Braunschweig. Der Leiter der Scouting-Abteilung spricht über seinen Weg in den Profifußball, seine Heimatstadt Braunschweig und Pläne mit Eintracht.

„Ich mag Aufgaben, bei denen das Blatt noch relativ weiß ist und man Dinge gestalten kann“, sagt Philipp Schmidt. Der 37-Jährige ist Leiter der Scoutingabteilung bei Fußball-Zweitligist Eintracht Braunschweig. Und dort fand er eine solche Aufgabe vor, als er vor eineinhalb Jahren loslegte. Nachdem der mittlerweile ehemalige Sport-Geschäftsführer Peter Vollmann die Abteilung kurz nach seinem Amtsantritt 2019 aufgrund wirtschaftlicher Zwänge dichtmachen musste, dauerte es mehrere Jahre, bis sich die Eintracht wieder an das Thema wagte.

Federführend dabei sind Schmidt, Sportdirektor Benjamin Kessel und Sportkoordinator Dennis Kruppke. „Mir ist die Teamarbeit sehr wichtig. Daher bin ich extrem froh, mit Benny und Dennis zusammenarbeiten zu dürfen. Es ist eine sehr enge, loyale und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die uns ermöglicht, unsere nachhaltig entwickelt sportliche Ausrichtung zu implementieren“, sagt er. Dieser Neuaufbau dauert noch immer an. Und Schmidt betont: „Der Start war extrem intensiv, hat aber trotzdem bislang viel Freude bereitet. Und die Freude an der Arbeit ist weiterhin da .“ Die Eintracht-Verantwortlichen entwickelten anhand der Vereinsstrategie einen Plan, machten sich viele Gedanken, sprachen mit Anbietern von Video-, Datenbanken- und Scouting-Management-Plattformen und schauten genau, was zur Situation in Braunschweig passt. „Es muss unser Weg bleiben. Nicht ein kopierter, der bei einem anderen Verein funktioniert“, bekräftigt der Leiter der Scoutingabteilung.

Philipp Schmidt verfügt über Erfahrungen als Scout des Karlsruher SC

Seit dem vergangenen Sommer ist er beim Klub festangestellt, doch schon in den zweieinhalb Jahren zuvor unterstützte er Kruppke, Vollmann und Co. als nebenberuflicher Scout. Um diesen Job zu ergreifen, gibt es laut Schmidt keinen Pauschalweg. Seine Kollegen sind zum Beispiel Jugendtrainer oder ehemalige Profi-Coaches. Er selbst sei schon immer fußballverrückt gewesen. Durch sein Sportmanagement-Studium sei das Interesse weiter gestärkt worden.

Er bildete sich im Bereich Scouting weiter, lernte den Fußball-Markt kennen, schaute in der Region viele Spiele der U-Mannschaften und kam dadurch in Kontakt mit Beratern und Vereinsfunktionären. Der Einstieg war geschafft. Doch hauptberuflich war Schmidt elf Jahre bei Volkswagen im Sportmarketing tätig. Er betreute auch Vereine. Irgendwann kam die Anfrage vom Karlsruher SC und Necat Aygün, der bis vor Kurzem Technischer Direktor bei den Badenern war. Er deckte als Scout für den KSC den Norden, den Nordosten und Skandinavien ab. „In der Zeit habe ich gemerkt, dass das mein Zukunftsfeld sein wird“, sagt der Braunschweiger.

Doch warum tauscht man einen sicheren Job bei Volkswagen ein gegen das schnelllebige Fußball-Geschäft? „Weil für mich die Aufgabe immer da drübersteht. Irgendwann stellt man sich die Frage, ob man das weitermachen will. Aber ich habe festgestellt, dass mir der Rasen fehlte. Die Aufgabe hier ist spannend. Wir haben die Möglichkeit, hier etwas Neues einzuleiten“, sagt Schmidt. Er erhielt aber auch mehrere Rückmeldungen, dass das verrückt sei. „Aber in gewisser Weise ist das ein Kindheitstraum. Ich habe jeden Tag Fußball gespielt.“

Philipp Schmidt spielt unter anderem für den FC Wenden und den BSC Acosta

Er spielte lange Zeit unter anderem für den FC Wenden und den BSC Acosta. Ab dem 17. Lebensjahr wurde Schmidt aber immer wieder von Sprunggelenksverletzungen zurückgeworfen. „Mit 21 hat mir mein Körper gesagt, dass ich das doch nicht so intensiv betreiben sollte. Da habe ich mir viel kaputt gemacht. Aber die Leidenschaft, die war immer da“, verdeutlicht er. Auch für die Eintracht. Sein Opa erzählte ihm früher von den internationalen Spielen der Braunschweiger, er war dabei, als Thomas Piorunek die Blau-Gelben 2002 wieder in die 2. Bundesliga köpfte. In seinem Arbeitszimmer hängen viele Trikots, natürlich auch die mit dem roten Löwen auf der Brust. „Diese besondere Stimmung, die auch Spieler und Trainer immer wieder ansprechen, ist hängengeblieben“, sagt Schmidt.

Als Kruppke dann im Sommer 2021 anfragte, musste der jetzige Scouting-Chef nicht lange überlegen – und steckt nun mittendrin. Wie viele Stunden er pro Woche arbeitet, will er nicht verraten. Es dürften viele sein. Kurz vor Weihnachten sah Schmidt noch die erste Halbzeit beim 2:1-Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern und machte sich dann auf zum Drittligaspiel zwischen Arminia Bielefeld und 1860 München. Tags zuvor sah er sich Verls Niederlage gegen Ulm an.

