Berlin. Spät und aus den Medien will Verkehrsminister Dobrindt von der Abgasaffäre erfahren haben. Erst dann sah er einen Handlungsbedarf.

Alexander Dobrindt ist zu früh dran. Um 15 Uhr am Donnerstag soll der Bundesverkehrsminister vor dem Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre aussagen. Aber die Bundestagsabgeordneten haben die Sitzung unterbrochen. Hinter verschlossenen Türen streiten sie, ob die Fragen von CDU und CSU an den anderen wichtigen Zeugen des Tages, Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD), noch der Sache dienen oder schon Wahlkampf sind. Dobrindt kauft sich erst einmal eine Brezel. Und damit die Fernsehteams, die ihn belagern, etwas zu tun haben, winkt er eine Schülergruppe heran: „Kommt, macht mal ein Selfie!“

Nette Bilder hat der ehemalige CSU-Generalsekretär also schon einmal produziert, da ist er Politprofi. Das Thema ist ja auch unangenehm: Dobrindt ist der Minister, der den Abgasskandal aufklären muss. Die Opposition unternimmt an diesem Tag alles, um ihm dabei Fehler und Nachlässigkeiten nachzuweisen. Aber auch die Koalition untereinander beharkt sich, der nahende Bundestagswahlkampf macht sich bemerkbar.

Sauber auf dem Prüfstand, dreckig auf der Straße

Rückblende: Im September 2015 war bekannt geworden, dass VW in einen bestimmten Typ eines Dieselmotors eine Software eingebaut hatte, die dafür sorgte, dass die Grenzwerte für das gefährliche Stickoxid nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Auf der Straße schaltete die Software die Abgasregulierung ab. Später wurden ähnliche Abschalteinrichtungen auch bei anderen Herstellern bekannt. Der Ausschuss soll klären, was die Bundesregierung unternahm, um die Abgaswerte einzuhalten und wann sie von den Manipulationen an den Motoren erfuhr.

Mehere Diesel-Modelle von VW lieferten im Straßenverkehr nicht die versprochenen Abgaswerte.
Mehere Diesel-Modelle von VW lieferten im Straßenverkehr nicht die versprochenen Abgaswerte. © dpa | Julian Stratenschulte

So dynamisch Dobrindt vor dem Sitzungssaal auftritt, so einschläfernd wirkt er dann, als er endlich hineindarf und zunächst einen mehr als halbstündigen Vortrag vorliest. Darin gibt er zu Protokoll, dass er selbst, sein Ministerium und alle Behörden erst am 19. September 2015 „aus den Medien“ von dem Skandal erfahren hätten. Selbstverständlich habe man „unmittelbar gehandelt“. VW sei zu einem Rückruf von 2,6 Millionen Autos gezwungen worden.

Deutschland ist angeblich vorbildlich, Italien eher nicht

Das Kraftfahrtbundesamt habe bei anderen Herstellern nach Manipulationen gesucht, sagt Dobrindt. Es werde unangemeldete „Dopingtests“ für Autos geben. Überhaupt sei nirgends so viel Aufwand wie in Deutschland getrieben, um Autos so sauber zu machen, wie sie sein sollen. „Kein anderes Land hat aus der Abgasaffäre so weitgehende Konsequenzen gezogen wie Deutschland“, lobt sich Dobrindt.

Ausführlich klagt der CSU-Politiker darüber, dass andere EU-Staaten – vor allem Italien – sich weigerten, die gesetzlichen Grundlagen für die Abgasreinigung zu verändern. Die EU-Verordnung, die verantwortlich ist, dass die Manipulation der Motoren noch immer nicht komplett verboten ist, müsse dringend verändert werden, sagt Dobrindt. „Der schlechteste Ingenieur kann für sich die meisten Ausnahmen in Anspruch nehmen“, sagt er. Das könne nicht Sinn der Sache sein.

Dobrindt: Fehler gab es vor dem Skandal nicht

Von Abschalteinrichtungen habe man nichts wissen können, versichert Dobrindt dem Ausschuss immer wieder. Daran hätten auch Hinweise von Umweltverbänden nichts geändert. Fehler habe es vor dem Skandal nicht gegeben. Die Behörden mussten sich an die Vorschriften zur Abgasprüfung halten und sie nicht infrage stellen.

