Braunschweig. XXL-Interview: Eintrachts Coach spricht in Teil 1 über erste Eindrücke, ein mögliches Himmelfahrtskommando und Sarkasmus der Fans.

Am 7. November hat Daniel Scherning das Traineramt beim Fußball-Zweitligisten Eintracht Braunschweig übernommen. Seither gab‘s für die Blau-Gelben drei Siege aus fünf Spielen – und der Klassenerhalt ist wieder realistisch. Zeit für eine erste Bestandsaufnahme. Im ersten Teil unseres XXL-Interviews spricht der 40-Jährige unter anderem über Selbstreflexion, seinen Drei-Phasen-Plan und den Galgenhumor der Fans.

Welche waren die ersten Worte, die Sie nach Ihrer Amtsübernahme an Ihre neue Mannschaft gerichtet haben?

Das weiß ich noch ganz genau. Ich habe ein Zitat verwendet: „Es ist nicht derjenige Schuld, der Fehler macht. Sondern es sind diejenigen Schuld, die nicht bereit sind, Fehler auszubügeln.“ Ich wusste natürlich, in welcher Phase ich die Mannschaft übernehme und dass in der Vergangenheit Fehler passiert sein mussten – keine Frage. Aber da muss man als Team eine Bereitschaft entwickeln, diese wieder ausbügeln zu wollen. Inhaltlich habe ich das Thema Umschalten in den Vordergrund gestellt. Sechs unserer neun Tore sind seither aus diesen Situationen entstanden. Das ist der Weg, den wir gehen wollen.

Es klingt so leicht. Aber das Team und der Verein lagen in der Phase am Boden.

Mein zweiter Eindruck war jedenfalls besser als mein erster (lacht). Vor dem Derby gegen Hannover haben wir den Kontakt intensiviert und uns darauf verständigt, miteinander arbeiten zu wollen. Dann habe ich mir das Derby live im Stadion angesehen und bin danach nach Hause gefahren mit dem Gedanken: Auweia, was war das denn? Montag haben wir alles Vertragliche geregelt und am Dienstag einen Neustart hingelegt. Ich war neu, Benny Kessel war in der neuen Position neu dabei und die Mannschaft hat auch sofort gebrannt. Der zweite Eindruck war demnach klar besser.

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Daniel Scherning hat die Überzeugung gespürt

Also war es kein Himmelfahrtskommando, den Job hier anzunehmen?

Nein, ich habe eine gewisse Überzeugung in mir gespürt. Aber mir war auch klar, dass wir elementare Dinge verändern mussten – und zwar von Beginn an. Die Jungs mussten genau wissen, was sie auf dem Platz in welcher Spielsituation zu tun haben und welche Lösungsmöglichkeiten es in gewissen Momenten gibt.

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Aber sollte das nicht immer und unter jedem Trainer der Fall sein?

Jeder Trainer hat natürlich eigenen Ideen, daher kann und will ich nicht viel dazu sagen, wie vor meiner Zeit hier gearbeitet wurde. Aber wir haben die Systematik im Vergleich zu den Wochen vorher verändert. Wir haben uns für eine offensivere Grundordnung entschieden, sind mit zwei Spitzen angelaufen, dahinter mit zwei Achtern und nur noch einem statt zwei Sechsern. Die Außenverteidigerpositionen haben wir zudem mit mehr Tempo besetzt, in der Dreierkette haben wir Stabilität gefunden. Klar: Mit einem Trainerwechsel gibt es immer Veränderungen taktischer und personeller Natur. Und die Spieler, die reingekommen sind, haben grundsätzlich ihre Chancen genutzt.

Selbstreflexion für den Job bei Eintracht Braunschweig

Waren Sie überrascht, dass Sie so schnell zählbaren Erfolg hatten?

Nein, weil ich auf eine Mannschaft getroffen bin, bei der ich sofort das Gefühl hatte, dass sie die Themen aufsaugt und umsetzen will. Und weil hier ein guter Teamgeist herrscht, das ist ganz wichtig.

