Havanna. Ernesto, jüngster Sohn Che Guevaras, stellt Harleys für eine Kuba-Tour bereit. Ein 70-jähriger Berliner hat sich aufs Bike begeben.

Ernesto Guevara trägt nicht nur einen großen Namen, er hat auch die Zeichen der Zeit erkannt – und in den kuba­nischen Fremden­verkehr investiert. Nein, nicht der Revolutionsheld Guevara mit dem Beinamen „Che“, der in Kuba immer noch den Status eines ­großen Nationalhelden hat. Sondern dessen jüngster Sohn.

Eine ganze Flotte schmucker Harley-Davidson-Bikes stellt er abenteuerlustigen Touristen zur ­Verfügung, damit diese auf zwei Rädern und mit bollerndem Motor sein sehenswertes Land erkunden. Wobei man nur mutmaßen kann, wie er an das dafür er­forderliche Kapital und die Genehmigungen gekommen ist – eigentlich war bis 2014 der ­Erwerb neuer Motorfahrzeuge untersagt. Derlei Fragen sind für die 14 Motorradfreaks aus fünf ­Ländern, die sich mithilfe Er­nestos des Jüngeren auf eine zwölftägige Gruppen­reise machen, aber eh zweitrangig.

Schlaglöcher fordern ständige Aufmerksamkeit

Als Senior dabei bin diesmal ich – der „Herby“ aus Berlin. Vor vier Jahren, im Alter von 66 Jahren, die Route 66 in Amerika zu ­fahren, war schon eine Herausforderung. Doch nun wage ich mich mit 70 Lenzen auf eine ­Piste, die manch anderer nicht einmal mit dem Auto befahren würde. Der November entpuppt sich dabei zum Glück als ideale Reisezeit.

Los geht es noch ziemlich flott auf der modernen Autobahn zwischen Flughafen und Hauptstadt Havanna, doch je weiter wir uns von Havanna entfernen, desto proble­mati­scher werden die Straßenverhältnisse. Zwischen einer Vielzahl an Schlaglöchern kann eine einzige Sekunde Unaufmerksamkeit fa­tale Folgen haben.

Sicherheitshinweise? Fehlanzeige

Den Luxus von Straßenbeleuchtungen, Leitplanken, Reflektoren am Straßenrand oder Hinweisen auf Schlaglöcher oder fehlende Straßenabschnitte hat man sich in Kuba bisher noch nicht geleistet. Auch verkehrssicherheitsrelevante Hinweise und Markierungen sind kaum vorhanden – und wenn doch, dann befolgt sie eigentlich keiner.

Die PS-starken Maschinen einmal auszufahren, kann die Truppe also vergessen. Immerhin gibt es überall ausreichend Benzin, ein auf der immer noch bettelarmen und krisengeschüttelten Insel nicht ganz unwichtiges Kriterium.

Wie man bei Einheimischen Eindruck macht

Eine Kubareise ohne Zigarren? Undenkbar.
Eine Kubareise ohne Zigarren? Undenkbar. © Wildanger | Herbert Wildanger

Die erste Station liegt noch in Havanna, der mit 2,5 Millionen Einwohnern größten Metropole der Karibik. Rund ein Viertel der Landesbevölkerung lebt hier. Unterkunft ist das berühmte Hotel Nacional, ein denkmal­geschützter Prunkbau aus den 30er-Jahren und zugleich ein Wahrzeichen der Stadt. Doch ­zuvor ist ein Abstecher zum Motorrad-Depot nötig, in dem aus einem großen Angebot von Electra Glides, Roadkings, Streetglides, Sportsters, V-Rods und Heritage Softtails die be­vorzugte Harley-Variante ausgewählt werden kann.

Ich entscheide mich für eine Electra ­Glide, die ich umgehend mit meiner mit­gebrachten Berlin-Flagge personalisiere. Erstaunlich, wie viele „Freunde“ man sich damit auf Kuba machen kann, und mindestens ebenso erstaunlich, welche positive Wirkung ich bei Einheimischen mit meiner zünftigen „Che“-Mütze erziele.

