Berlin. Wohngemeinschaften für Senioren werden immer beliebter. Eine neue Online-Plattform hilft ähnlich einer Partnerbörse bei der Suche nach den geeigneten Mitbewohnern.

Die Kinder sind ausgezogen, auf der hohen Kante liegt auch nicht viel – und dann? Dann kommt die Wohngemeinschaft, die WG für Ältere. Sie sei „eine neue Alternative zum Leben allein oder im Seniorenheim“, sagt Ursula Lenz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen. Der Trend habe
mehrere Gründe: Scheidungen nähmen zu. Die Mieten in den Städten explodierten. Auch kämen jene ins Rentenalter, die zu Zeiten der 68er-Protestbewegung bereits in einer Studenten-WG gewohnt haben, also Erfahrung haben.

Die Senioren-WG des Ex-Oberbürgermeisters von Bremen, Henning Scherf, ist bereits berühmt. Nun gibt es im Netz erstmals eine WG-Börse, bei der über 50-Jährige Mitbewohner suchen können, und zwar ähnlich wie bei Parship und anderen Partnerbörsen.

Unter gold-wg.com werden passende WG-Partner „gematcht“. Heißt: Man beantwortet gut
50 Fragen zur eigenen Person, etwa ob man Vegetarier ist, Rockmusik liebt, als Paar oder als
Single etwas sucht. Dann werden die Kontakte nach dem Motto „Gleich und gleich gesellt sich gern“ vorgefiltert.

„Rund 900 User haben den Test, den Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität München mit entwickelt haben, bereits gemacht“, sagt Gold-WG-Initiatorin Monika Kohut. Im Schnitt müsse man aber mit sechs Monaten rechnen, bis man die „Richtigen“ findet.

Für eine sechsmonatige Mitgliedschaft muss man derzeit noch nichts zahlen. Im Laufe des Jahres, wenn die Plattform in Deutschland, aber auch in Österreich, bekannter ist, soll sich das allerdings ändern. Die ganztägigen Kennenlernworkshops, die auch angeboten und von Psychologen geleitet werden, kosten schon jetzt pro Person 759 Euro.

Verena Querling von der
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gilt bundesweit als Expertin für das Wohnen im Alter. Sie rät, „genau“ darauf zu achten, welcher Service wie viel kostet. Die Idee sei im Grunde aber „gut“. Der Erste mache schon morgens um fünf Krach, der Zweite qualme die Bude voll, der Dritte schwinge politische Reden: Mit den Macken der anderen wolle niemand gerne leben. Wer in einer WG wohnen wolle, „muss frühzeitig einiges andere bedenken.“ Sie nennt fünf Punkte.

Die Wohnungssuche

Wer eine Wohngemeinschaft selbst organisieren will, muss sich auch um die Immobilie kümmern. Kaufen oder mieten? Haus mit einer Wohnung für jeden oder reicht ein Zimmer? Aber auch die Lage ist entscheidend. Ist ein Supermarkt in der Nähe, die Apotheke, ein Theater womöglich auch? „Sie müssen damit rechnen, dass Sie eines Tages nicht mehr so weit laufen können und wollen“, sagt Querling. Alles, was einem lieb ist, solle in der Nähe sein. Querling: „Achten Sie von vornherein auf Barrierefreiheit!“ Das heißt: Kalkulieren Sie auch Umbauten mit ein.

Die Pflegeversicherungen zahlen für die WG-Gründung eine Anschubfinanzierung von 2500 Euro pro Pflegebedürftigem, insgesamt höchstens 10 000 Euro. Muss die Immobilie umgebaut werden, zahlen sie Leistungen für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen: Jeder Versicherte erhält 4000 Euro. Maximal gibt es pro Maßnahme 16 000 Euro. Gibt es mehr als vier Anspruchsberechtigte, teilen deren Versicherungsträger den Betrag auf.

Der Mietvertrag

Erwerben alle ein Haus gemeinsam, sind alle Bewohner gleichberechtigt. Beim Mietvertrag haben alle nur dieselben Rechte, wenn alle als Gemeinschaft Hauptmieter sind. Lässt sich der Vermieter darauf ein, kann auch jeder einen separaten Mietvertrag aufsetzen, dann gibt es für die anderen keine Probleme, wenn einer nicht zahlen kann. Wer mitbestimmen will, wer einzieht, muss mit dem Vermieter ein Mitbestimmungsrecht vereinbaren.

Die Hausordnung

Keiner will ihn, dann kommt er doch: der Streit. Reden Sie vor dem Einzug darüber, wer was wann tut und wer was entscheidet. Wer zahlt wie viel für Telefon und Internet? Wer räumt im Winter den Schnee weg? Wer macht den Abwasch in der Küche? „Denken Sie auch an die Zukunft“, sagt Querling: „Welche Kosten können entstehen? Wann muss jemand ausziehen, der dement wird?“ Die WG-Mitbewohner legen Regeln fest. Am besten verabschieden sie eine „Gemeinschaftsvereinbarung“, in der Auszug, Einzug, Haushaltskasse, Versicherungen und so fort geklärt sind.

Die Betreuung

Man zieht zusammen. Aber alleine kommt die WG nicht klar. Wenn das so ist, muss es einen geben, der allen zur Hand geht – mit kocht, mit spielt. „Die meisten beauftragen eine ,Präsenzkraft‘“, sagt Querling. Dafür gibt es Geld von der Pflegeversicherung: Jeder Mitbewohner, der einen Pflegegrad hat, erhält einen Wohngruppenzuschlag von 214 Euro im Monat.

Die Pflege

Die einen müssen mit Medikamenten versorgt werden, die anderen brauchen Hilfe beim Waschen – gut möglich, dass sich WG-Mitbewohner auch um einen Pflegedienstvertrag kümmern. Theoretisch könne jeder einen Vertrag mit einem anderen Dienst abschließen, so Querling. Praktischer sei es, sich für einen gemeinsam zu entscheiden. Um Leistungen von der Pflegekasse zu bekommen, muss allerdings jeder einen eigenen Vertrag haben.

Bleibt noch eins: Eine WG im Alter hat Vorteile. Die Mitbewohner meistern den Alltag irgendwie zusammen. Querling aber meint: „WGs sind nur etwas für Menschen, die Angehörige haben.“ Denn „gerade weil sie dafür gedacht sind, sich selbst mit einzubringen, müssen dauernd Entscheidungen gefällt werden.“ Im hohen Alter könne das schwierig werden, wenn Körper oder Geist nicht mehr mitspielen.