Hörnum. Die Hörnum Odde auf Sylt verliert bei jeder Sturmflut einen großen Teil Land. Zuletzt räumten die Fluten mehr als einen Hektar ab.

Die Nordsee rollt auf den Strand bei Hörnum, brandet bei sechs Windstärken West auf die Insel. Die Sonne mag an diesem diesigen Wintermorgen nicht recht aufgehen. Oben auf dem Strand liegt allerhand Treibgut; dies zeigt, wie hoch das Wasser kommen kann. Das, was wir an diesem Morgen von der Kraft des Meeres sehen – es ist nichts, verglichen mit dem, was in diesem Winter noch kommen kann. Jacob Fuhrmann nimmt den Weg durch die Dünen und geht hinunter zum Strand. Unternimmt eine Tour um die wilde Südspitze – solange es sie noch gibt.

Heute wird der junge Mann von der Schutzstation Wattenmeer auch Ausschau nach Robbenbabys – sehr selten werden welche angespült, das letzte vor ein paar Jahren – und den häufigeren Seehunden halten. Aber Jacob Fuhrmann wird vor allem nach dem schauen und es erklären, was nicht mehr da ist: „Ich mache mir Sorgen, was nach der nächsten Sturmflut hier noch übrig ist!“ Denn hier unten verschwindet mehr als nur ein bisschen Sand – hier unten verschwindet die Südspitze von Sylt. Allein an diesem Weihnachten räumten die Fluten mehr als einen Hektar ab.

Sylt sieht jeden Tag anders aus

Nachdem ein junger Seehund – mit dem nötigen Abstand – begutachtet und ­gemeldet worden ist, gehen wir weiter nach ­Süden. Dauerte ein Spaziergang um die ­Odde vor einigen Jahren noch gute zwei Stunden und vor 30 Jahren noch drei, so ist das heute kaum mehr als eine Stunde. „Die Hörnum Odde hat seit 1972 fast 80 Prozent ihrer Fläche verloren“, ­sagt Jacob Fuhrmann, der zurzeit ein Freiwilliges Ökologisches Jahr bei der Station leistet.

„Das sieht hier jeden Tag anders aus“, sagt er. Sylt unterliegt – wie alle anderen Inseln auch – einem natürlichen Abtragungs- und Umlagerungsprozess. Nur durch jährlich wiederkehrende, massive Sandaufspülungen kann die Insel in ihrer derzeitigen Form stabilisiert werden. Und es wurden in den 60er-Jahren Betonelemente verlegt: „Unmittelbar hinter diesen Tetrapoden konnte der Sandabtrag zwar verhindert werden“, sagt Jacob. Aber: „Am südlichen Ende des Tetrapoden-Werks wurde die Erosion nur umso stärker!“

Stetig rutscht Sand von der Abbruchkante

Wir stehen bald am Ufer einer großen Bucht. „Die Nordsee hat diese Bucht ausgekolkt; und sie wird immer größer“, berichtet Jacob. Die Wellen greifen weit nach Osten, ein paar Dünen stehen vor dem Morgenhimmel – dort, wo sich einst eine Hundert Hektar große Sand- und Dünenfläche ausbreitete. „Und was hier im Wasser treibt“, sagt Jacob und fischt eine Pflanze aus der Brandung, „sind keinesfalls Wasserpflanzen – es ist: Heidekraut!“

Eine Sturmflut erreicht die Hörnum Odde.
Eine Sturmflut erreicht die Hörnum Odde. © picture alliance / dpa | Axel Heimken

Ein paar Schritte weiter stehen wir an der Abbruchkante der Dünen auf der Hörnum Odde. Immer wieder rutscht Sand nach, klatschen Pflanzen wie Gras und Heidekraut in die Nordsee. Plötzlich finden wir seltsame Betontrümmer; nun freigespült, ehemals im Sand verborgen, die hat auch Jacob – er war zwei Wochen auf einem Seminar und staunt selbst über die Veränderungen – noch nicht gesehen. Er macht schnell ein paar Fotos, schließlich könnten diese Strukturen morgen schon wieder verschwunden sein.

Ein Schiffswrack und Bunkertrümmer werden sichtbar

„Ganz in der Nähe wurden im Jahre 2009 Teile von einem Weltkriegsbunker freigespült. Niemand wusste, dass und wo die hier unter dem Sand verborgen lagen. Vielleicht sind diese Trümmer ebenfalls Teile eines Bunkers. Der andere Bunker ist übrigens längst in der Nordsee verschwunden“, sagt er. Der Ort Hörnum, keine Frage, ist übrigens nicht in Gefahr. Auch wenn vieles von dem, was Jacob berichtet, dramatisch klingt.

