Braunschweig. Seit 20 Jahren ist Stefan Lindstedt Stadionsprecher bei Eintracht Braunschweig. Ein legendärer Satz im Radio brachte ihm den Job.

Toooor für die Braunschweiger… Eintracht! Schießt der BTSV bei Heimspielen ein Tor, dann erklingt die Stimme von Stefan Lindstedt – und die Fans antworten lautstark. Eintracht Braunschweigs Stadionsprecher – passenderweise Jahrgang 1967 – feiert in diesem Jahr 20-jähriges Dienstjubiläum. Lindstedt, der hauptberuflich im Außendienst arbeitet, hat bei der Eintracht so einiges erlebt – vom beinahe Absturz in die Regionalliga bis zum Bundesligaaufstieg. Im Interview blickt Lindstedt mit uns auf die vergangenen 20 Jahre zurück und gibt ein paar Anekdoten aus dem Nebenberuf als Stadionsprecher zum Besten.

Legendäres Kommentar: So wurde Stefan Lindstedt Stadionsprecher bei Eintracht Braunschweig

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    Wie sind Sie selbst Eintracht-Fan geworden?

    Das war im zarten Alter von sechs Jahren. Als ich mit meinem Vater Sportschau geguckt habe, hat mich Springreiten sehr begeistert. Da saß mein Vater – natürlich Eintracht-Fan – hinter mir, mit Schweißperlen auf der Stirn und hat sich ausgerechnet, was so ein Gaul kostet im Vergleich zu einem Lederball und ein paar Pötten. Da war klar: Der Junge muss zum Fußball. Er hat mir dann viel von Bernd Gersdorff erzählt, der damals in 19 Regionalligaspielen 35 Tore gemacht hat. Wenig später hat er mich mit ins Stadion genommen.

    Was war Ihr erstes Eintracht-Spiel?

    Wir waren beim Vorbereitungsspiel gegen die schottische Mannschaft FC Motherwell und saßen auf der Holztribüne. Als dann ein Eintracht-Spieler ein Tor geschossen hat – es war nicht Gersdorff – habe ich meinen Vater mit großen Augen angeguckt und gefragt, ob das Tor denn zählt. Er hat mich angeguckt und gefragt: Ja, warum denn auch nicht? Ich dachte als Kind tatsächlich, dass nur der Gersdorff bei Eintracht Tore schießen darf. Das Spiel ging letztlich 1:1 aus, aber ich war hellauf begeistert und wollte sofort eine blaue Turnhose und ein gelbes Eintracht-Trikot haben.

    ...und wie kam es dann dazu, dass Sie Stadionsprecher bei Eintracht Braunschweig geworden sind?

    Ich hatte 2002 bei Radio Okerwelle das Spiel der Eintracht gegen die SG Wattenscheid kommentiert. Es ging um den Aufstieg in die 2. Bundesliga und Eintracht hat durch Thomas Piorunek in allerletzter Sekunde das alles entscheidende Tor erzielt. Da habe ich fast das Mikrofon verschluckt. Der Mitschnitt der Reportage landete im Internet und hat sich sehr schnell verbreitet. Irgendwann sprach mich Eintracht Braunschweigs damaliger Pressesprecher Holger Neddermeier an, ob ich Stadionsprecher werden will. Da habe ich natürlich sofort zugesagt.

    Interviews in der Halbzeitpause gehören zum Arbeitsalltag von Stefan Lindstedt (hier mit Christoph Schreiber, Archiv)
    Interviews in der Halbzeitpause gehören zum Arbeitsalltag von Stefan Lindstedt (hier mit Christoph Schreiber, Archiv) © BestPixels.de | Florian Kleinschmidt

    Aus der Okerwelle-Sendung über das Spiel gegen Wattenscheid stammt auch Ihr legendärer Satz: „Schwak die Pille bis nach Wolfenbüttel meinetwegen“, der auch das Intro für die Stadionhymne „Zwischen Harz und Heideland“ bildet. Wie kam es zu dem Satz?

    Es stand in den letzten Sekunden 2:1 für Eintracht. Wattenscheid schlug den Ball nochmal nach vorne. Dann gelangte der Ball zu Eintracht-Spieler Tibor Nadj. Eintracht spielte Richtung Südkurve. Da habe ich gedacht: Richtung Süden, da liegt Wolfenbüttel und dann diesen Satz gerufen. Wenn Eintracht Richtung Nordkurve gespielt hätte, dann hätte ich ja ‚schwak die Pille bis nach Gifhorn‘ sagen müssen.

    Sie sind jetzt etwa 20 Jahre Stadionsprecher, also seit 2003. Sie haben den Beinahe-Absturz in die vierte Liga erlebt, genauso wie einen Bundesliga-Aufstieg…

    Ja, es waren sehr abwechslungsreiche 20 Jahre. Wir Eintracht-Fans sind ja nicht wie Bayern-Fans, gehen ins Stadion und denken: Wie hoch gewinnen wir wohl heute? Wenn man bei der Eintracht als Fan dabei ist, dann wird jeder Sieg gefeiert und es gehört auch mal eine Leidenszeit dazu. Das Schöne ist daran, dass die Fans diese Leidenszeit immer mitgehen und immer für den Verein da sind. Der Eintracht-Fan bleibt seiner Eintracht treu. Das haben nicht alle Vereine in Deutschland.

    Welche Partien bleiben Ihnen besonders im Gedächtnis?

