Berlin. Die Krätze ist für viele eine Krankheit aus anderen Zeiten. Doch sie war in Deutschland nie verschwunden. Nun häufen sich die Fälle.

In der Nacht geht es los. In der wohligen Wärme des Bettes beginnt das große Krabbeln. Winzige Spinnentiere graben ihre Gänge in die obere Schicht der menschlichen Haut, legen Kot und Eier hinein – und der Schlafende beginnt sich zu kratzen. Daher der Name dieser Krankheit, die für viele Menschen aus einer anderen Zeit zu stammen scheint: die Krätze.

Doch Dermatologen wissen, Skabies – wie die Krätze medizinisch heißt – war nie ganz verschwunden. Und in diesem Jahr taucht die Hauterkrankung wieder gehäuft auf, besonders in Nordrhein-Westfalen. Auch aus Thüringen werden Fälle aus Schulen gemeldet.

Brennende Haut und starker Juckreiz

„Man kann schon sagen, es ist wie eine kleine Welle“, sagt Dr. Uta Schlossberger, die in Köln eine dermatologische Praxis hat. Seit einigen Monaten kämen pro Woche zwei bis drei Patienten mit einer Krätze. Und allein in der Städte­region Aachen wurden 316 Fälle (2013: elf Fälle) aus Kinder- und Jugendeinrichtungen und Heimen gemeldet. Nur fünf Prozent der Meldungen stammten aus Flüchtlingsunterkünften, sagt Detlef Funken, Pressesprecher der Städteregion Aachen.

Brennende Haut, starker Juckreiz, gerötete Bläschen und Quaddeln – Schuld an diesen lästigen Symptomen ist das Weibchen der bis zu einem halben Millimeter großen Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei). „Besonders gerne sitzen sie zwischen den Fingern und Zehen“, erklärt die Berliner Dermatologin Yael Adler.

„Wo war die Krätze verbreitet? In den Arbeitervierteln“

„Auch zwischen den Pofalten, rund um die Brustwarze, unter den Achseln oder im Genitalbereich graben sie ihre Gänge.“ Die zeigen sich als feine Linien unter der Haut – das Tunnelsystem der Spinnentiere. Übertragen wird die Erkrankung durch Körperkontakt. Der muss allerdings über mindestens fünf Minuten bestehen, denn die Krätzmilbe bewegt sich gemächlich. Gerade einmal 2,5 Zentimeter in der Minute kommt sie voran. Daher ist etwa Geschlechtsverkehr ein relevanter Übertragungsweg, weswegen die Krätze auch zu den sexuell übertragbaren Krankheiten gezählt wird.

Hören Menschen von der Krätze, denken sie an unhygienische Verhältnisse. Vielleicht an dunkle Gassen des vorigen Jahrhunderts, zwielichtige Gestalten und verlauste Straßenjungs. „Der Blick in die Geschichte bestätigt tendenziell dieses Image“, sagt Hans-Georg Hofer, der an der Universität Münster Geschichte und Theorie der Medizin lehrt.

„Wo war die Krätze verbreitet? In den Arbeitervierteln in der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, im Grabenkrieg des Ersten Weltkriegs, in den Armenvierteln der Hafenstädte.“ An Orten also, wo viele Menschen auf engem Raum unter unhygienischen Bedingungen zusammenlebten. „Die hygienische Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts war dann die wichtigste Voraussetzung für den Rückgang der Krätze“, so Hofer.

Immungeschwächte sind stärker befallen

Und heute? Wir waschen unsere Wäsche bei hohen Temperaturen, regelmäßig und in Maschinen, duschen – viele jeden Tag – und leben nicht mehr Mensch an Mensch in kleinen Zimmern. Tritt die Krätze doch wieder vermehrt auf, wie jetzt in Nordrhein-Westfalen und Thüringen, passiert das vor allem in Einrichtungen wie Kindergärten, Krankenhäusern oder Altenheimen.

Denn dort herrschen noch immer gute Voraussetzungen für die Krätzmilbe: Viele Menschen auf engem Raum, Kinder, die ausgiebig miteinander spielen und alte Menschen mit geschwächtem Immunsystem.

„Denn auch das ist eine Ursache für die Verbreitung der Krätze: eine geschwächte Immunabwehr“, erklärt Dermatologin Yael Adler. Hätten Gesunde etwa zehn bis zwölf Milben auf dem Körper, seien es bei Immungeschwächten über eine Million.

Kleidung und Bettwäsche bei mindestens 60 Grad waschen

Die Behandlung der Krätze ist denkbar einfach. Sie erfolgt in der Regel mit Permethrin-Creme. Der Betroffene cremt sich ein, lässt das Mittel über Nacht einwirken und duscht am nächsten Morgen. Fertig. „Wichtig ist, alle betroffenen Familienmitglieder zu behandeln“, rät Schlossberger.

Und die häusliche Sanierung sei unerlässlich. „Sonst gibt es einen Ping-Pong-Effekt“, erklärt die Dermatologin. Kleidung und Bettwäsche sollten bei mindestens 60 Grad gewaschen werden. Textilien, die nicht gewaschen werden können, kommen für drei bis vier Tage in einen verschlossenen Plastiksack. Für die Krätzmilbe ist der Kontakt mit der menschlichen Haut lebenswichtig. Ohne ihn stirbt sie in der Regel nach drei bis fünf Tagen.

Schon in der Antike wird die Krankheit beschrieben

Dass die Krätzmilbe Schuld am unerträglichen Juckreiz hat, weiß man erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit sich der Wiener Dermatologe Ferdinand Hebra einem Selbstversuch unterzog. Unter dem Mikroskop beobachtete er, wie sich die Krätzmilbe durch seine Haut pflügte. „Schon in der Antike wurde die Krätze beschrieben“, sagt Hans-Georg Hofer, „nur war die Erklärung der Symptome eine andere.“

Der Grund ist das damals vorherrschende und bis ins 18. Jahrhundert hineinreichende Krankheitskonzept: die sogenannte Vier-Säfte-Lehre. „Der Hautausschlag wurde als ein Abbild von durcheinandergeratenen Säften im Inneren des Körpers gedeutet“, erklärt Hofer, „der antike Mensch war dann krank, wenn das Mischverhältnis seiner Säfte gestört war.“

Behandelt wurde mit Schwefel oder Teer, gemischt mit Rosenöl. Auch wenn man von der krankheitsauslösenden Milbe zu dieser Zeit noch nichts wusste – die Behandlung mit Teer dürfte sie kaum überlebt haben.