Berlin. Stärken die Eier des Schweinepeitschenwurms das Immunsystem? In Studien gelang das nicht. Trotzdem könnten sie bald verkauft werden.

Es klingt gruselig: Patienten schlucken die Eier des Schweinepeitschenwurms (Trichuris suis), dessen Larven im Darm schlüpfen, um dort Autoimmunerkrankungen wie Arthritis, Multiple Sklerose oder Morbus Crohn zu mildern. Das zumindest verspricht der thailändische Anbieter Tanawisa auf seiner Internetseite. Sein Produkt TSO 2500 sei das stärkste Probiotikum, das die Natur zu bieten habe. Probiotika sind lebende Organismen, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugesprochen wird.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) prüft für die Wurm-Eier derzeit einen Zulassungsantrag als Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland, wie die Behörde auf Anfrage dieser Redaktion bestätigte. Es wäre das erste Produkt dieser Art auf dem europäischen Markt. Mehrere Studien belegen, dass Trichuris suis keine gesundheitlichen Vorteile bringt. Auf die Zulassung dürfte das keinen Einfluss haben.

250 Patienten an Studie beteiligt

„Der Effekt ist gleich null“, beschreibt Prof. Jürgen Schölmerich die Wirkung der Würmer auf die entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Der ehemalige ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Frankfurt am Main leitete eine Studie mit Beteiligung medizinischer Institute unter anderem aus Essen, Hamburg, Berlin, Wien und Zürich.

250 Patienten bekamen über zwölf Wochen wahlweise die Wurm-Eier oder ein Placebo verabreicht. Die Ergebnisse der randomisiert kontrollierten Untersuchung – Goldstandard in der Medizin-Forschung – wurden im April im „Journal of Crohn’s and Colitis“ veröffentlicht.

Parasit als Training für das Immunsystem

Bei Morbus Crohn greift das eigene Immunsystem die Bakteriengemeinschaft im Darm an und schädigt so die Darmschleimhaut. „Eine häufig angewandte Therapie sind immunhemmende Mittel wie Cortison, was auf lange Sicht nicht optimal ist“, erklärt Schölmerich, „es gab die Hoffnung, dass der Schweinepeitschenwurm eine Lösung sein könnte.“ Da die Parasiten sonst Schweine befallen, können sie sich in Menschen nicht vermehren, sind daher nicht ansteckend. Auf das Immunsystem können sie trotzdem wirken – der Gedanke dahinter ist die Hygienetheorie.

Der ausgewachsene Schweinepeitschenwurm (Trichuris suis). Weibchen werden bis zu acht, Männchen bis zu vier Zentimeter lang.
Der ausgewachsene Schweinepeitschenwurm (Trichuris suis). Weibchen werden bis zu acht, Männchen bis zu vier Zentimeter lang. © wikipedia

„Autoimmunerkrankungen haben sich erst in den letzten 100 Jahren entwickelt und sind zunächst etwa in Europa, den USA und Australien aufgetreten – Gebieten also, wo ein gewisser hygienischer Standard herrschte“, so der Gastroenterologe. In Entwicklungsländern seien sie kaum bekannt. „Zum westlichen Lebensstil gehört der breite Einsatz von Antibiotika, Toiletten sind voneinander getrennt, Kinder spielen nicht mehr im Dreck. Man nimmt an, dass dem Immunsystem deswegen das Training fehlt“, sagt Schölmerich. Bei Menschen, die eine genetische Anlage dafür haben, könnte dies der Auslöser für Autoimmunerkrankungen sein, so die Vermutung. „Man nahm also an, dass sich dieses Training nachholen lässt, indem man Patienten bestimmte Parasiten wie etwa Trichuris suis gibt“, so Schölmerich. Das habe sich, anders als bei vorangegangenen Studien anderer Forscher, nicht bestätigt.

