Berlin. Vattenfall steckt Millionen in eine Anlage, die Windenergie zu Fernwärme umwandelt. Zusätzlich sollen die Netze intelligent werden.

Gerade hat Vattenfall einen radikalen Schnitt vollzogen: In Deutschland trennte sich der schwedische Staatskonzern vom Braunkohlegeschäft und allen konventionellen Kraftwerken in Brandenburg und Sachsen sowie der Hälfte der Belegschaft. Jetzt will das Unternehmen runderneuert von der Energiewende profitieren, setzt auf erneuerbare Energien, Fernwärme und kleine dezentrale Anlagen zur Energieversorgung und investiert dafür einige Milliarden Euro. Auf einigen Geschäftsfeldern heißen die Konkurrenten allerdings nicht mehr Eon und RWE, sondern Amazon und Google.

Das Unternehmen will nicht nur in seinen Hauptmärkten Berlin und Hamburg, sondern bundesweit wachsen, wie Deutschland-Chef Tuomo Hatakka sagt. An manchen Stellen bremsen aber die politischen Rahmenbedingungen. Und auch ein Ende der Sparprogramme ist nicht abzusehen.

Wachstum vor allem außerhalb der deutschen Kernmärkte

Insgesamt will Vattenfall in den kommenden fünf Jahren allein in Deutschland umgerechnet jeden Tag weit mehr als eine Million Euro investieren, um nach dem Radikalumbau, dem sich auch andere einst große Energiekonzerne unterziehen, wieder vorne mitspielen zu können. Weitere Offshore-Windanlagen sind geplant. Einige Kraftwerke, etwa der braunkohlegefeuerte Teil von Klingenberg in Berlin, werden stillgelegt, andere auf Gas umgestellt, so dass sie deutlich weniger CO2 ausstoßen. Die Anlagen erzeugen nicht nur Strom, sondern auch Wärme für das Fernwärmenetz und sind wesentlich effektiver, als Kraftwerke, die nur Strom erzeugen.

Wachsen will Vattenfall bei der Zahl der Strom- und Gaskunden, vor allem außerhalb der klassischen Kernmärkte. Schon jetzt wohnen eine Million der insgesamt rund 3,4 Millionen deutschen Kunden nicht in Berlin oder Hamburg. Dass der Konzern dennoch Anfang April die Endkundenpreise erhöhte, erklärt Hatakka mit der regulierten Umlage für Erneuerbare Energien und den Netzentgelten, die deutlich gestiegen seien und auf die das Unternehmen keinen Einfluss habe.

Smart-Home-Lösungen noch nicht smart genug

Das Geschäft behindert das offenbar nicht: „Wir wachsen kontinuierlich im Endkundengeschäft, da wir trotz Erhöhung sehr attraktive Preise im Vergleich zum Wettbewerb haben“, sagt der Deutschland-Chef. Da einerseits die Steuern und Abgaben zwar stärker stiegen als die Großhandelspreise, andererseits Vattenfall aber in seinem Vertriebsgeschäft die Kosten reduzieren konnte, fiel die Preiserhöhung moderat aus.

Vattenfall drängt auch ins Geschäft mit Lösungen für das smarte Zuhause — intelligente Stromzähler, Lichtsteuerung per Smartphone-App, ferngesteuerte Heizungen. Hier wollen auch die Konkurrenten wie Eon und Innogy, die Zukunftstochter von RWE Geschäft machen, ebenso die Deutsche Telekom, und die US-Internetkonzerne Amazon und Google. Mit letzteren hat sich gerade Eon verbündet, um gemeinsam Daten auszuwerten. Genaue Kundenzahlen nennt Vattenfall nicht, sie dürfte überschaubar sein. Für Hatakka steht das Geschäft noch ganz am Anfang. Die Smart-Home-Lösungen seien noch nicht smart genug. „Aber die Lernkurven sind enorm und die angebotenen Produkte und Apps werden nahezu täglich besser.“

Fernwärmenetz wird mit Smart Metern aufgerüstet

Groß investieren will der Staatskonzern in den kommenden Jahren unter anderem in Fernwärme. In Berlin beginnt das Unternehmen noch im zweiten Quartal 18 bis 19.000 sogenannte Smart Meter im Netz zu installieren, zunächst vor allem bei Firmenkunden, meist große Wohnungsgesellschaften. Hamburg, wo das Fernwärmenetz etwa halb so groß ist wie in Berlin, soll zügig folgen. Abschließen will Vattenfall den Ausbau in den nächsten 18 bis 24 Monaten.

Mit den Smart Metern lässt sich der Wärmeverbrauch aus der Ferne ablesen. Zudem kann Vattenfall jede Menge Daten über das Verbrauchsverhalten sammeln und analysieren. „Wir fangen mit dem Ablesen an, wollen aber den Wärmefluss künftig auch steuern, um Wärmeverlust und unnötigen Wärmeverbrauch zu vermeiden.“ Hatakka sagt allerdings auch: „Wir verstehen noch nicht zu 100 Prozent alle Möglichkeiten, die diese digitale Infrastruktur uns bietet.“

30 Millionen Euro für eine Power-to-Heat-Anlage

Fernwärme spielt auch für erneuerbare Energien eine Rolle, die Vattenfall kräftig ausbaut. Mehr Windräder und mehr Fotovoltaikanlagen bedeuten auch mehr Strom, dessen Produktion allerdings anders als etwa bei einem Atom- oder Kohlekraftwerk schwankt — an Tagen mit viel Wind gibt es auch viel Strom. Schwierig ist bisher, ihn zu speichern. Das Fernwärmenetz sei ein sehr guter Speicher für Wärme, die aus Strom erzeugt wurde, sagt Hatakka.

