Braunschweig. In Teil 2 unseren großen Interviews spricht Eintracht Braunschweigs Trainer über seine Vergangenheit, Scouting und Kader-Anpassungen.

Eintracht Braunschweigs Cheftrainer Daniel Scherning geht im zweiten Teil unseres großen Interviews auf seine Zeit in Bielefeld, seinen Kader und seine Wertvorstellungen ein. Der 40-Jährige spricht außerdem über das Thema Daten in seiner Arbeit beim Fußball-Zweitligisten.

Warum hat es mit Ihnen und Ihrem Heimatklub Arminia Bielefeld nicht auf Dauer funktioniert?

Dafür gab es nicht den einen Grund. Die Situation in Braunschweig ist eine grundlegend andere als damals in Bielefeld. Hier ist seit dem Wiederaufstieg immer von Saisonbeginn an klar, dass es nur um den Klassenerhalt geht, aber das war bei der Arminia nach dem Bundesliga-Abstieg 2022 nicht der Fall. Der Klub war überhaupt nicht auf diese Situation im Abstiegskampf vorbereitet. Wenn man da mal zwei Siege in Folge eingefahren hat, träumten viele Leute gleich wieder von der Rückkehr in die Bundesliga. Da es 13 Spieler gab, die kein Deutsch sprachen, war es auch komplizierter, die Teamchemie zu entwickeln.

Wollten Sie den Cheftrainer-Job in Bielefeld vielleicht ein Stück zu sehr?

Ja, ich halte mich für reflektiert und muss mir das mit heutigem Blick etwas eingestehen. Dadurch, dass ich acht Jahre bei dem Verein war und so viele Bereiche von der Pike auf gelernt habe, war es für mich der nächste Schritt und ein Chance, den Cheftrainer-Posten zu übernehmen. Aber so habe ich mir selbst etwas zu viel Druck gemacht. Dennoch: Es war ein Privileg für mich und eine lehrreiche Zeit.

Jetzt sind Sie erstmals raus aus dem Ballungsraum Ostwestfalen. Wie fühlt es sich an für Sie in Niedersachsen?

Das kann ich noch nicht genau sagen, weil es dafür noch zu früh ist und ich bislang noch zu wenig gesehen habe. Ich war schon auf dem schönen Weihnachtsmarkt unterwegs und habe mir die Stadt etwas angeschaut. Aber so viel Zeit war für Unternehmungen noch nicht da. Dennoch fühle ich mich super aufgenommen und ich bin froh, dass ich ab Januar eine Wohnung habe und das Hotelleben vorbei ist. Wobei ich es auch genieße, das Frühstück mal nicht selbst machen zu müssen (lacht).

Daniel Scherning und die intensive Zeit beim SC Paderborn - Eintracht Braunschweigs Coach erzählt

Machen Sie sich Vorsätze fürs neue Jahr?

Das mache ich grundsätzlich und unabhängig von einem Jahreswechsel. Meine erste Pause nach 13 Jahren im Job habe ich genutzt, um mich persönlich in vielen Punkten zu hinterfragen und zu reflektieren. Die Persönlichkeitsentwicklung ist nie abgeschlossen. Dafür hole ich mir Feedback ein, spreche mit für mich wichtigen Menschen, die mich aus der Ferne oder aus der Nähe beobachten. Ehemalige Wegbegleiter gehören dazu, sicherlich auch meine aktuellen Kollegen und auch meine Frau. Ehrliches Feedback auf vielen Ebenen ist mir extrem wichtig. Ich brauche keine Ja-Sager um mich herum, sondern Gesprächspartner, die ihre ehrlichen Eindrücke spiegeln.

Welcher Trainer hat Sie bisher am stärksten geprägt?

Die Zeit mit Steffen Baumgart in Paderborn war sicherlich extrem intensiv. Sie war geprägt von Entwicklung, Diskussionen, Ausprobieren und dem Schaffen von Prinzipien. Das waren viereinhalb Jahre, die uns beide sicher weitergebracht haben. Der Austausch mit Markus Krösche in der Sportdirektoren-Position war sehr, sehr wichtig für mich in meiner Entwicklung, weil er Dinge klar eingefordert hat. Mit Roger Schmidt habe ich beispielsweise noch zusammengespielt, der hat auch eine besondere Entwicklung als Trainer genommen, die mich fasziniert.

Jetzt haben Sie Andreas Zimmermann als Co-Trainer mitgebracht nach Braunschweig. Wieso haben Sie sich für ihn entschieden?

Das war auch das Ergebnis eines Lernprozesses nach meiner Bielefeld-Zeit. Da hatte mir jemand an der Seite gefehlt, der Energie an die Mannschaft und Energie ins Trainerteam bringt. Andreas kenne ich seit mehr als 20 Jahren. Wir haben zusammengespielt, danach hat er mehrmals hospitiert bei meinen Klubs. Wir haben den Kontakt während der Jahre immer gehalten. Und wenn ich bereits im Sommer eine Mannschaft übernommen hätte, wäre Andreas auch dabei gewesen. Denn er hat genau diese Komponenten: Emotionalität, Energie , Fleiß und Teamfähigkeit.

Wie ist die Aufgabenverteilung innerhalb des Trainerteams?

Ich habe in den ersten Wochen sehr viel selbst vorbereitet und ausgeführt. Andreas kam auch erst etwas später dazu. Zuletzt haben wir schon ein paar Aufgaben verteilt, in der Pause werden wir das noch klarer strukturieren.

