Braunschweig. Fan-Analyst Jussi-Pekka Rode, besser bekannt als „Blau-Gelbe Datenwelt“, ordnet Eintracht Braunschweigs Transferaktivitäten ein.

Drei Kriterien sollte der Kader von Eintracht Braunschweig erfüllen. Erstens muss er in der Lage sein, die Klasse zu halten. Zweitens muss seine Struktur nachhaltig weiterentwickelt werden. Und drittens sollte er auch aus entwicklungsfähigen Talenten bestehen. Die letzten beiden Kriterien sind dem ersten untergeordnet. Nachhaltigkeit ist bei der Eintracht nur möglich, wenn sie ihr sportliches Ziel erreicht. Beim Blick auf den aktuellen Kader des Fußball-Zweitligisten stellt sich die Frage: Sind die Transfers der einzelnen Spieler sinnvoll oder nicht? Als Kontext liegen die Kaderstärken der Ligakonkurrenten und der direkten Mitbewerber im Team zugrunde. Die Daten liefert Global Soccer Network (GSN).

Der Kader und das System - zwei Baustellen bei Eintracht Braunschweig

Thema Kader-Qualität: Hier ist Sport-Geschäftsführer Peter Vollmann in der Hauptverantwortung. Mit 11 externen Neuzugängen soll sich die Eintracht das Zweitliga-Ticket für die Saison 2024/25 sichern. Zwar hat sich die Qualität des Kaders im Durchschnitt leicht verbessert, aber die Zusammensetzung passt nicht optimal zur Spielidee von Jens Härtel. Besonders verwunderlich ist dabei, dass so viele Offensivspieler geholt wurden, die gerade in der Defensive ihre Schwächen haben, obwohl der Trainer die Defensivarbeit bevorzugt. Da sich auch die Konkurrenz verbessert hat, liegen die Löwen bei der Kader-Qualität ligaweit nur auf Platz 17, bezogen auf die GSN-Daten. Dies spiegelt sich auch in der Abstiegswahrscheinlichkeit wider, die mit 58 Prozent sehr hoch ist.

Thema Spieltagskader: Trainer Härtel steht ihr in der Hauptverantwortung. Wie schon erwähnt, passen die Spieler nicht optimal zur Spielphilosophie des Trainers. Um dem entgegenzuwirken, sollte Härtel ein wenig von seiner Spielidee abweichen und die Topspieler in seinem Kader berücksichtigen. Spieler wie Endo, Amyn oder Philippe sollten immer im Kader stehen, da sie, richtig eingesetzt, der Mannschaft weiterhelfen können. Härtel scheint hier einige Muster seines Vorgängers Michael Schiele zu wiederholen, der potenzielle Schlüsselspieler seiner Spielidee opferte. Auch die Kapitänsfrage stellt sich erneut, denn eine optimale Aufstellung wäre ein defensives 4-4-2 ohne Jannis Nikolaou: Ron-Thorben Hoffmann – Niko Kijewski, Robert Ivanov, Saulo Decarli, Marvin Rittmüller – Sebastian Griesbeck, Thórir Jóhan Helgason – Keita Endo, Maurice Multhaup – Anthony Ujah und Rayan Philippe würden hiernach in der Startelf stehen. Die Eintracht würde damit in der Top-Elf-Rangliste immerhin Platz 16 belegen.

Eintracht Braunschweigs Neuzugänge unter der Lupe

Tino Casali, Vertrag bis 2025: Der Österreicher kommt vom SCR Altach. Casali ist ein solider Torhüter für die 2. Bundesliga. Seine Stärken hat der 27-Jährige auf der Linie, bei hohen Bällen und in Eins-gegen-Eins-Situationen. Seine Schwächen liegen im Passspiel, im Herauslaufen und in der Beweglichkeit. Zu Recht reiht er sich zunächst als Nummer 2 hinter Ron-Thorben Hoffmann ein, auch wegen seiner schwächeren Strafraumbeherrschung und Fangtechnik.

Robert Ivanov, Vertrag bis 2025: Wenn alles passt, erreicht “Roba” in dieser Saison als Stammspieler zwei große sportliche Ziele: Mit der Eintracht den Klassenerhalt und mit der finnischen Nationalmannschaft die EM-Qualifikation. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die Lücke von Filip Benkovic wird der Finne mangels Qualität nicht füllen können. Dennoch passt er von seinen defensiven Eigenschaften her gut in die Liga. Ivanov hat Schwächen in der Entscheidungsfindung. Seine fehlende Schnelligkeit und Beweglichkeit sowie seine fehlende Raumfindung könnten ihm zeitlang Probleme bereiten. Um seinen Startelfplatz bei den Löwen und in der Nationalmannschaft muss er aber vermutlich nicht bangen.

