Braunschweig. Eintracht Braunschweigs Ex-Geschäftsführer erinnert sich an den Abstieg, eine Autofahrt unter Schock – und weitreichende Konsequenzen.

Normalerweise sitzt Soeren Oliver Voigt immer selbst am Steuer, wenn nach Auswärtsspielen von Eintracht Braunschweig der Heimweg ansteht. Dieses Mal aber geht das nicht. Seine Frau muss übernehmen. Was an diesem frühsommerlichen Tag im Mai 2018 in Kiel passiert, versetzt ihn förmlich in Schockstarre und nimmt ihm vorübergehend die Verkehrstauglichkeit. Gerade haben die Blau-Gelben bei Holstein eine 2:6-Klatsche kassiert. Wenn‘s nur das wäre: halb so wild. Die Pleite aber besiegelt den Abstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga – und bringt weitreichende Konsequenzen mit sich, die bis heute nachwirken.

Eintracht Braunschweigs Saison zum Vergessen

Es ist eine Saison zum Vergessen für jeden, der es mit der Eintracht hält. Gerade in der entscheidenden Phase wirkt die Mannschaft blutleer. So auch in Kiel. Zweimal geht sie sogar in Führung. Jan Hochscheidt und Ken Reichel erzielen die Treffer. Die Störche aber schlagen blitzschnell zurück – und zermalmen die Löwen danach wie ein Frachtschiff ein Ruderboot.

Eintracht landet auf Platz 17. Die Gewissheit, dass der direkte Gang in die 3. Liga nun unabwendbar geworden ist, fährt Fans, Spielern und Verantwortlichen in die Glieder – langsam, aber sicher. „Wir waren alle schwer geschockt und angeschlagen“, erinnert sich Voigt. Auf der Fahrt aus dem hohen Norden zurück in die Löwenstadt bittet er seine Frau anzuhalten – irgendwo an einem Feld, fernab der Zivilisation. Er braucht einen Zwischenstopp. Frische Luft, um zu realisieren, was geschehen war und was folgen wird. Voigt ist Geschäftsführer des Klubs. Seit 17 Jahren ist er zu diesem Zeitpunkt bereits bei der Eintracht.

Soeren Oliver Voigt muss harte Entscheidungen treffen

Und er ist deshalb derjenige, der nun viele unangenehme Gespräche führen muss. Gespräche, die für Menschen im Klub viel weitreichender sind als Sieg, Niederlage oder Unentschieden. „Das war ein einschneidendes Erlebnis“, sagt Voigt. Denn ein solcher Abstieg wird begleitet von finanziellen Einschnitten. Und die sind massiv. Allein bei den TV-Geldern schrumpfen die Einnahmen von knapp 14 auf rund eine Million Euro. In der Geschäftsstelle der Blau-Gelben müssen Schreibtische geräumt werden. Das zuvor mühsam aufgebaute Nachwuchsleistungszentrum erfährt nicht länger die Förderung, die eigentlich nötig ist. Über Jahre hinweg hat sich die Eintracht zu einem angesehenen Klub gemausert.

Der Gang in die 3. Liga ist der erste Schritt in eine Spirale der Ungewissheit. Der Verein nimmt auf verschiedenen Ebenen Schaden. Der Heilungsprozess dauert bis heute. Nach einigen Jahren der Euphorie und des sportlichen Aufschwungs folgt der Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit. In der Folgesaison rutschen die Braunschweiger beinahe in die Viertklassigkeit ab.

Zwei Jahre am falschen Ende der Tabelle

Seither pendeln sie zwischen den Ligen 2 und 3. Dabei sieht es kurz zuvor noch so rosig aus. Nur ein Jahr vor dem Debakel von Kiel gelingt der Eintracht beinahe der erneute Aufstieg in die Bundesliga. Erst in der Relegation gegen den VfL Wolfsburg ist Schluss. Vom Gipfel bis ins Tal dauert es eben manchmal nicht lange.

So schnitt Eintracht Braunschweig vor und nach dem Abstieg in Kiel ab.
So schnitt Eintracht Braunschweig vor und nach dem Abstieg in Kiel ab. © FMN | Jürgen Runo

Denn genaugenommen stehen die Löwen in zwei Jahren in Folge am falschen Ende der Tabelle. Die 66 Punkte aus dem Relegations-Jahr hätten in der Abstiegssaison zur Zweitliga-Meisterschaft gereicht. Mit den 39 Zählern aus der Abstiegssaison wären sie im Relegations-Jahr sicher in der Liga geblieben. Aber der Konjunktiv heilt keine Wunden.

Der Mythos Torsten Lieberknecht

Irgendwie ist in dieser Punktrunde 2017/18 die Luft raus. Das Team wirkt leer. Freilich steht auch Torsten Lieberknecht in der Kritik. Und in den Gremien kommt auch der Gedanke auf, sich von dem langjährigen Coach zu trennen. Der Mythos Lieberknecht aber überwiegt. Bei den Fans hat er längst Legenden-Status erlangt. Verständlich. Schließlich gelingt es ihm, den Klub erst vor der Regionalliga zu retten und ihn dann sogar bis in die Bundesliga zu führen.

An diesem Freitag (18.30 Uhr) treten die Blau-Gelben wieder in Kiel an. Klar, dieses Duell ist längst nicht so bedeutungsschwanger wie jenes im Mai 2018. Die sportliche Zukunft wird an diesem Abend nicht entschieden. Die Tabellensituation ist auch heute prekär. Aber: In Braunschweig herrscht wieder Hoffnung. Nach einer weitgehend verkorksten Hinrunde ist so etwas wie Aufbruchstimmung zurückgekehrt.

Aufbruchstimmung bei der Eintracht

Dem Klub ist es gelungen, dem Team wieder Selbstvertrauen einzuhauchen – und die Identifikation bei den Fans zu steigern. Dabei spielen auch personelle Änderungen eine Rolle. Trainer Daniel Scherning ist klarer und präsenter als sein Vorgänger Jens Härtel. Mit Sportdirektor Benjamin Kessel hat einer mit Stallgeruch das Ruder im Büro übernommen. Einer, der zukunftsorientiert denkt.

In Kiel fällt der Startschuss zu einer richtungsweisenden Rückrunde. Der eine oder andere Fan wird diese Auswärtsreise vermutlich nicht mit dem besten Gefühl im Bauch antreten. Aber was soll‘s? Bei der Eintracht ist es Zeit, nach vorne zu blicken.

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