Im Herbst 2015 verlor die Südspitze von Sylt Land auf einer Länge von 800 Metern. Teilweise gingen bis zu 50 Meter Land verloren. Im vergangenen Winter verlor die Südspitze erneut zwei Hektar Fläche, fast alle Dünen wurden fortgespült. Selbst Jacob weiß an diesem Morgen nicht, was er sagen soll; schließlich hat er vor zwei Wochen selbst neue Pfosten zur Besucherlenkung gesetzt. Ihm fehlen zunächst die Worte, als er ­beschreiben will, wo genau das war. Zwei Wochen nur – und weg. „Schau mal; hier liegt überall Treibgut herum“, sagt er, „das südliche Ende muss hier kürzlich komplett überspült worden sein!“

Sylts Spitze wird immer kleiner

Die Nordsee rollt um die Südspitze der Insel Sylt, bleigrau sieht das Wasser an diesem Wintertag aus. Der Spaziergang um die Hörnum Odde ging viel zu schnell zu Ende, von dem kürzlich aufgetauchten Schiffswrack war an diesem Tag auch nichts zu ­sehen, obwohl Springniedrigwasser war. Nichts ist hier so, wie es mal war; der Süden der Insel Sylt ist in ständiger Veränderung. Die See hat das Wrack eines Tages freige­geben und es vielleicht jetzt schon wieder fortgetragen. Die Trümmer vom Bunker werden bald verschwunden sein, und die Spitze von Sylt wird immer kleiner. Die See gibt, die See nimmt. Gerade an Tagen wie diesen, wo sie grollt und rollt und dabei wildromantische Bilder zaubert. Und was Spannendes zeigt. Aber auch der kleine Seehund ist längst wieder im Meer verschwunden.

Am Weststrand sind es Wege in die Einsamkeit. Wenn die Sonne durchbricht und Lichtfinger über das Meer, den Strand und die Dünen jagen, schafft dieses wilde Wetter Bilder und Eindrücke besonderer Kraft und Schönheit. Wolken in drohendem Dunkelblau am zerrissenen Himmel, das Gras leuchtet wie Gold, und der Gang durch den Sand führt immer nur weiter. Es ist diese reduzierte Leere inmitten der üppigen Landschaft in ihrem ewigen Kampf mit der See. Und wenn ein schönes Ziel lockt, macht eine Wanderung in winterlicher Reduktion an der Nordsee noch mal so viel Spaß.

Hochwertiger Whisky im Kontorhaus

Der Rantumer Hafen, in der südlichen Mitte der Insel, hat seinen eigenen Charme. Auffallend ist ein altes Gebäude aus roten Ziegelsteinen: das Kontorhaus der „Sylter Trading“. Jetzt im Winter liegt dieser Ort hinter dem Gewerbegebiet seltsam verlassen dar. Taue klappern irgendwo, ein paar einsame Möwen zetern klagend im Wind, und aus den Fenstern des Kontorhauses fließt warmes Licht in die Dämmerung, die Nacht schleicht sich an diesem Nachmittag längst schon über das Rantumbecken heran.

Das Haus ist eine Einladung; drinnen behagliche Wärme, Holzfußböden, offene Balken – in den Regalen erlesene Flaschen an Whisky, Gin, Rum und Likören. An der Wand im Backsteingewölbe reiht sich Fass an Fass. Hier reift Whisky. Sylter Whisky. Die vier „Sylter Trader“, wie sie sich nennen – John-Meinert Petersen, Klaus-Oliver Welsow, Michael Saul und Thorsten Meyer –, sind Besitzer dieses Handelspostens an der Nordsee und haben die ehemalige Werkstatt des Wasserflug­platzes zu einem kleinen, feinen Geschäft für hochwertige ­Spirituosen umgebaut.

In Rantum lagert Sylter Whisky in alten Eichenholzfässern

John-Meinert Petersen hatte mit seinen drei Kumpels vor ein paar Jahren eine Idee: „Eine Schnapsidee“, wie er sich schmunzelnd erinnert. „Wir wollten mal echten Nordsee-Whisky machen. Dazu haben wir einen Getreidebrand speziell für uns herstellen lassen – und den mit etwas Nordsee-Wasser und Sylter Salz versetzt und lassen ihn jetzt in den Eichenholzfässern zu einem echten Whisky heranreifen.“ ­Monatelang haben sie am richtigen ­Mischungsverhältnis („… der soll ja schließlich nicht versalzen schmecken!“) getüftelt und dann mehr als 40 Fässer zur Ruhe ­gebettet.