Placebo-Effekt bei über 40 Prozent

„Die Studiengruppen der anderen Untersuchungen waren sehr klein, und es wurde nicht mit Placebos gearbeitet“, erläutert Schölmerich, „in unserer Studie zeigte sich ein sehr starker Placebo-Effekt von über 40 Prozent.“ Weil die Patienten Eier von lebenden Parasiten schluckten, seien sie offenbar stark von deren Wirkung überzeugt gewesen. Tatsächlich hätte das Immunsystem der Probanden auch auf die Würmer reagiert und Antikörper gebildet. Bluttests hätten aber keine Besserung der eigentlichen Krankheit belegt. „Eine Entzündung lässt sich wohl nicht mit Parasiten behandeln“, so Schölmerich. Es sei eventuell möglich, dass Patienten in Remission, bei denen also die Symptome bereits dauerhaft nachgelassen haben, von der Behandlung profitieren oder es eine vorbeugende Wirkung gebe. „Doch solche Untersuchungen sind langwierig und teuer“, so der Mediziner.

Seine Studie wurde von einem deutschen Pharmahersteller finanziert, der nun wohl keine weiteren Pläne mit den Würmern verfolge. „Eine amerikanische Pharmafirma, die eine Lizenz für die Wurm-Eier als Therapeutikum erworben hatte, ist mittlerweile bankrott“, sagt Schölmerich. Ähnlich enttäuschend seien Studien mit Heuschnupfen-Patienten gewesen. Als Nahrungsergänzungsmittel könnten die Würmer trotzdem zugelassen werden. „Eigentlich ist dann schon klar, dass das Produkt keine Wirkung hat, denn sonst müsste es als Arzneimittel zugelassen werden“, sagt Prof. Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Es passiere nicht selten, dass Pharmafirmen Studien zu einem Therapeutikum durchführen und das Patent weiterverkauften, wenn es nicht wie erhofft wirke.

Hersteller müssen keine Wirkung nachweisen

Der Antrag auf Zulassung ist laut BVL für ein sogenanntes Novel Food gestellt worden, ein neuartiges Lebensmittel. Unter diese Bezeichnung fallen alle Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, die vor 1997 im EU-Raum „noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden“, wie die Behörde erklärt. Eine Wirkung jedweder Art muss der Hersteller nicht nachweisen, sondern nur belegen, dass sein Produkt keine Gefahr darstellt. Auf der Verpackung darf er keinen heilenden Effekt in Aussicht stellen, wohl aber sogenannte Health Claims verwenden. Die Gesundheitsversprechen werden von der EU reguliert. Bislang dürfte es aber noch keine zugelassenen Health Claims speziell für Schweinepeitschenwürmer geben.

Smollich rät von einer Zulassung zum aktuellen Zeitpunkt ab: „Man weiß noch nicht, welche langfristigen Folgen die Einnahme der Wurm-Eier hat.“ Verbraucher sollten derartige Produkte keinesfalls ohne medizinische Überwachung einnehmen, warnt der Experte. Auch Gastroenterologe Schölmerich ist skeptisch: „Die Züchtung der Parasiten in Schweinen ist langwierig und komplex. Werden Fehler gemacht, könnten Keime dabei übertragen werden, die auch für Menschen gefährlich sind. Ich würde meinen Patienten davon abraten, ein solches Nahrungsergänzungsmittel aus dem Ausland einzunehmen.“

• Info: Wer entscheidet über die Zulassung?

Deutschland ist nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) der erste EU-Mitgliedstaat, in dem die Wurm-Eier verkauft werden sollen. Deshalb ist die deutsche Behörde für die Erstprüfung zuständig. Sie hat drei Monate Zeit, den Antrag zu sichten und einen Bericht zu erstellen.

Die anderen EU-Mitglieder dürfen ihn danach einsehen und können 60 Tage lang Einwände vorbringen. Abschließend entscheidet die Europäische Kommission, ob und unter welchen Bedingungen das Produkt in den Verkauf darf.