Tromsø. Die nordnorwegische Stadt Tromsø war lange für viele nur Ziel am Rande. Heute gilt das Tor zur Arktis als Hotspot für Nordlicht-Jäger.

Es ist kaum hell geworden, da wird es schon wieder dunkel. Drei bis vier Stunden hat man Tageslicht in Tromsø, der größten Stadt Nordnorwegens. Danach versinkt die Region nördlich des Polarkreises in den Wintermonaten in der Dunkelheit. Ungefähr ein halbes Jahr lang, von Oktober bis März. Grund für ständige Müdigkeit?

„Nein. Wir kennen es nicht anders“, sagt Ellen Kachel vom Northern Norway Tourist Board. Es sei ähnlich wie bei den Tieren, die Winterschlaf hielten. Im Winter ­lebe man auf Sparflamme, um dann im Sommer, wenn die Sonne rund um die Uhr scheint, umso mehr Energie zu haben. Sie schmunzelt, aber ein wenig Ernst ist dabei. Während wir Mitteleuropäer schon um 14 Uhr wieder gähnen, sieht man hier Handwerker mit Stirnlampen auf Leitern klettern, Kinder von der Schule kommen, selbst Wintersport sei im Dunkeln machbar. Wirklich?

Auf die Ausrüstung kommt es an

Wandern? Ski fahren? Ohne Tageslicht? Aber sicher, die richtige Ausrüstung mache beinah alles möglich, sagt Ellen. Der Alltag hier funktioniere auch im Winter reibungslos. Vielleicht ein wenig ruhiger, gemächlicher als ­woanders.

Tiefe Fjorde, spitze, steil ins Meer abfallende Berge, Sandstrände und ein Wirrwarr von Holmen und Schären vor der Tür: Die Region Troms ist grandios, ein verdichtetes Nordnorwegen wird sie auch genannt, weil sie die schönsten Landschaftsformen der Region auf kleiner Fläche vereint. Und doch wurde sie von Touristen lange Zeit häufig nur durchquert, um die beliebten Ziele, Lofoten und Nordkap, zu erreichen.

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    Im „Paris des Nordens“

    Dabei ist die 70.000-Einwohner-Stadt mit der nördlichsten Universität der Welt, dem nördlichsten Bischofssitz und der nördlichsten Brauerei ein Ort voller Flair und Lebendigkeit, der Touristen eine Menge zu bieten hat – angefangen bei typischen Aktivitäten wie Skitouren, Schlittenfahrten, Wanderungen und Walsafaris. Das urbane Zentrum erhielt im 19. Jahrhundert den Beinamen „Paris des Nordens“, weil es trotz seiner damals noch recht isolierten Lage überraschend kultiviert und lebendig war.

    Heute verweist es damit auch auf seine kulinarischen Qualitäten samt der angeblich mehr als 20.000 Plätze in Cafés, Bars und Restaurants. Und tatsächlich ist das, was man hier auf den Teller bekommt, optisch ein Höhepunkt und geschmacklich exquisit.

    Nirgends sonst sieht man öfter Nordlichter

    Aber noch mehr als für ihre Speisen ist die Stadt bekannt als Hotspot für Nordlicht-Jäger. Tromsø liegt mitten im Bereich des Polarlichtovals, das den geomagnetischen Pol ringförmig umgibt, und damit in einer Region, in der Nordlichter am häufigsten und deutlichsten auftreten. An neun von zehn Nächten soll es sich hier zeigen.

    Seit Jahrtausenden fasziniert das Phänomen die Menschen. Viele uralte Mythen und Legenden ranken sich um diesen Sonnenzauber. Die Finnen sahen in dem Licht einen Fuchs, der seinen Schwanz an die Bäume schlägt und so den Himmel in Bewegung bringt, die Samen hielten ihn für die Geister der Verstorbenen, die sich am Himmel zeigten. War es ein Vulkan, der ­ausgebrochen war und den Himmel erhellte? Oder waren es gar Engel?

    Die farbigen, flirrenden Lichter entstehen durch Sonnenwind

    Antworten gibt Nordlicht-Experte Per Helge Nylund im städtischen Museum. Er erklärt, dass sich der norwegische Phy­siker Kristian Birkeland ab Mitte der 1890er-Jahre intensiv mit dem ­Phänomen des Nordlichts beschäftigte. Birkeland führte Laborexperimente an einem kugelförmigen Magneten als Modell der Erde, genannt Terrella, durch und schaffte es, Lichterscheinungen künstlich zu erzeugen, die dem Polarlicht ähnlich waren.

    Auf diese Weise fand er heraus, dass die magischen Lichter durch Sonnenteilchen hervorgerufen werden. Denn die Sonne stößt immer wieder starke Ladungen elektrischer Teilchen aus, den sogenannten Sonnenwind. Der rast mit einer ungeheuren Geschwindigkeit durch den Weltraum. Kommen Teile des Sonnenwindes in die Erdnähe, werden sie zum Teil vom Magnetfeld eingefangen und zu den Polen abgelenkt. Sie stoßen mit Luftteilchen zusammen, die sie zum Leuchten bringen.