Wenn Dobrindt beim ersten Zeugen des Tages dabeigewesen wäre, hätte er lernen können, dass die Abgasmanipulationen nicht ganz so überraschend kamen. Alois Krasenbrink heißt der Mann, der als Experte in einer Forschungsstelle der EU-Kommission in Italien arbeitet und Erstaunliches zu Protokoll gab: Schon vor zehn Jahren sei ihm bei Tests aufgefallen, dass Dieselautos die Grenzwerte für Stickoxide auf der Straße nicht einhielten.

Hinweise auf Tricks bereits 2007

2007 bis 2010 habe man verschiedene Fahrzeuge von verschiedenen Herstellern getestet, berichtete Krasenbrink. Jedes Mal das gleiche Ergebnis: „Die Fahrzeuge reflektierten auf der Straße nicht das, was man erwarten konnte, wenn man die Laborergebnisse sah“, sagt Krasenbrink. Betrug habe er damals nicht vermutet. Die Existenz von Abschalteinrichtungen sei ihm auch nicht bekannt gewesen.

Was der Experte auch sagt: Es sei relativ einfach gewesen, eine Software zu programmieren, die den Textzyklus bei der Abgasmessung erkenne – so wie es VW gemacht hat. Immerhin: Auf der Basis seiner Erkenntnisse wurde ab 2011 der Testzyklus entwickelt, mit dem Abgaswerte nun realistisch auf der Straße geprüft werden sollen.

VW-Aufsichtsratsmitglied Weil erfährt alles aus der Tagesschau

Auch VW-Aufsichtsratsmitglied Weil will von Abgasmanipulationen aus den Medien erfahren haben – und zwar aus der „Tagesschau“ am Abend des 19. Septembers 2015. Er habe die Nachricht „überhaupt nicht einordnen“ können, sagt Weil. Über das Wochenende habe es dann weitere Berichte gegeben. „Als ich am Montag noch immer keine Informationen von VW hatte, habe ich bei ihnen anrufen lassen, ob es nicht Zeit sei, mich zu informieren.“ Da hatte VW-Chef Winterkorn Minister Dobrindt schon unterrichtet.

Weil weist Vorwürfe von Piech zurück

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    Dass Weil und andere Mitglieder des VW-Aufsichtsrats schon früh von den Manipulationen gewusst haben sollen, wie Ex-VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig offenbar gesagt hat, weist Weil abermals scharf zurück. Er habe auch „nicht den leisesten Anlass“, irgendetwas zu vertuschen, sagt er. Sechs Menschen behaupteten inzwischen etwas anderes als Piëch, sagt Weil. „Sechs zu eins.“ Als ob das etwas beweist.

    CDU und CSU greifen vor allem SPD-Politiker Weil an

    Besonders CDU und CSU versuchen Weil an diesem Tag, mit Fragen zu VW zu piesacken, auch zu den hohen Vorstandsgehältern. Das sei außerhalb des eigentlichen Auftrags des Ausschusses, empört sich die SPD-Vertreterin Kirsten Lühmann mehrfach. Die Fragen seien ja „ total spannend“, täten aber nichts zur Sache. Das hin und her, bis die Sitzung unterbrochen wird.

    Nach der Befragung Weils stellt sich der CSU-Politiker Ulrich Lange vor die Presse und sagt, der Ministerpräsident, der dem Aussschuss versicherte, er könne kaum etwas zur Aufklärung beitragen, weil die Zulassung von Autos Bundesangelegenheit sei, selbst sagte sei „so nah dran“ an VW wie kein anderer und spiele eine „Schlüsselrolle“ bei der Aufklärung des Skandals. Lange wirft Weil vor, die Unwahrheit zu sagen: „Es ist kaum zu glauben, dass er von dem Skandal aus der ‚Tagesschau’ erfahren hat.“ Die SPD lobt Weil und fordert Piech auf, einen Beweis für seine Behauptung vorzulegen.