Braunschweig. Ein Idol, hinter dem sich Deutschland versammeln kann, hält weder die Gegenwart noch die Zukunft bereit, kommentiert Leonard Hartmann.

Zugegeben: Auch ich spürte ein Gefühl der Trauer, als die Nachricht von Franz Beckenbauers Tod aufblinkte. Das habe ich sonst fast nie, wenn Prominente versterben. Diesmal schon. Warum? Ich habe Beckenbauer nie live spielen sehen, seine viel beschriebene spielerische Eleganz und Brillanz nur in alten, verpixelten und verwackelten Videos nachempfinden können. Als er 1990 als Teamchef die Nationalmannschaft zum WM-Titel führte, war ich gerade eineinhalb Jahre alt. Damit kann es also auch nicht zu tun haben.

Klar: Die WM 2006, deren Gesicht Beckenbauer war, wurde für mich zwar zu einem prägenden Ereignis. Aber deswegen die Trauer? Eher nicht. Es liegt wohl daran, dass es einen wie ihn nie wieder geben wird. Ein Idol, hinter dem sich die gesamte Bundesrepublik versammeln kann. Einer, der beruflich über allem thronte und privat menschliche Züge zeigte und seine Fehler mit Charme und Witz entskandalisieren konnte. Einer fürs Volk.

Dass es so einen Helden für die Massen nie wieder geben wird, liegt auch daran, dass die Gesellschaft immer individualisierter wird. Und die Bevölkerung so heterogen. Fußball leidet an einem Bedeutungsverlust, die Spiele der Nationalmannschaft locken immer weniger Leute vor den TV-Bildschirm. Kollektive Gesellschaftsereignisse wie ein Länderspiel oder etwa eine „Wetten, dass...“-Sendung gibt es nicht. Kaum einer schaut mehr linear, sondern individuell. Wie soll ein neues Idol für die Masse entstehen, wenn es diese Masse gar nicht mehr gibt?

Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder, Kalter Krieg, Wiedervereinigung: Beckenbauer war in diesen prägenden Zeiten stets dabei. Mit einem Lächeln im Gesicht – auf oder neben dem Spielfeld. Legenden wie er, Uwe Seeler und Gerd Müller gehen nach und nach, doch es kommen keine Neuen mehr nach. Das ist schade. Und macht traurig.