Sie waren nach Ihrem Aus in Bielefeld eine Zeit lang vereinslos. Welche Lehren haben Sie in der Zeit gezogen?

Diese Pause war wichtig für mich und hat mir extrem gutgetan, auch um mich und meine Arbeit zu reflektieren. Ich habe viele Gespräche geführt in dieser Zeit und versucht, zu lernen und mich zu verbessern. Das Thema Kommunikation mit Spielern war dabei ein wichtiges. Wir haben als Trainer-Team hier vom ersten Tag an versucht, Themen sehr klar zu moderieren und ihnen den Glauben zu geben: an sich selbst, ans Team, an die eigene Stärke und an den Weg, den wir zusammen gehen werden. Fußball hat viel mit den Beinen zu tun, aber eben auch viel mit dem Herz und dem Kopf. Es ging auch darum, fußballerische Automatismen in einem klaren Rahmen zu etablieren und inhaltlich zu arbeiten. Wir haben dabei klar in drei Phasen gedacht.

Daniel Scherning: Und die Fans hatten Recht!

Wie sahen die aus?

Erstmal drehte sich alles um das erste Spiel gegen Osnabrück, das quasi wie ein Neustart war, mit neuem Trainer und der Trennung von Peter Vollmann. Dabei war das Wie egal, es ging einzig und allein darum, die drei Punkte zu behalten. Das hat geklappt. Phase 2 waren die vier Partien nach der Länderspielpause, nach denen wir auf Tuchfühlung zum rettenden Ufer sein und zudem Mannschaften unten mit reinziehen wollten. Das hat auch geklappt. Jetzt kommt nach dem kurzen Weihnachtsurlaub die Phase 3 mit der Rückrunde. Die wird sehr lang und steinig, und die muss man noch mal in ein paar Unterphasen aufteilen. Aber Schritt für Schritt zu denken, war, ist und bleibt wichtig für uns. Durch das Erreichen der Ziele wächst der Glaube. Du kannst als Trainer vorne stehen und sagen, was du willst. Wenn die Ergebnisse nicht kommen, entsteht auch nichts. Daher war das 3:2 gegen Osnabrück ein Schlüssel. So haben die Jungs gesehen, dass sie verdient gewinnen können, dass sie doch nicht so schlecht sind und doch ganz gut Fußball spielen können.

Erinnern Sie sich noch an die Banner der Fans aus diesem Spiel?

Die sind mir noch total präsent. Auf einem stand „Wie sollen wir an euch glauben, wenn ihr es nicht selbst tut?“ und auf dem anderen war zu lesen: „Zerreißt euch oder verpisst euch!“. Und die Fans hatten Recht! Das ist genau mein Ansporn und meine Motivation, sich hier zu zerreißen, das Herz auf dem Platz zu lassen und zu arbeiten, arbeiten, arbeiten. Darum geht’s. Dann kommt das Fußballspielen, dann wächst der Glaube an dich selbst. Und dann glaubt auch das Umfeld wieder an dich.

Der Sarkasmus der Eintracht-Fans

Welches Ziel steht für Phase 3 an?

Der Klassenerhalt, ganz klar. Man muss Ziele aussprechen, um sie erreichen zu können. Aber über die Zwischenschritte werden wir uns jetzt in der kurzen Pause Gedanken machen. Was aber jetzt schon klar ist: Die Herangehensweise unseres Spiels wird sich nicht verändern. Wir treten überall an, um mutig aufzutreten und unseren Weg weiterzugehen.

Rund um Ihre Verpflichtung war im Umfeld auch etwas Skepsis zu spüren. Ein Spruch aus dem Fanlager ging so: „Eintracht präsentiert sich momentan wie wir nach einem Auswärtsspiel nachts um 2 Uhr an der Tankstelle: stark schwankend und das Geld reicht nur noch für Paderborner.“ Haben Sie das mitbekommen?