Um den unzähligen relevanten Spielen Herr zu werden, wird die Eintracht perspektivisch das Team um noch zwei weitere Scouts vergrößern. Einen für die Region West und einen für Bayern. Im Südwesten hilft Raul Villacampa Cano dem Team um Sportchef Kessel. „Diese Satelliten sind dann auch mal schneller in Österreich, den Niederlanden oder Belgien als wir aus Braunschweig“, erklärt Schmidt, der den Kernmarkt des Klubs aber aktuell in Deutschland sieht. „Wir schauen viele Spiele in der 3. Liga und den Regionalligen, hinzu kommen die U23-Mannschaften. Hier spielen grundsätzlich für uns interessante Spieler“, erläutert der Scouting-Leiter.

Die Eintracht muss kreativ werden, um sich auf dem Spielermarkt gegenüber der finanzstärkeren Konkurrenz zu behaupten. „Es gibt eine klare Vision, wo wir als Verein hinwollen, mit klaren Profilen“, sagt Schmidt und stellt die Teamarbeit bei den Verpflichtungsprozessen heraus. „Ein Transfer sollte nicht gemacht werden, damit sich ein Einzelner selbst verwirklichen kann. Wir sind gemeinsam mit dem Trainerteam auf einer Wellenlänge, was die Spieler angeht, die zu uns passen.“

Eintracht Braunschweig beobachtete Benedict Hollerbach

Braunschweig will Spieler finden, die noch nicht am Höhepunkt ihres Schaffens sind. Den ehemaligen Wiesbadener Benedict Hollerbach beobachteten die Löwen lange und intensiv. „Aber er war noch nicht effektiv. Und als er das wurde, haben wir ja gesehen, wohin er gegangen ist. Das zeigt, dass wir frühzeitig mutig sein müssen, um solche Spieler von unserem Weg zu überzeugen und sie dann bei uns weiterentwickeln“, sagt Schmidt. Hollerbach spielt für den diesjährigen Champions-League-Teilnehmer Union Berlin. Bei solchen Spielern muss die Eintracht den richtigen Moment erwischen, um sie zu bekommen.

Die Arbeit mit Daten ist dabei ein Aspekt. Die Eintracht arbeitet laut dem Leiter der Scoutingabteilung schon länger intensiv mit Daten. „Das ist ein Teil unserer Spielerbewertung, aber das ist nicht singulär“, sagt er. „Daten sind sehr unterschiedlich, auch wenn man denkt, dass sie objektiv sind.“ In den Metriken können die Anbieter dem Ganzen eine Tendenz geben. Einige setzen auf die Ist-Leistung, andere auf eine Soll-Leistung. „Wichtig ist für uns, dass wir wissen, was dahintersteckt und die Daten plausibel sind.“ Die Firmen geben durchaus Einblicke, ihr Geschäftsgeheimnis verraten sie auf einem umkämpften Markt aber auch nicht.

Apropos Markt: Den hat die Eintracht für sich auf Deutschland und die Nachbarländer eingegrenzt. „Je ferner der Markt, desto schwieriger wird es, die Spielqualität einzuschätzen“, erklärt Schmidt. Dazu kämen sprachliche und kulturelle Unterschiede. „Der Fußball ist so schnelllebig. Es geht um Integration und Kommunikation. Alles muss schnell funktionieren“, sagt der Scout. In den Niederlanden finde man viele gut ausgebildete Spieler, der Fußball dort ist aber technischer. Der belgische Fußball käme dem in der 2. und 3. Liga von seiner Körperlichkeit schon sehr nahe. Österreich sei finanziell interessant. Und Skandinavien käme punktuell dazu, weil die Spieler dort früh in den Profibereich integriert werden und gut ausgebildet sind.

Schmidt: ... das wäre dann noch ein bisschen cooler

Mögliche Neuzugänge sollen außerdem zur Spielphilosophie passen. Die ist aber nicht starr festgelegt. „Der Fußball ist so dynamisch wie noch nie. Für uns ist wichtig, dass wir aktiv, leidenschaftlich und mutig spielen. Daraus leiten wir unsere Profile ab“, verrät Schmidt, der mit seinem Team weiterhin eine Menge an Aufbauarbeit bewältigen muss. Sein Wunsch für die nähere Zukunft ist klar. „Es wäre cool, wenn wir es schaffen, dass Eintracht unabhängig von Personen nachhaltig erfolgreich ist“, sagt der Talentsucher. Auf diesen Weg wollen die Braunschweiger die Menschen rund um den Klub wieder intensiver mitnehmen. Schmidt würde sich freuen, wenn ein Miteinander entsteht und alle besagtem Weg folgen. „Das wird nicht immer funktionieren. Niederlagen und Kritik gehören dazu, aber wenn gegenseitiges Vertrauen da ist, ist das okay. Da müssen wir Vertrauen zurückgewinnen und zeigen, dass wir einen Plan haben und fundiert arbeiten.“

Wenn er etwas dazu beitragen kann, „dann würde mich das in meiner Heimatstadt extrem stolz machen. Und wenn wir einen coolen Fußball spielen, die Menschen gern ins Stadion gehen, wir ein Feuer entfachen und spannende Spieler auf diesen Weg mitnehmen, dann wäre das noch ein bisschen cooler“, sagt Schmidt. Dann hätte sein weißes Blatt Papier vom Anfang die richtigen Farbtupfer bekommen.