Marvin Rittmüller, Vertrag bis 2025: Kein optimaler Transfer, bringt lediglich unteres Zweitliganiveau mit. Dürfte aber dennoch als Stammspieler gelten, da die defensiven Außenbahnen bei der Eintracht qualitativ nicht gut besetzt sind. Der 24-jährige Rechtsverteidiger ist noch entwicklungsfähig, spielt aber in den Planungen von Jens Härtel momentan noch eine eher untergeordnete Rolle. Als gelernter Außenverteidiger liegen seine Stärken in der Beweglichkeit, der Technik und im Passspiel. Auch sein taktisches Verhalten und seine guten Standards zeichnen ihn aus. Probleme hat er bei seinen offensiven Entscheidungen und seinem Gespür für die offensiven Räume, was auch bei seiner Einwechslung gegen St. Pauli deutlich wurde. Möglicherweise sind das Hindernisse für mehr Spielzeit bei einer Aufstellung mit nur einem Außenspieler pro Seite. Dafür bringt er viel Tempo mit. Gegen St. Pauli hatte er einen Top-Speed von 35,31 km/h.

Sebastian Griesbeck, Vertrag bis 2024: Der defensive Mittelfeldspieler hat mit 32 Jahren seinen Leistungszenit überschritten, ist aber von der Qualität her noch in der Lage, in der Bundesliga zu spielen. Damit ist er eine sehr gute Verstärkung für die Löwen. Er kann auch als Innenverteidiger auflaufen, aber das ist nicht seine stärkste Position. Griesbeck kann mutig und aggressiv spielen. Dazu verfügt er über eine gute Schnelligkeit (Bestwert: 33,89 km/h) und Kopfballstärke. Was man von ihm nicht erwarten darf, ist eine progressive Spielweise. Er spielt den Ball meist einfach zu seinen unmittelbaren Mitspielern. Nur sehr wenige Bälle landen weiter vorn. Eine Lücke, die die Braunschweiger Eintracht in dieser Transferphase nicht ganz schließen konnte.

Thórir Jóhann Helgason, Leihe bis 2024 mit Kaufoption: Noch mehr nordische Brise bei der Eintracht. Ein sehr guter Transfer. Ein Spieler, der vom Niveau her Bundesliga spielen und sich sogar zu einem guten Spieler für internationale Wettbewerbe entwickeln könnte. Sollte die Eintracht in der Liga bleiben, wäre es klug, die mögliche Kaufoption zu ziehen. Der 22-jährige isländische Nationalspieler ist vor allem in der Rolle des vorgeschobenen Spielmachers im zentralen Mittelfeld stark, kann aber auch als spielstarker Sechser agieren. Seine Stärken konnte man im Spiel gegen den FC St. Pauli sehen. Der Isländer ist nicht gerade als Scorerkönig bekannt, aber er kann den Ball gut verarbeiten, das Spiel mit seinen Pässen verlagern und ist sowohl in der Defensive als auch in der Offensive immer präsent. Er ist taktisch gut geschult und interpretiert seine Rolle als Spielmacher eher so, dass er für die Seitenverlagerungen zuständig ist. Ein Drittel seiner Pässe sind Verlagerungsbälle auf die Außen, sehr wenige Bälle gehen direkt in die Tiefe. Hier muss Härtel sicherstellen, dass Thórir Helgason auch in die Taktik eingebunden wird und die Eintracht auch vermehrt über die Flügel spielt.

Johan Gómez, Vertrag bis 2025: Der 22-jährige US-Amerikaner Johan Gómez kam vom FSV Zwickau aus der 3. Liga, spielt unter Härtel auch als Zehner sogar in der Startelf. Eigentlich wäre er aber auf der rechten offensiven Außenbahn besser aufgehoben, da er dort seine Schnelligkeit und Stärke im offensiven Eins-gegen-Eins ausspielen könnte. Er kann sich zu einem guten Zweitligaspieler entwickeln. Auf der Zehn haben die Löwen eigentlich bessere Optionen im Kader. Doch Gómez scheint Härtel mit seiner mutigen Spielweise und seiner Zweikampfstärke vorerst überzeugt zu haben. Defensiv hat er noch Luft nach oben.

Spieler mit großem Potenzial sitzen vermehrt auf der Bank

Youssef Amyn, Vertrag bis 2025: Ein 20-jähriges Toptalent, das von seiner Qualität her eigentlich Stammspieler sein könnte, anstatt auf der Bank oder gar Tribüne zu sitzen. Der inverse Außenstürmer könnte gut von der linken Außenbahn nach innen ziehen, ist aber aufgrund seiner Schnelligkeitsdefizite derzeit wohl am besten auf der Zehn aufgehoben. Kann sich zu einem Spieler internationaler Klasse entwickeln und hat laut Daten schon jetzt Bundesliga-Qualitäten. Amyn ist vom Typ her ein Straßenfußballer. Er verfügt über viel Kreativität und Übersicht. Durch sein aggressives Spiel und seine gute Technik könnte er die Braunschweiger Offensive beleben. Seine Schwächen in der Defensive und im taktischen Verhalten könnten Gründe sein, warum er unter Härtel keine Chance bekommt. Dies schwächt die Eintracht in der Offensive allerdings erheblich.