    Viele, unter anderem aber das Pokalspiel gegen den Derbyrivalen 2003, als Thorsten Stuckmann seinen ersten Einsatz hatte und Jacob Thomas und Jürgen Rische die beiden Tore zum 2:0-Sieg gemacht haben. Natürlich auch das 5:5 gegen Düsseldorf 2009, bei dem ich fast ein bisschen wahnsinnig geworden bin, weil man das auch mit ein bisschen mehr Elfmeterkunst 7:5 hätte gewinnen können. Aber natürlich auch die Pokal- und Punktspiele gegen Bayern München wie eigentlich sämtliche Bundesliga-Spiele, weil ja keiner daran geglaubt hatte, dass wir nochmal in die Bundesliga zurückkehren.

    Wenn man bei der Eintracht als Fan dabei ist, dann wird jeder Sieg gefeiert und es gehört auch mal eine Leidenszeit dazu. Das schöne ist daran, dass die Fans diese Leidenszeit immer mitgehen und immer für den Verein da sind.
    Stefan Lindstedt, Stadionsprecher

    Bei Spielen wie dem 5:5 gegen Fortuna Düsseldorf oder dem 6:0 gegen Karlsruhe 2015 da kommen Sie aus dem Tore-Ansagen überhaupt nicht mehr raus. Ist man nach so einem Spiel nicht heiser?

    Bei meinem ersten Spiel gegen Dynamo Dresden stand es nach einer Viertelstunde 3:0 für Eintracht. Da dachte ich, wenn das so weitergeht, kann ich nach dem Spiel meine Stimmbänder über den Zaun hängen. Bei dem Düsseldorf-Spiel wäre es fast so weit gewesen, aber da musste ich ja auch genug Gegentore ins Mikrofon nuscheln. Das sind schon so Spiele, wo ich mir hinterher eine Tasse heiße Milch mit Honig gönne, damit ich am nächsten Tag weitersprechen kann.

    Lindstedt mit Eintracht Braunschweigs Präsidentin Nicole Kumpis bei „Wir sind Eintracht – die Show“. Die Kulisse: ein Nachbau der einstigen Kult-Kneipe „Zum gemütlichen Conni“ am Neustadtring.
    Lindstedt mit Eintracht Braunschweigs Präsidentin Nicole Kumpis bei „Wir sind Eintracht – die Show“. Die Kulisse: ein Nachbau der einstigen Kult-Kneipe „Zum gemütlichen Conni“ am Neustadtring. © Undercover | Rüdiger Knuth

    Wie gehen Sie mit unerwarteten Ereignissen während eines Spiels um? Etwa 2005, als das Flutlicht im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund ausfiel und das Stadion eine gute Viertelstunde in der Dunkelheit versank. Danach gewann die Eintracht das Spiel nach Rückstand mit 2:1.

    Der Stromausfall kam damals ja völlig unerwartet. Aber wir arbeiten in der Stadionregie nach dem Prinzip: Erst informieren wir uns, bevor ich zum Mikrofon greife. Ich plappere nicht einfach drauflos. Wir haben dann die Zuschauer beruhigt und klargemacht, dass das Spiel fortgesetzt wird.

    Wie kann man sich die Stadionregie vorstellen? Wo sitzen Sie während des Spiels?

    Jedem Heimspiel liegt ein mehrseitiger Plan zugrunde, in dem minutiös eingetaktet ist, wie viel Zeit ich für welchen Programmpunkt habe, wie lange die Lieder dauern und so weiter. In der Stadionregie sind acht Leute, die sich unter anderem um die Videowand kümmern, die Musik oder mögliche technische Probleme. Außerdem ist jemand von der Organisation beziehungsweise der Veranstaltungsleiter dabei, mit dem ich Ansagen bezüglich Pyrotechnik und so weiter abspreche. Während des Spiels sitzen wir alle zusammen auf der Haupttribüne direkt unterm Dach auf Höhe der Mittellinie. Wir sind in der Regie ein eingespieltes Team, in dem wir uns aufeinander verlassen können.

    Sie geben auch Stadionführungen. Über welches Detail, über welche Anekdote zum Stadion sprechen Sie am liebsten?

    Eintracht hat mal gegen die U23 der Bayern gespielt, als Gerd Müller dort Co-Trainer war. Ich habe mich dann getraut ihn zu fragen: ‚Herr Müller, können wir mit Ihnen vor dem Spiel ein kleines Interview machen?‘, einfach wegen seiner Verdienste für den deutschen Fußball. Er hat eingewilligt und gesagt: ‚Aber bitte nenn‘ mich Gerd.‘ Dass so eine absolute Fußball-Legende, mein Held von 1974, so bodenständig ist, das hat mich völlig sprachlos gemacht. Er war dann sehr beeindruckt, dass die Eintracht-Fans ihm stehend applaudiert haben, obwohl er nie für den Verein gespielt hat.

    Was wünschen Sie der Eintracht in den nächsten 20 Jahren?

    Ich wünsche der Eintracht, dass sie weiter für die Menschen in der Region da sein kann. Ein Besuch im Stadion ist ja nicht nur Fußball-Gucken: Man trifft sich, man unterhält sich, man trinkt gemeinsam ein Bierchen, isst eine Bratwurst. Das hat etwas Verbindendes. Ich wünsche mir, dass die Eintracht diese verbindende Kraft niemals verlieren möge, denn dieser Zusammenhalt hinter dem Verein ist schon etwas Besonderes.