In Berlin plant der Konzern eine sogenannte Power-to-Heat-Anlage in kommerzieller Größe. Im Prinzip ein riesiger Tauchsieder, der zukünftig den Windstrom aus Brandenburg nutzen kann, Wasser zu erhitzen und zu speichern – also eine klimafreundliche Nutzung von erneuerbarem Strom zur Wärmeerzeugung . „Die Technik ist bekannt und erprobt, aber gerade deswegen auch kurzfristig einsetzbar“, sagt Hatakka. Die Anlage soll eine Leistung von 120 Megawatt haben und zwischen 25 und 30 Millionen Euro kosten. Für Berlin schätzt Hatakka das Potenzial solcher Anlagen auf 400 bis 500 Megawatt, in Hamburg auf etwa die Hälfte.

Kritik an Förderpolitik der Bundesregierung

Eine andere Möglichkeit, Strom zu speichern, ist, mit ihm Wasser in einen Stausee zu pumpen. Bei Bedarf wird das Wasser dann abgelassen und erzeugt neuen Strom. Vattenfall ist der größte Betreiber von Pumpspeicherwerken in Deutschland mit insgesamt 2700 Megawatt Leistung, das entspricht der Kapazität von drei großen Kohle- oder Kernkraftwerken. Das Problem aber ist: Vattenfall verliert bisher Geld damit. Die Anlage im thüringischen Goldisthal, mit allein 1100 Megawatt die größte ihrer Art in Deutschland, schreibt im laufenden Betrieb rote Zahlen.

Hatakka kritisiert die Politik. „Es scheint so zu sein, dass die Politik mehr Interesse daran hat, neue Speicherlösungen in Form von Batterien zu fördern als existierende bedeutsame zu unterstützen.“ Er fordert zumindest attraktivere Rahmenbedingungen — etwa Entlastung bei den Netzentgelten. Solange die nicht kommt, müssen die Kosten anders sinken. Vattenfall arbeitet jedenfalls an einem Sparprogramm für seine Wassersparte in Deutschland. Einzelheiten will Hatakka nicht verraten. „Der Plan ist noch nicht konkret genug.“

Stellenabbau in der Verwaltung geplant

Konzernweit wird Vattenfall allerdings Stellen streichen, etwa in der Verwaltung. Die sei nach dem Verkauf des Braunkohlegeschäfts mit seinen 7000 Mitarbeitern überdimensioniert, sagt Hatakka. Zudem sollen einige Funktionen der Verwaltung an strategische Partner abgegeben werden, um so“ eine Automatisierung und Digitalisierung der Prozesse entsprechend der heutigen Anforderungen zu erreichen“.

Insgesamt 500 Mitarbeiter aus den Bereichen Personal, Finanzen und Einkaufwerden davon betroffen sein, in Deutschland etwa 200, 120 davon in Berlin, 80 in Hamburg. Insgesamt beschäftigt der Konzern in Deutschland noch rund 7500 Mitarbeiter. Gleichzeitig würden bei erneuerbaren Energien, für Digitalisierung und in den kundennahen Geschäften neue Mitarbeiter eingestellt. Denn: „Da wachsen wir stark.“ Und gerade bei der Digitalisierung fehlt auch noch etwas Knowhow.

EuGH rügt mangelnde Umweltprüfung in Hamburg

Ein großes konventionelles Kraftwerk hat Vattenfall erst vor kurzem in Betrieb genommen: Moorburg in Hamburg. Die Anlage wird mit Steinkohle betrieben und ist seit rund 18 Monaten am Netz. Moorburg leiste einen wichtigen Beitrag zu Versorgungssicherheit in Norddeutschland, sagt Hatakka. Finanziell ist die Anlage aber keine Erfolgsgeschichte: weil die Investitionsentscheidung in Zeiten vor der Energiewende hin zu weniger CO2 aus heutiger Sicht eher falsch war.

Zuletzt bemängelte der Europäische Gerichtshof, die Umweltprüfung durch die Hamburger Senatsverwaltung sei zu schlampig gewesen, die Auswirkungen auf die Fischfauna sei damals zu wenig geprüft worden. Nicht berücksichtigt ist, dass Vattenfall die größte Fischtreppe Europas als Ausgleichsmaßnahme vor den Toren Hamburgs an der Elbe baute.

Vattenfall verdient mit Moorburg im laufenden Betrieb Geld

Jetzt darf das Kraftwerk erst einmal kein Elbewasser mehr zur Kühlung verwenden. Hatakka ist aber zuversichtlich, dass das Kraftwerk weiterläuft — mit dem Hybrid-Kühlturm. „Der erlaubt den vollen kommerziellen Betrieb 365 Tage im Jahr — wenn der Markt da ist und die Preise gut genug sind.“ Das war zuletzt wegen des Überangebots an erneuerbarem Strom nicht immer der Fall.

Immerhin: Der laufende Betrieb wirft offenbar Geld ab. „Wir haben einen positiven Cash flow“, sagt Hatakka. Abschreibungen und Wertberichtigungen sind da nicht berücksichtigt. Weshalb auch Hatakka sagt: „Es ist eine Tatsache, dass Moorburg keine gute Investition für Vattenfall sein wird.“ Überlegungen, das Kraftwerk zu verkaufen, etwa an Uniper mit dem ehemaligen Kraftwerkspark von Eon, gebe es im Moment nicht.