Defensive Standards waren in Eintracht Braunschweigs Hinrunde ein Problem

Wer kümmert sich um defensive Standards? Das sollte bei den vielen Gegentoren eine klare Baustelle sein.

Definitiv. Wer sich bisher darum gekümmert hat, behalte ich lieber für mich (lacht). Aber künftig soll Andreas den Bereich hauptverantwortlich leiten. Das ist natürlich ein Problem, ich habe es noch einmal angesprochen, als wir die Spieler in den kurzen Urlaub verabschiedet haben. Wir kassieren zu viele Standardgegentore. Punkt. Wir müssen einfach besser darin werden, sie zu verteidigen. Da kommt es nicht nur auf die Körpergröße an, die uns manchmal fehlt, sondern auch auf Willen, Positionierung, Abgezocktheit und Bereitschaft.

Welche Veränderungen am Kader wünschen Sie sich für die Winterpause?

Der Kader ist zu groß, wir versuchen ihn zu verschlanken. Benny und ich kommunizieren klar und deutlich mit allen Spielern, aber das ist bei der Größe einfach kompliziert. Zugleich sind einige Spieler mit ihren Einsatzzeiten nicht zufrieden. Mit einigen von ihnen haben wir Gespräche geführt und klargemacht, dass sich ihre Situation wohl auch in Zukunft nicht grundlegend verändern wird.

Fallen Ihnen solche Gespräche schwer?

Es zahlt sich meiner Erfahrung nach aus, sehr ehrlich zu den Spielern zu sein und deren Situationen klar aufzuzeigen. In welcher Rolle befindet sich der Spieler? Wie planen wir mit ihm kurz-, mittel- und langfristig? Und ich weiß, dass es auch mal weh tut, wenn man hört, dass mit einem nicht mehr geplant wird. Aber wir sind alle Männer. Da muss man sich auch mal die Wahrheit sagen dürfen, auch wenn uns das als Gesellschaft im Moment so ein bisschen abhandenkommt. Wer sagt sich heutzutage schon noch von Angesicht zu Angesicht eine unangenehme Meinung? Durch Social Media und die Anonymität darin fällt das oftmals weg. Ich bin aber ein Freund davon, so etwas klar zu kommunizieren im persönlichen Gespräch. Das haben wir gemacht.

Daniel Scherning: Wir sind bei Eintracht Braunschweig in der Pflicht, zweigleisig zu planen

Welche Attribute wollen Sie Ihrem Kader zuführen?

Der Transfermarkt im Winter ist nicht einfach. Im Zentrum des Spiels fehlen unserem Team noch Komponenten. Das Box-to-Box-Verhalten oder auch eine gewisse Stressresistenz unter Gegnerdruck würde uns guttun. Aber wir gucken natürlich auch jetzt schon in Richtung Sommer, weil wir schneller sein müssen als andere. Wir müssen mutige Entscheidungen treffen und davon wegkommen, nur nach Namen zu verpflichten, sondern eher auf Fähigkeiten und Werte gucken.

Planen Sie für sich denn über den Sommer hinaus?

Unser Ziel ist der Klassenerhalt – und dann gilt mein Vertrag weiter. Dennoch sind wir in der Pflicht, zweigleisig zu planen. Wir müssen Spieler finden, die zu uns passen und die perspektivisch unseren Weg mitgehen wollen. Mir ist dabei egal, welcher Klub in der Vita eines Spielers steht und welches theoretische Potenzial er hat.

Es soll ein 5-Phasen-Prinzip geben?

Stimmt, aber das habe ich nicht erfunden. Es fließen immer fünf Komponenten ein, Eindrücke aus Live-Scouting, Video-Scouting, aus Daten, aus mindestens einem persönlichen Gespräch und die Meinung unseres Netzwerks. Diese fünf Punkte stellen die Basis des Transferprozesses dar.

Und wenn einer die besten Werte und riesiges Talent mitbringt, aber charakterlich Fragen aufwirft …

… dann werden wir nicht zusammenkommen. Einstellung geht über Talent.

Sie haben das Thema Daten angesprochen. Wie wichtig sind die im modernen Fußball?

Ich bin ein Freund von Daten, aber ich glaube, dass man sie nicht überbewerten darf und richtig einordnen muss. In der Nutzung der Daten liegt auch immer eine Gefahr, wenn man sie falsch interpretiert. Für mich gibt‘s schon sehr, sehr wichtige Daten. Die Laufleistung zum Beispiel muss man immer in Relation zum Ballbesitz der eigenen Mannschaft und zur Nettospielzeit sehen. Trotzdem ist die nackte Zahl auf den Zeitraum einer Saison gesehen ein Indikator dafür, ob eine Mannschaft physisch fit und mental bereit ist, lange Wege zu gehen. Expliziter sind für mich Werte wie Sprints und intensive Läufe, weil die unser Spiel ausmachen sollen. Wir wollen intensiven Fußball spielen. Dazu interessieren mich inhaltliche Daten zu den Fragen: In welchen Räumen erobern wir häufig den Ball? Wie lange dauert es, bis wir nach einem Ballgewinn zum Torabschluss kommen? Die Daten erheben wir zum Teil auch selbst . Sie sind mir wichtig – aber auch kein Allheilmittel.