Braunschweig. Der Ex-Profi betreut Eintracht Braunschweig für zwei Wochen als Trainer – und damit auch im Derby. Warum diese Wahl clever ist.

Es war eine gefährliche Gemengelage, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten bei Fußball-Zweitligist Eintracht Braunschweig zusammengebraut hat. Von Spieltag zu Spieltag – oder besser: von Niederlage zu Niederlage – wurde der Cocktail ungenießbarer. So ungenießbar, dass die Blau-Gelben die Rezeptur verändern. Seit Montagmittag ist klar: Trainer Jens Härtel ist nun Ex-Trainer Jens Härtel. Der 54-Jährige wurde genau wie sein Assistent Ronny Thielemann freigestellt. Dafür hat sich die Eintracht entschieden, das neue Gemisch mit einer bekannten Zutat zu verfeinern. Marc Pfitzner wird den Trainerposten übernehmen. Zumindest kurzzeitig.

Schon am Freitag im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf (18.30 Uhr) steht der Ex-Profi an der Seitenlinie. Zum Wochenbeginn leitete er sein erstes Training. Das fand unter der Beobachtung der gesamten sportlichen Führung statt. Präsidiums-Kandidat Thies Vogel war ebenfalls anwesend. Und auch der verletzte Top-Stürmer Anthony Ujah kam zur Unterstützung an den Übungsplatz. In seiner ersten Einheit ging es Pfitzner vor allem darum, die Lockerheit zurückzubringen. Viele Abschlüsse, lockere Spiele – die Spieler sollten Spaß haben.

Ist die Entscheidung für Pfitzner nun eine gute? Sie birgt zumindest Potenzial. Pfitzner war in seiner aktiven Laufbahn jemand, der von Emotionen, Einsatz und Einstellung und eher selten von Eleganz gelebt hat. Auf dem Platz war er sich nicht zu schade, die Drecksarbeit zu machen oder einen Gegenspieler auch mal – sinnbildlich – über die Werbebande zu grätschen. Obwohl er zumindest einmal auch ein feines Fallrückzieher-Tor erzielt hat. Die Fans honorieren solche Attribute. Noch dazu ist der 39-Jährige „einer von ihnen“. Ein Junge aus Braunschweig eben.

Eintracht Braunschweig braucht Emotionalität

Und Emotionalität ist doch eine der Komponenten, die zuletzt arg fehlten. Ein Beispiel dafür ist die 0:3-Schlappe, die sich die Löwen am Freitag in Elversberg eingefangen hatten. Sie markierte den bisherigen Tiefpunkt der Saison. Es fühlte sich an, als würde sich die Härtel-Elf ohne Gegenwehr der Pleite beim Aufsteiger hingeben.

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Auch aus diesem Grund verwundert der Zeitpunkt des Trainerwechsels nicht. Ebenso wenig wie der Umstand, dass die Personalie Pfitzner dabei eine Rolle spielt. Der Ex-Profi übernimmt den Posten nicht nur für die Partie gegen Düsseldorf – sondern auch für das Derby am 5. November bei Hannover 96. Für die Fans ist dieses Duell nicht weniger als das wichtigste der Saison. Und die Eintracht braucht jemanden, der dafür die Lunte wieder entzündet – beim Team, aber auch bei den Anhängern.

Resignation bei den Eintracht-Fans?

Letztere sind zuletzt nämlich in eine Art Resignationshaltung verfallen. Schon beim 1:3 gegen Paderborn war es auffällig ruhig im Eintracht-Stadion. Nach der Elversberg-Pleite hatten die rund 1000 mitgereisten Fans nach der Partie nicht einmal mehr Lust, ihren Frust bei den Profis abzuladen. Das Team ging nach Abpfiff in den Gästeblock, die Fans verließen das Stadion.

Vor zwei Jahren habe ich mich schon für den Fußball-Lehrer beworben, aber da war ich noch sehr neu. Jetzt wurde das Bewerbungsverfahren geändert. Bundesweit gibt es 16 Plätze, es ist nicht einfach, da reinzukommen. Aber ich werde es versuchen und hoffentlich irgendwann mal Fußball-Lehrer sein.
Marc Pfitzner zu seiner Trainer-Ausbildung

Neben allen so schwer greifbaren Attributen wie etwa dem Kampfgeist verfügt Pfitzner aber freilich auch über sportliche Kompetenzen. Für die Eintracht absolvierte er 248 Pflichtspiele – von der Regional- bis zur Bundesliga. „Für mich als Braunschweiger ist es selbstverständlich, in dieser sportlich herausfordernden Situation unserer Eintracht zu helfen, um schnellstmöglich wieder die nötigen Punkte zu sammeln“, sagt Pfitzner zu seiner Beförderung.

