Berlin. Immer mehr Menschen fahren mit der Bahn. Der Konzern lockt mit stabilen Preisen. Der Verkehrsclub sieht die Preispolitik skeptisch.

Der Himmel gestattet in diesen Tagen einen weiten Blick über die Stadt. Aus dem 26. Stockwerk des Bahntowers am Potsdamer Platz kann Richard Lutz auch die vielen Bahntrassen sehen, die durch die Hauptstadt führen. Gut zwei Monate führt der Bahnchef den Konzern nach dem überraschenden Rücktritt seines Vorgängers Rüdiger Grube. Nebenbei ist er auch noch Finanzvorstand. „Eigentlich genieße ich ja noch Welpenschutz“, sagt Lutz, weil kritische Fragen normalerweise erst nach 100 Tagen gestellt werden. Doch die erste Zwischenbilanz im kleinen Kreis sieht auch jetzt schon aus seiner Sicht erfreulich aus.

„Wir sind weiter im Aufwind“, stellt er fest, nachdem das vergangene Jahr nach einem Milliardenverlust wieder schwarze Zahlen brachte. Die Bahn steuert auf einen neuen Fahrgastrekord im Fernverkehr zu. Bis Ende April stieg die Zahl der Passagiere um drei Prozent an. Fast 2,4 Milliarden Fahrten waren es 2016. Bleibt es bei der Entwicklung, kommen 2017 noch einmal 70 Millionen Fahrten dazu. Ungeachtet aller Kritik an unpünktlichen Zügen oder mangelnder Informationen reisen oder pendeln immer mehr Menschen per Zug. Die Züge kommen dabei auch wieder pünktlicher ans Ziel.

Pünktlichkeitsquote bei 82 Prozent

Bis zum Himmelfahrtswochenende lag die Pünktlichkeitsquote bei 82 Prozent und damit über dem Ziel für 2017. Das kann sich schnell wieder ändern, denn mit dem Beginn des Sommers wird an den Strecken auch wieder mehr gebaut. Langsam kommt der 52-Jährige in der neuen Position an. Er erlebe auch nach 23 Jahren bei der Bahn nun vieles neu, erzählt er, zum Beispiel mit der Bundeskanzlerin im Regierungsflieger nach Saudi-Arabien zu fliegen. Sonst habe sich nichts geändert und das werde wohl auch so bleiben.

„Ich werde jetzt keine Revolution in Sachen Strategie anzetteln“, versichert Lutz. Das liegt auch auf der Hand, denn das derzeit laufende Sanierungsprogramm „Zukunft Bahn“ hat Lutz mit verabschiedet. Das Programm steht für eine Qualitätsoffensive mit neuen Angeboten, die am Ende mehr Kunden anlocken und so die Erträge verbessern soll. Dazu gehören auch stabile Preise. Regelmäßige Erhöhungen der Ticketpreise hält der Vorstand für nicht mehr durchsetzbar. Stattdessen will die Bahn die Kapazitäten besser auslasten. „Das funktioniert“, sagt er. In den ersten vier Monaten lag der Umsatz über den Planungen.

Verkehrsclub zeigt sich skeptisch

Im Gesamtjahr will die Bahn 41,5 Milliarden Euro erwirtschaften. Die Prognose könnte bald nach oben korrigiert werden. Der Ertrag sollte auf 2,1 Milliarden Euro steigen. Auch hier wird bei einem anhaltend guten Jahresverlauf eine höhere Zahl stehen.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) begrüßt die Preispolitik, zeigt sich jedoch skeptisch. „Ich hoffe, dass Herr Lutz die realen Preise meint, nicht den Normalpreis“, sagt der verkehrspolitische Referent Philipp Kosok. Denn auch über die Zahl der Tickets zum Sparpreis könnte der Durchschnittspreis angehoben werden.

So verteuern sich zum Beispiel die Tickets für Sonderaktionen im Sommer von 19 Euro auf 19,90 Euro oder von 29 Euro auf 29,90 Euro. „Das klingt wenig, sind aber schon wieder fast fünf Prozent“, rechnet Kosok vor.

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    Preissystem kaum zu durchschauen

    Der VCD kritisiert zudem, dass die Bahn Stammkunden aus den Augen verliere, unter anderem, weil das Preissystem mittlerweile kaum mehr zu durchschauen sei. Vielfahrer verwirre es, wenn die Tickets am Montag mehr kosten als am Dienstag. Da müsse ein transparentes System her. Zum Jahresende steht noch ein Großereignis an, dass der Bahn weitere Marktanteile im Reiseverkehr bescheren kann. Das letzte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit, die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen München und Berlin durch den Thüringer Wald, wird mit dem Fahrplanwechsel im Dezember eingeweiht.

    Zehn Milliarden Euro kostet der Bau. „Das bringt für 17 Millionen Deutsche bessere Verbindungen“, sagt Lutz, die größte Angebotsverbesserung der letzten 20 Jahre.“ Die täglichen Sprinter bewältigen die rund 600 Kilometer in vier Stunden. Das entspricht der Fahrtdauer, bei der normalerweise viele Fluggäste auf die Bahn umsteigen.

    Güterverkehr ist Sorgenkind

    Lutz wird wohl mehr als 100 Tage weitgehend in Ruhe gelassen. Denn in einem Wahljahr soll die Bahn aus Sicht der Eigner, dem Staat, traditionell keine Negativschlagzeilen liefern. Dabei gibt es noch ungelöste Aufgaben: Der Güterverkehr bleibt das Sorgenkind, auch wenn die Sparte von der guten Konjunktur, die zum Beispiel mehr Stahltransporte mit sich bringt, profitiert. Eine nachvollziehbare Strategie für das Cargogeschäft ist noch nicht erkennbar.

    Unbesetzt sind auch noch zwei neue Vorstandsposten für Technik und Digitalisierung. Eigentlich wollte der Aufsichtsrat die Stellen auf seiner nächsten Sitzung Ende Juni besetzen. Noch sind allerdings keine potenziellen Bewerber namentlich bekannt geworden. Nur, dass der Bund gerne eine Frau im Vorstand sehen würde, gilt als gesichert.