Fremdenführerin scheint jedes Haus zu kennen

Die erste Erkundungstour führt zu den Sehenswürdigkeiten Havannas und dabei natürlich direkt in die historische Altstadt La Habana Vieja. Immer dabei: Fremdenführerin Inalvis Perez, kurz Ina, die jedes Haus zu kennen scheint und auf der kompletten Tour ­keine Frage unbeantwortet lässt. Das moderne Havanna steht ebenso auf dem Programm wie die Besichtigung des Platzes der Revolution und der Ortskommandantur des Che Guevara in der Festung La Cabana.

Ein Mittagessen in dem sehr zu empfehlenden Restaurant „Starbien“ bei Preisen von umgerechnet 10 bis 20 Dollar gehört auch dazu. In Kuba zahlt ­jeder Tourist mit dem CUC, der als konver­tibler Peso an den Dollar gekoppelt ist, während Einheimische ansonsten nur über die Moneda Nacional verfügen, mit der man nicht viel kaufen kann.

Zu essen gibt es frisch gegrilltes Krokodil und Schildkröte

Am nächsten Tag geht es mit dem ganzen Tross auf die 380 Kilometer lange Strecke nach Cienfuegos. Als Anführer vorneweg ­Roadcaptain Luisito, dem die Zugereisten folgen – die Nachhut besteht aus dem zweiten Roadcaptain Camillo sowie dem Gepäckwagen, in dem Ina und Ernesto Guevara mitfahren. Anfangs sind alle mit den Straßenverhältnissen zufrieden, doch alsbald wird es holprig – und das auch kulturell: Ein als „zügig“ geplantes Mittagessen bei Don Alexis erstreckt sich am Ende über mehrere Stunden, weil hier zwei Welten aufeinandertreffen.

Auf der einen Seite die besondere Herzlichkeit eines kubanischen Gastgebers, der alles daransetzt, seinen ausländischen Gästen mit seiner Familie etwas ganz Besonderes zu bieten, auf der anderen eine sehr primitive und unter hygienischen Gesichtspunkten grenzwertig improvisierte Herberge unterm Palmendach. Doch je länger wir Zeit haben, uns an die Atmosphäre und das Umfeld zu gewöhnen, desto neugieriger werden wir auf das Essen: frisch gegrilltes Krokodil und Schildkröte. Eine Stadtbesichtigung von Cienfuegos fällt aus, die Dunkelheit kommt schneller als gedacht.

Bei Regen wird die Straße zum Abenteuer

Die nächsten 80 Kilometer fordern drei Stunden lang nicht nur das fahrerische Können aller Teilnehmer, sondern auch wirklich Nerven. Ein einsetzender starker Regen macht diese Fahrt zu einem echten Höllenritt. Un­beleuchtete Pferdekutschen und ebenso natürlich unbeleuchtete Fußgänger tauchen ganz plötzlich in absoluter Finsternis vor einem auf, der Gegenverkehr macht mit auf­geblendetem Fernlicht auf sich aufmerksam, und die Existenz von Schlaglöchern kann nur noch vermutet werden.

Aber letztendlich kommen alle unversehrt in Trinidad an – dem Ort, nicht der gleich­namigen Insel. Auf das vorbereitete Abend­essen hat mittlerweile allerdings niemand mehr großen Appetit.

Umso mehr wird der Bartresen frequentiert, und der total überforderte Mixer kann nicht annähernd so schnell die Piña Coladas, Mojitos und Cuba Libres mixen, die jetzt notwendig sind. Ja, es gibt auch im sozialistischen Mutterland das programmatische „Nationalgetränk“ der Exilkubaner Cuba Libre, doch mit den meisten anderen Cocktails haben die Barmänner noch nicht die rechte Erfahrung. Deshalb kann ich mich in unserer Truppe zumindest in dieser Hinsicht schnell unentbehrlich machen, indem ich den Mixern mit ein wenig Rat auf die Sprünge helfe – allerdings mit einem trotz eines einjährigen Vorbereitungskurses eher brüchigen Spanisch.

Zur Nachbarinsel geht es über einen spektakulären Fahrdamm

Trinidad ist ein Unesco-Weltkulturerbe und musterhaftes Beispiel spanischer Kolonialarchitektur mit vielen sehr liebevoll restaurierten Gebäuden, Gärten und Parks. Dem folgt gegen Mittag eine Fahrt auf dem spektakulären, rund 30 Kilometer langen Fahrdamm, der Kuba mit der Insel Cayo Santa Maria verbindet. Die frische Seeluft verschafft eine erholsame Abwechslung zu den doch sehr extremen Abgasbelastungen in den Dörfern und Kleinstädten.