    Auf Safari zu den Nordlichtern

    Eine recht nüchterne Erklärung für das, was mittlerweile einen Tourismus-Boom in den Regionen nördlich des 66. Breitengrades ausgelöst hat. „Es kommen viele zu uns, nur um Nacht für Nacht den Himmel zu beobachten“, sagt Karina Weinschenk, Geschäfts­führerin von Scan Adventure. Die gebürtige Deutsche bietet seit 2005 so­genannte Nordlicht-Safaris an. Heute wollen wir uns unter ihrer fachkundigen Führung auf die Jagd nach den Lichtern machen.

    Die Uhr zeigt 19 Uhr, das Thermometer minus zwei Grad Celsius. Nicht wirklich kalt, das wird es hier auch dank des Golfstroms nicht. Dennoch decken wir uns, bevor es in den Kleinbus geht, alle mit einem wattierten Overall ein. „Wir müssen raus aus der Stadt, Richtung Lyngenalpen“, sagt Karina nach einem Blick auf den bedeckten Himmel.

    Der Fahrer schlägt routiniert die korrekte Richtung ein. Jeden Abend im Winter bringt er Touristen in die Gegenden, wo der Himmel klar ist und die Aussichten gut. Das kann je nach Wetterlage variieren.

    Der Himmel scheint keine Ruhe zu geben

    Während er den Bus ruhig über die schneebedeckte Straße steuert, erzählt Karina Fakten und Humoriges rund um das Himmelsleuchten. Wir erfahren, dass es sich in verschiedenen Formen zeigt, mal als Schleier, Spirale, Vorhang oder sogenannte Korona. Als ein über dem Horizont liegender weißlicher Bogen oder als Strahlen, als abgeschlossene Flächen oder Flecken, die alle ganz unterschiedlich gefärbt sein können. Grün, violett, pink – je nach dem in welcher Höhe die Lichter erscheinen. Immer wieder checkt Karina den Wetterbericht und Apps, die Hinweise auf das lokale Auftreten der Lichter geben.

    Nach gut einer Stunde Fahrt halten wir an. „Da vorne ist eins!“, ruft Karina. Alle 20 Teilnehmer eilen in ihre dicken Thermo-Einteiler gehüllt aus dem Bus und blicken gespannt gen Himmel. Enttäuschung. Grün schillert nichts. Nur ein heller Streif ist zu sehen. „Ihr müsst Geduld haben!“, sagt Karina. Und richtig, binnen weniger Sekunden verändert sich der Streif langsam, bewegt sich, wird größer, leuchtend-grün, windet sich wie eine Girlande am Horizont entlang, bevor er verschwindet und ein neues Licht erscheint.

    Ein Feuerwerk der Farben

    Wer ein Stativ dabei hat, holt es raus, positioniert seine Kamera und versucht, das Geschehen einzufangen. Es schneit leicht, dabei weht ein frischer Wind, und wir sind dankbar über unsere dicken Anzüge. 30 Minuten stehen wir hier, bevor wir weiterfahren, ins Inland hinein. Um an anderer Stelle das Schauspiel vielleicht noch einmal zu bewundern. Und tatsächlich öffnet sich erneut der Himmel für ein wahres Farbenfeuerwerk.

    Jeder der Teilnehmer hatte vor der Tour mindestens ein Foto von einem Polarlicht gesehen. Und war allein von dem papiernen Anblick fasziniert. Aber mit eigenen Augen zu beobachten, wie sich der sternenklare Himmel plötzlich verfärbt und das schillernde Schauspiel aus Farben und Formen beginnt, lässt einen andächtig verstummen. Ein großes Wort, doch als Andacht haben es ­alle empfunden, naturwissenschaftliche Erklärungen hin oder her.

    „Was für eine Nacht!“

    Karina kennt all das. Kennt die Enttäuschung, wenn keine Lichter zu sehen sind, kennt die Begeisterung, wenn sie sich zeigen, das Staunen. Sie war schon mit einigen Gruppen eine ganze Nacht auf der Jagd nach dem grünen Himmel unterwegs. Wir hatten Glück. Unsere Tour ist nach fünf Stunden beendet. „Was für eine Nacht!“, freut sich Karina und packt ihre Ausrüstung zusammen. Der Fahrer wendet den Bus. Es gibt noch ein Heißgetränk und Kuchen.

    Dann kuschelt sich jeder in seinen Sitz und döst müde vor sich hin. Nur hin und wieder schreckt man auf, wenn Karina wieder ein Polarlicht entdeckt hat. Der Himmel scheint in dieser Nacht keine Ruhe zu geben. Und mir ist jetzt klar, dass man hier auch in den dunklen Monaten nicht müde werden kann, zumindest nicht beim Blick auf das himmlische Leuchten.

    Tipps & Informationen

    Anreise Seit Ende November fliegt Lufthansa ab Frankfurt nach Tromsø.

    Unterkunft z. b. im Clarion the Edge Hotel Tromsø, DZ/F ab 180 Euro, www.nordicchoicehotels.com

    Tour Nordlicht­safari (auf Deutsch),
    ca. 120 Euro, Tel. 0047/99/34 18 14,
    www.scanadventuretravel.com/de/

    (Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Visit Norway und Lufthansa.)