Wilhelm Schilling ist vom Berufsverband der Wirtschaftspsychologen. Im Interview spricht er über die Ausbildung und den Berufseinstieg.

Wilhelm Schilling ist Vorstandsvorsitzender der Sektion Wirtschaftspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Mit ihm sprach Yvonne Scheller.

Berliner Morgenpost: Herr Schilling, was genau kann ich mir unter Wirtschaftspsychologie vorstellen?

Wilhelm Schilling: Wirtschaftspsychologie ist ein Teilgebiet der Angewandten Psychologie und überträgt psychologische Erkenntnisse auf wirtschaftliche Fragen. Wirtschaftspsychologen sind Spezialisten für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen von Berufstätigen auf allen hierarchischen Ebenen, ohne dabei wirtschaftliche Kennzahlen außer Acht zu lassen. Ihr Tätigkeitsfeld liegt damit zwischen Wirtschaft und Sozialwissenschaften.

Welche Studiengänge bereiten auf den Beruf vor?

Schilling: Ich selbst bin Diplom-Psychologe. Ein Psychologie-Studium, vor allem in Kombination mit BWL als Nebenstudium oder ergänzenden wirtschaftswissenschaftlichen Kursen, bietet meiner Meinung nach eine gute Grundlage für diesen Beruf. Wichtig ist die Vermittlung des klassischen Handwerkszeugs: Diagnostik, Statistik und Grundlagen in der Analyse, um schnittstellenorientierte Arbeit leisten zu können. Andererseits: Wirtschaftspsychologie zu studieren, liegt klar im Trend.

Welchen Grund gibt es dafür?

Schilling: Das Verständnis vom Menschen in der Wirtschaft verändert sich. Das Bild des Homo oeconomicus (Nutzenmaximierer, Anm. d. Red.) etwa hat sich überlebt. Das Verhalten von Menschen ist abhängig von individuellen Vorstellungen, Wünschen oder Werten. Je nach Kontext ist Verhalten nicht pauschal vorhersehbar oder berechenbar. Für die daraus resultierenden Unsicherheiten werden Wirtschaftspsychologen geholt.

Wilhelm Schilling ist Vorstandsvorsitzender der Sektion Wirtschaftspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.
Wilhelm Schilling ist Vorstandsvorsitzender der Sektion Wirtschaftspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. © privat | privat

Zudem ändert sich aktuell das Verständnis von Führung: weg vom Entscheider und Antreiber hin zum Förderer und Unterstützer vor dem Hintergrund zunehmend flexibler Unternehmensstrukturen. Dies bedarf anderer Auswahlverfahren und Unterstützungsangebote für Führungskräfte. Ein Kernthema für Wirtschaftspsychologen.

Was zeichnet einen guten Wirtschaftspsychologen aus?

Schilling: Er muss sich auf Menschen, Per­spektiven und Auffassungen einstellen können, Zusammenhänge wahrnehmen und analytisch und zugleich empathisch agieren. Ein wesentlicher Aspekt seiner Arbeit liegt in der Diagnostik. Wir versuchen die Ausgangslage zu analysieren und Ziele zu definieren – hauptsächlich mit dem Schwerpunkt, Unsicherheiten in Prozessen zu finden und fundierte überprüfbare Lösungsstrategien zu entwickeln.

Suchen Wirtschaftspsychologen auch Lösungen für die Folgen der Digitalisierung?

Schilling: Absolut. Die Digitalisierung beschäftigt uns in doppelter Hinsicht. Zum einen nehmen On­line-Angebote zu, beispielsweise in Form von internetbasierten Selbstcoachings zur Vor- und Nachbereitung von Beratungssitzungen oder durch 3D-Visualisierungen von Lösungsstrategien und Ideen.

Zum anderen setzen immer mehr Unternehmen auf algorithmengestützte Prozesse, etwa in der Personalauswahl. Inzwischen gibt es Software, mit deren Hilfe vorhergesagt werden soll, welcher Mitarbeiter sich wie verhalten wird, beispielsweise ob er eine Kündigung plant.

Was wiederum einen Auftrag für Wirtschaftspsychologen bedeuten kann: die Ursachen herauszufinden, um rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können, Rahmenbedingungen im Unternehmen zu verbessern oder individuelle Unterstützung für den Mitarbeiter zu guten Entscheidungen zu geben. Und schließlich wird durch die zunehmende Digitalisierung der „gläserne Mitarbeiter“ zum Thema für uns.

Wie steht es um die Berufschancen?

Schilling: Die Berufschancen sind gut, denn unser Feld ist wirklich groß. Wirtschaftspsychologen arbeiten sowohl im festen Anstellungsverhältnis als auch freiberuflich, sollten allerdings in beiden Fällen einen Master mitbringen. Zum einen benötigen sie eine wissenschaftlich fundierte, breite psychologische Ausbildung, zum anderen fehlt Bachelorabsolventen oft das wirtschaftspsychologische Fachwissen.

Was verdienen Wirtschaftspsychologen mit Masterabschluss in etwa?

Schilling: Das ist schlecht zu beziffern, da wir hier zu viele Unbekannte in der Gleichung haben. Laut karista.de (auf Absolventen spezialisiertes Jobportal, Anm. d. Red.) liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt in der freien Wirtschaft bei etwa 2500 Euro im Monat. Doch mit zunehmender Berufserfahrung kann sich das Gehalt von Wirtschaftspsychologen sehr dynamisch entwickeln. Nach einigen Jahren im Beruf sind Gehälter von 3500 bis 5000 Euro möglich.