozentsatz der Anleihen eines Landes kaufen – mehr als ein Drittel sind nicht erlaubt.

• Gibt es Grenzen für dieses Programm?

Grenzen ergeben sich allein aus der Verfügbarkeit ausreichender Papiere. Die Grenze von einem Drittel ist bei deutschen Staatsanleihen schon bald erreicht. Sie gelten als besonders sicher. Deshalb könnten der EZB bald die nötigen Papiere ausgehen. Schon jetzt sei das Eurosystem, also die EZB und die Notenbanken des Euroraums, zum größten Anleihegläubiger der Euroländer geworden, mahnt etwa Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bun­desbank. Angesichts dieser Kritik könnte es schwerfallen, die Ankauf-Obergrenze von einem Drittel nochmals anzuheben.

• Was will die EZB mit dem Kaufprogramm erreichen?

Wenn die Notenbank Wertpapiere aufkauft, sinkt deren Zinsniveau. Staaten und Unternehmen können sich also billiger mit Geld versorgen. Die Geldschwemme soll auf diesem Weg die Konjunktur im Euroraum ankurbeln. Denn die Banken, denen die EZB die Anleihen abkauft, verfügen dann über mehr Liquidität, um Kredite zu vergeben an Unternehmen und Verbraucher. So kommt die Wirtschaft in Schwung, es entstehen neue Arbeitsplätze, das Lohnniveau und damit die Inflation können steigen. Die EZB möchte eine stabile Währung erhalten, als stabil definiert sie eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent. Sinken die Preise jedoch kontinuierlich, hat sie Sorge, dass die Verbraucher und Unternehmen zögerlich agieren und ihre Käufe und Investitionen verschieben in Erwartung weiter sinkender Preise.

• Hat das Kaufprogramm schon gewirkt?

Die EZB meint Ja, denn die Konjunktur im Euroraum erholt sich – nicht nur in Deutschland, wo die Wirtschaft inzwischen boomt, sondern im gesamten Euroraum. Selbst in den Krisenländern des Südens – etwa in Portugal – gibt es deutliche Zeichen der Erholung. Auch die Inflation ist zuletzt leicht gestiegen.

• Wie geht es nun weiter?

Das Bundesverfassungsgericht hat den EuGH um ein „beschleunigtes Verfahren“ gebeten; ob das so kommt, ist noch nicht klar. Selbst dann könnten bis zu einer Entscheidung in Luxemburg mehrere Monate vergehen. Bis dahin hat die EZB vielleicht schon den allmählichen Ausstieg aus dem Kaufprogramm beschlossen, ein Urteil käme also zu spät. Der EuGH entscheidet zudem meist sehr europafreundlich. Er könnte vor allem argumentieren, dass wegen der Deflationsgefahren, die einige Zeit bestanden haben, die Zielsetzung des Programms währungspolitisch war und nicht wirtschaftspolitisch. Ob die Luxemburger Richter sich also der Einschätzung der Karlsruher Richter anschließen, ist fraglich.

• Welche Folgen hat ein negatives Votum des EuGH?

Dann könnten die Verfassungsrichter zu dem Schluss kommen, dass die Deutsche Bundesbank – denn nur für den deutschen Part können sie entscheiden – nicht mehr am Anleihekaufprogramm teilnehmen darf. Die aber steht für gut ein Viertel des Eurosystems, damit würde das Anleihekaufprogramm entsprechend kleiner ausfallen. Zudem hätte ein solches Votum ohne Zweifel Auswirkungen auf den gesamten Euroraum.

• Was sagt der Finanzminister?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat die Anleihenkäufen gegen die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts verteidigt. Auf einer Veranstaltung in Berlin bezog Schäuble Stellung gegen von den Richtern geäußerte Zweifel daran, dass die EZB sich mit den Käufen noch im Rahmen ihres Mandats bewegt habe. „Ich teile die Meinung nicht“, sagte Schäuble dazu. „Ich glaube, dass das Mandat eingehalten ist“, unterstrich er. Die EZB schöpfe ihre Möglichkeiten aus, um ihre „höllisch“ schwierige Aufgabe einer Geldpolitik für viele unterschiedliche Länder zu erfüllen.