Sidi Sané, Vertrag bis 2025: Mit großen Hoffnungen zur Eintracht gewechselt, konnte der Bruder von Leroy leider noch nicht zeigen, was in ihm steckt, da er sich sofort verletzte. Auf dem Papier ist Sané aber ein guter Zweitligaspieler und kann sich zu einem soliden Bundesligaspieler entwickeln. Seine Stärken liegen auf den offensiven Außenbahnen. Seine Vorzüge sind Schnelligkeit, Wendigkeit und Passspiel. Er ist kreativ und – für Härtel sehr wichtig – er arbeitet auch defensiv mit. Wenn er wieder fit ist, muss er lernen, den Raum zu finden und sich taktisch besser zu verhalten.

Florian Krüger, Leihe bis 2024 mit Kaufoption: Der Neuzugang vom FC Groningen verfügt über ein unteres Bundesliganiveau. Für eine Doppelspitze mit Anthony Ujah, wie Härtel ihn zuletzt eingesetzt hat, ist er als Zielspielertyp nicht geeignet, da sich beide zu ähnlich sind. Mit seinen Stärken im Kopfball- und Passspiel, dem guten ersten Kontakt und der Spielintelligenz sollte Krüger sich mit Ujah abwechseln. Er wird auf seine Einsatzzeiten kommen und dürfte den Konkurrenzkampf in der Spitze erhöhen. Schwächen hat der 24-Jährige ausgerechnet im eigenen Abschluss und im offensiven Eins-gegen-Eins, aber auch im Defensivverhalten. Die Saisonprognose für ihn lautet bei circa 2000 Spielminuten: 5 Tore und 3 Vorlagen.

Kaan Caliskaner, Vertrag bis 2025: Caliskaner ist ein anderer Stürmertyp als Ujah oder Krüger, nämlich ein Stoßstürmer. Er sollte nicht im Mittelfeld spielen, da sein Passspiel dafür zu schwach ist. Er kann sich zu einem sehr guten Zweitligaspieler entwickeln, ist aber derzeit noch weit davon entfernt. Er bringt eine gute Physis mit und hat einen ordentlichen Zug nach vorne. Schwächen hat er im Passspiel und im Abschluss. Auch in der Defensive muss er sich noch stark verbessern.

Rayan Philippe, Vertrag bis 2025: Als einer der besten Spieler im Kader kann sich der 22-jährige Franzose zu einem überdurchschnittlichen Bundesligaspieler entwickeln. Von seiner Klasse her könnte er laut Daten schon jetzt in der Bundesliga spielen, braucht aber noch etwas Eingewöhnungszeit, was die Intensität in der 2. Liga angeht. Sein Tempo reicht nicht für die Außenbahn, dafür könnte man ihn gut als Knipser im Zentrum gebrauchen. Seine Stärken hat er im Abschluss, auch bei Distanzschüssen. Nach vorne spielt er mutig und trifft gute Entscheidungen. Schwächen hat der Franzose vor allem, wenn es um die Defensive geht – wie so viele im Team. Taktisch muss er noch dazulernen.

Fazit: Die Kader-Zusammenstellung ist nicht optimal verlaufen. Man konnte sich im Verhältnis nicht verstärken und die Spieler passen nicht zur Spielidee des Trainers. Insbesondere sollten sich die Verantwortlichen fragen, warum sie Offensivspieler geholt haben, die gerade in der von Härtel geforderten Defensivarbeit ihre Schwächen haben. Umgekehrt sollte sich das Trainerteam aber auch Gedanken darüber machen, wie man talentierte Spieler wie Endo, Amyn oder Philippe integrieren kann. Vor allem auf den defensiven Außenpositionen ist man im Liga-Vergleich nach wie vor schwach besetzt, was in der kommenden Transferphase behoben werden sollte. Die Spieler an sich sind entwicklungsfähig, was ein toller Pluspunkt in der Kaderplanung ist. Dafür muss das Team aber erst einmal sportlich erfolgreich sein.

Für den Blog „2hundert10.de“, einem Projekt von Fans, analysiert Jussi-Pekka Rode unter anderem Spieler und Spiele von Fußball-Zweitligist Eintracht Braunschweig. Der 40-Jährige lebt in Finnlands Hauptstadt Helsinki und ist zertifizierter Taktik-Analytiker. Für unsere Zeitung hat der als „Blau-Gelbe Datenwelt“ bekannte Blogger das Wirken seines Herzensvereins auf dem Transfermarkt und dem Spielfeld mithilfe von Daten eingeordnet.