Marc Pfitzners Trainer-Bilanz ist beachtlich

Als Trainer führte der ehemalige Mittelfeldspieler im Sommer die U19 der Blau-Gelben zurück in die Bundesliga. Mit Eintrachts Zweitvertretung steht er an der Tabellenspitze der Landesliga. Bei den Profis arbeitete er als Co-Trainer. Die Zweitliga-Mannschaft übernimmt er nun interimsmäßig, wie es im Sport so schön heißt. Warum aber wird Pfitzner nicht gleich zum festen Chef befördert? Aus zwei Gründen. Die Ausbildung. Und das Risiko.

Den ersten schreiben die Statuten vor. Als Coach verfügt Pfitzner bislang über die A-Lizenz. Wer aber einen Profi-Klub trainieren will, braucht eine sogenannte Pro-Lizenz – besser bekannt als Fußball-Lehrer-Schein. Für kurzzeitige Engagements gibt es eine Ausnahme. Der DFB schreibt vor, dass Trainer ohne erforderliche Lizenz für maximal 15 Werktage als Chefcoach beschäftigt werden dürfen. Bei der Eintracht gibt‘s nur zwei Fußball-Lehrer: A-Jugend-Trainer Jonas Stephan und Sport-Geschäftsführer Peter Vollmann. Für eine langfristige interne Lösung wären also nur sie infrage gekommen.

Pfitzner stimmt die Eintracht auf das Derby gegen Hannover 96 ein

Der Zeitpunkt für Pfitzners temporäre Beförderung ist sicherlich nicht unclever. Denn so kann er das Team auf das Derby einstimmen und danach ins zweite Glied zurückkehren. Vorerst zumindest. Denn den Fußball-Lehrer-Lehrgang möchte der Braunschweiger „definitiv“ noch machen. „Vor zwei Jahren habe ich mich schon für den Fußball-Lehrer beworben, aber da war ich noch sehr neu. Jetzt wurde das Bewerbungsverfahren geändert. Bundesweit gibt es 16 Plätze, es ist nicht einfach, da reinzukommen. Aber ich werde es versuchen und hoffentlich irgendwann mal Fußball-Lehrer sein“, sagte Pfitzner unserer Zeitung im Sommer.

Für die kommenden zwei Partien genießt Pfitzner ganz sicher einen Vertrauensvorschuss bei den Fans. Und der ist üppig und selbst bei zwei Niederlagen sicher längst nicht aufgebraucht. Das bedingt sein Status als Klub-Ikone. Und bei den Anhängern kann er hoffentlich so etwas wie Aufbruchstimmung erzeugen. Das führt zum zweiten Punkt, warum die nun zeitlich befristete Lösung sinnvoll ist. Theoretisch könnte Pfitzner auch weiterhin Coach bleiben, sofern Stephan oder Vollmann als Trainer auf dem Spielberichtsbogen stehen. Doch wäre das zum jetzigen Zeitpunkt klug? Pfitzner spielt in den langfristigen Planungen der Eintracht eine entscheidende Rolle. Und diese weitreichende Vision sollte der Klub tunlichst entwickeln. Nun kann Pfitzner seine ersten Erfahrungen als Profi-Coach machen – ohne gleich verbrannt zu werden.

Peter Vollmann, Benjamin Kessel und Dennis Kruppke sollen neuen Trainer finden

Ob er das Zeug zu einem guten Trainer auf hohem Niveau hat, muss er freilich noch beweisen. Wer das Amt in zwei Wochen übernehmen wird, ist noch unklar. Die Eintracht fahndet nach einem Nachfolger. „In den nächsten beiden Wochen hat die sportliche Leitung um Peter Vollmann, Benjamin Kessel und Dennis Kruppke den Auftrag, parallel gemeinsam anhand eines klaren Anforderungsprofils einen Trainer für die Eintracht zu finden“, wird Präsidentin Nicole Kumpis in einer Klub-Mitteilung zitiert.

Für die Eintracht bedeutet das eine weitere finanzielle Belastung. Der Vertrag mit Härtel ist nicht aufgelöst. Der 54-Jährige ist freigestellt. Das heißt, er hat weiterhin Gehaltsansprüche. Gleiches gilt für den im Sommer geschassten Michael Schiele. Die Eintracht benötigt dringend mehr Konstanz. Seit der Trennung von Torsten Lieberknecht im Sommer 2018 ist Pfitzner nun schon der achte Übungsleiter. Es braucht Nachhaltigkeit – auf sämtlichen Ebenen. Dazu kann Pfitzner zukünftig vielleicht beitragen. Kurzfristig ist zu hoffen, dass er zumindest die richtige Würze mitbringt.