Ja, guter Spruch (lacht). Aber ich habe mir grundsätzlich abgewöhnt, in den sozialen Medien herumzuwühlen. Das kostet nur Kraft und macht dich kaputt, wenn es mal nicht läuft. Und zum Thema Skepsis: Vielleicht war im Umfeld auch ein anderer, größerer Name erwartet worden, das weiß ich nicht. Aber ich war überzeugt von den Spielern sowie den handelnden Personen und konnte diese offenbar auch von mir überzeugen. Und aktuell sieht es nach einer guten Entscheidung für beide Seiten aus (lacht).

Bayerm Leverkusen als Vorbild

Man sieht nicht nur eine Entwicklung in den Ergebnissen, sondern auch im Fußballerischen. Viele der Eintracht-Tore waren zuletzt stark herausgespielt. Wie haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit eine spielerische Leichtigkeit zu etablieren?

Die Spieler wissen ganz genau, was sie zu tun haben, egal in welcher Spielphase wir uns gerade befinden. Wir machen viele Videoanalysen, sitzen fast täglich 20 Minuten zusammen und schauen einerseits unsere eigenen Szenen an, um zu loben oder Verbesserungen aufzuzeigen. Andererseits zeigen wir aber auch Sequenzen von Bayer Leverkusen zum Beispiel, weil die derzeit einfach das Maß aller Dinge sind. Und dann wird trainiert, trainiert, trainiert, um Automatismen zu schaffen. Außerdem machen wir viel Prinzipientraining.

Das heißt?

Ein vom Spielsystem unabhängiges Training. Jeder einzelne Spieler muss ganz genau wissen, was er bei Ballverlust, Ballgewinn, gegnerischem Ballbesitz und eigenem Ballbesitz zu tun hat. Jeder. Wir sind beispielsweise in Wiesbaden zwölf Sekunden nach der gegnerischen Ecke zum Torerfolg durch Fabio Kaufmann gekommen. So etwas will ich sehen, dass da die Post abgeht. Es gibt demnach klare Prinzipien, die sich gesondert trainieren lassen – und das haben wir gemacht.

Fabio Kaufmann und Rayan Philippe im Aufwind

Zwei Spieler sind zuletzt besonders herausgestochen: Fabio Kaufmann und Rayan Philippe. Wie sind Sie darauf gekommen, Kaufmann aus dem Angriff ins Mittelfeld zu ziehen?

Obwohl er eigentlich von einer anderen Position kommt, war für mich war sofort klar, dass Fabio diese Achter-Rolle im offensiven Mittelfeld spielen kann. Ein Spieler auf dieser Position sollte Tore vorbereiten und selbst erzielen können, er muss laufstark sein, dribbeln können, Zug in den Strafraum haben und defensiv fleißig sein. Er muss defensiv nicht alles können, aber die Bereitschaft dafür muss da sein. All das trifft auf Fabio zu. Er ist jetzt oft im etwas zentraleren Halbspurraum unterwegs. Er ist mittendrin, füllt diese Rolle sehr gut aus und fühlt sich darin auch sehr wohl.

Und Philippe? Wie konnte er plötzlich so aufblühen?

Rayan hat längere Zeit sehr ordentlich trainiert, auf seine Chance gewartet und diese dann genutzt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich Dinge im Fußball verändern können. Jetzt muss er alles dafür tun, dass das auch so bleibt.

Kaufmann und Philippe haben wir jetzt hervorgehoben, möchten Sie selbst noch jemanden nennen?

Nein, das wäre dem Team gegenüber nicht gerecht, wenn ich mich auf jemanden fokussieren würde. Ich war positiv überrascht davon, wie schnell und konstruktiv die Mannschaft unsere Ideen umgesetzt hat. Selbst wenn jemand zuletzt nicht viel gespielt hat, gibt er im Training Vollgas. Sowas zeichnet ein Team aus.