Was für ein Kontrast: Das Fünf-Sterne-Refugium bietet uns eine große Portion Erholung mit einem erfrischenden Bad im Atlantik. Zum Abschluss brennen die Zigarren, die hier wirklich noch immer erstklassig sind. Über Remedios geht es weiter in Richtung Santa Clara mit der Gedenkstätte für Ernesto „Che“ Guevara.

Hier liegen im Mausoleum die Überreste des am Ende wegen seiner rigiden und kompromisslosen Politik bei Castro in Ungnade gefallenen National­helden und seiner letzten und engsten Mitkämpfer aufgebahrt. Die letzten Tage Ches spiegelt dies Monument eindrucksvoll wider.

Zu Besuch bei einem Pionier des Tabakanbaus

Ganz anders zeigt sich Varadero, der monströse Badeort mit riesigen Bettenburgen in europäischem Vier- und Fünf-Sterne-Standard. Die derzeitigen 15.000 Betten sollen in den kommenden 20 Jahren noch einmal verdoppelt werden und Varadero zu einem großen Zentrum des Tourismus machen. Mancher ruht sich hier von der Tour aus und genießt das süße Nichtstun, während ich mich noch einmal woanders umsehen will – nämlich dort, wo die berühmte Tabakkultur ihre Wurzeln hat.

300 Kilometer westlich von Havanna bei Pinar del Rios befinden sich die fruchtbaren Ackerböden, welche der kubanischen Zigarre seit dem 15. Jahrhundert ihre Weltgeltung verschafft haben. Südwestlich davon, bei San Luis, liegt das Domizil von Don Alejandro Robaina, einem 2010 verstorbenen Pionier des modernen kubanischen Tabak­anbaus, den ich noch zu seinen Lebzeiten in Berlin treffen konnte. Der freundliche und bescheidene Held der Zigarrenwelt hatte als Einziger von Castro die Erlaubnis, eine eigene Marke zu vertreiben.

„Cohiba“-Manufaktur in historischem Prunkbau

Das bescheidene Haus von Don Alejandro, in welchem heute auch sein Enkel mit Familie wohnt, ähnelt einem Wallfahrtsort. Täglich treffen hier Touristen aus der ganzen Welt ein, um dem Mann zu huldigen, der die Marke Robaina zu einer der besten der Welt geformt hat. Das Haus ist gepflastert mit Bildern aus alten Zeiten.

Mithilfe eines anderen alten Bekannten, des Zigarrenpapstes Maximilian Herzog aus Berlin, der gerade zu einem Fachkongress in Kuba weilt, gelingt es mir schließlich, auch noch die in einem sehenswerten historischen Prunkbau untergebrachte Manufaktur der „Cohiba“ in Havanna zu besichtigen, die, als beste Marke der Welt, gemeinhin als „die“ Havanna angesehen wird.

Auch mit 70 Jahren kann das Leben intensiv sein

Die Reise über insgesamt 2800 Kilometer hat mich an körperliche Grenzen geführt, aber ich bin stolz, sie gemeistert zu haben. Fest in Erinnerung bleiben werden mir die erstaunten, aber auch begeisterten Gesichter der Menschen, wenn wir mit unseren Motorrädern, die sie teilweise noch nie zuvor gesehen hatten, an ihnen vorbeirauschten.

Ja, das Leben kann auch mit 70 noch sehr intensiv sein, selbst wenn man kein Mitglied der Rolling Stones ist. Und wer sagt, dass dieses Abenteuer schon die letzte große Motorradtour meines Lebens gewesen sein soll?

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit Air France, KLM oder Aeroflot von Berlin nach Havanna

Veranstalter La Poderosa Tours (benannt nach einem Motorrad von Che Guevara – übersetzt „Die Mächtige“) in Havanna. www.lapoderosatours.com, info@lapoderosatours.com

Teilnahme Die beschriebene Tour über sieben Tage und sechs Nächte führt über ca. 950 Kilometer – Havanna, Cienfuegos, Trinidad, Santa Clara, Varadero, Havanna. Zur Auswahl stehen acht Harley-Modelle. Am besten eigenen Helm mitbringen. Kosten: ca. 5000 Dollar plus Benzin. Nicht eingeschlossen sind Flüge, Visum und alkoholische Getränke.

Auskunft www.visitcuba.com