Sylt im Winter kann auch behaglich sein – vor allem bei einem Whisky-Tasting im Kontorhaus.
Sylt im Winter kann auch behaglich sein – vor allem bei einem Whisky-Tasting im Kontorhaus. © Sylt Marketing | Holm Löfffler

Nach dem Getöse am Weststrand herrscht hier am verschwiegenen Rantumer Hafen eine heimelige, weltverlorene Ruhe. Wir sitzen am Tisch, und es wird uns warm. Nicht nur bei dem Gedanken an das, was gleich kommen wird. John-Meinert geht zum Fass, lässt etwas von der honiggelben Flüssigkeit in die Gläser laufen, bittet zur Probe. Ein Whisky-Tasting wie in Schottland. „Er muss aber noch reifen, erst nach drei Jahren, also ab November 2017, darf er Whisky heißen – Sylter Trader Whisky.“ Er wird in zwei verschiedenen ehemaligen Sherry-Fässern ausgebaut. Der zukünftige Whisky aus dem Oloroso-Fass hat eine wunderbar saftige Note nach Pflaumenmus. Das wird was werden, und am liebsten mag man hier mit überwintern.

Vor Jahrhunderten ging Rungholt unter

Wer an stürmischen Wintertagen über die Odde und ihren Landverlust nachdenkt, wird an die mörderischen Orkan­fluten des Mittelalters denken, die dieses Land einst ersäuft und die Landkarte grundlegend verändert haben. Die Zeit scheint nur geborgt, und es ist ein ewiger Kampf zwischen Mensch und Meer; an manchen Orten musste der Mensch – und er muss es auch heute – aufgeben. So wie einst in Rungholt, das unterging vor vielen Hundert Jahren. Also auf nach Rungholt.

In der Lobby flackert das Feuer und spendet eine behagliche Wärme. Das tut gut nach der winterlichen Wanderung draußen am Kliff. Von dort oben reichte der Blick weit auf die Nordsee – und steil hinunter: Dorthin, wo das Land hinabstürzt, wenn sich die Nordsee bei Sturmflut wieder etwas holt. Auch wenn hier massiv Sand vorgespült wird – Abbrüche sind bei Orkanfluten nicht zu verhindern. Und sonderbarerweise heißt dieses schöne Hotel, gelegen nur ein paar Hundert Meter vom Kliff in Kampen, Rungholt.

Ein Hotel erinnert an untergegangene Insel

Das ist der Name einer sagenhaften Stadt die im Jahre 1362 unterging, erklärt Dirk Erdmann, Hotelchef in dritter Generation, „warum meine Vorfahren dem Hotel diesen Namen gegeben haben, ist mir allerdings schleierhaft. Wegen des Mythos? Als Markenzeichen? Ich weiß es nicht. In den 20er- und 30er-Jahren wurden erstmals Überreste des legendären Rungholt aus dem Watt geborgen.“ Und Rungholt scheint an der Küste überall zu sein: Die Südspitze von Sylt verschwindet zunehmend, und Kampens Strandchef Greg Baber muss Treppen und Decks an Kliff und Strand erneuern – jedes Jahr wieder. Immerhin ist es vom Hotel bis zum Meer noch ein gutes, sicheres Stück Weg.

Aber: „Kommen Sie mal mit!“, bittet Dirk Erdmann und führt in die Reiterbar des Hotels. „Unser Haus, so wie es heute hier steht, besteht auch aus Teilen des ­alten Kurhauses, das es heute nicht mehr gibt. Es stand weiter Richtung Meer und wurde 1966 abgebrochen, wenngleich nicht aus Sicherheitsgründen. Die hufeisen­förmige Bar stand schon damals im alten Kurhaus, und an den bronzenen Pferdeköpfen draußen an der Mauer, ebenfalls ein Relikt aus dem alten Kurhaus, kann man noch heute ein Pferd anbinden.“

Das schwere Wetter drückt an die Scheiben, und die Flammen flackern. Beim Blick aus dem Fenster wird deutlich, wie verletzlich diese Insel ist: rechts das Wattenmeer in relativer Ruhe und links kachelt die Nordsee – dazwischen nur ein kleines bisschen Land. Das sich die Nordsee holen wird. Irgendwann.

Tipps & Informationen

Übernachtung Hotel Rungholt, Kampen am Kliff, ab 212 Euro DZ/F www.hotel-rungholt.de

Whisky Tasting Sylter Trading im alten Kontorhaus am Hafen in Rantum, ab 49 Euro – oder Anteilschein in Urkundenform für eine Flasche Trader Whisky (ab 44,90 Euro) sichern. www.sylter-trading.de

Führungen Wattwanderungen, Exkursionen und Vorträge bietet die Schutzstation Wattenmeer, www. schutzstation-wattenmeer.de

(Die Reise wurde unterstützt von Sylt Marketing.)