Braunschweig. Urheber Thilo Götz erinnert sich, wie er auf die Idee zu dem Fan-Wechselgesang kam – und was ein Europacup-Spiel in Belgrad damit zu tun hatte.

Am 26. September 1996 schaltete Thilo Götz seinen Fernseher ein. Fußballspiele schaut er sich eigentlich nur selten auf der Mattscheibe an. An diesem Abend aber hatte der Feuerwehrmann Zeit. Es lief das Europacup-Spiel zwischen Roter Stern Belgrad und dem 1. FC Kaiserslautern. Was aus diesem Fernseh-Abend entspringen würde, war ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Nämlich ein Klassiker der Fankultur von Eintracht Braunschweig: Das Harz-und-Heideland-Lied.

Den Wechselgesang kennt heute jeder, der es mit den Blau-Gelben hält. Die Südkurve gibt vor: „Zwischen Harz und Heideland.“ Der Rest des Stadions singt nach. Dieses Prozedere wiederholt sich acht Zeilen lang. Und im Stadion an der Hamburger Straße weiß jeder, was zu tun ist – egal ob Haupttribünen-Besucher gehobenen Alters oder Steppke in Block 5.

Fans wie Thilo Götz schauen Fußball mit anderen Antennen

Doch zurück zum Fernsehabend. Götz ist schon seit Jahrzehnten Fan der Eintracht. Obwohl er in Köln wohnt, verpasst er nur wenige Spiele. Und er war der erste Vorsänger der Blau-Gelben – also derjenige, der vor den Fanblöcken die Stimmung antreibt. Wenn er Fußball guckt, schaut er nicht einfach nur das Spiel. Er blickt auf die Tribünen, spitzt die Ohren, versucht einzufangen, wie sich die Anhänger verhalten. „Ich schaue so ein Spiel mit anderen Antennen“, fasst Götz zusammen.

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Die Belgrader Fans schmetterten an diesem Abend einen Gesang auf eine Melodie, die den heute 52-Jährigen aufhorchen ließ. Ein Rhythmus, der an ein Marschlied erinnert – mit einem Vor- und vielen Nachsängern. „Ich dachte, das kenne ich doch. Dann fiel mir ein, dass ich diesen Rhythmus einmal in einem Film gehört hatte“, sagt Götz. Dieser Film war „Full Metal Jacket“, ein Antikriegs-Drama aus dem Jahr 1987.

Harz-und-Heideland-Lied: Generalprobe im Zug zwischen Berlin und Kiew

Die Melodie ließ ihn nicht mehr los. Der Eintracht-Fan dichtete später ein paar Zeilen – natürlich mit Bezug auf Eintracht Braunschweig. Dieser Prozess lief flüssig wie das Wolters in der Südkurve. „Das hat keine zwei Stunden gedauert“, sagt Götz und lacht. Die Vereinsfarben, das Wappen, die Stadt und die Fans waren die gedanklichen Orientierungspunkte. Der Rest war kein Problem mehr.

Seine Generalprobe hatte das Harz-und-Heideland-Lied dann aber erst eine ganze Weile darauf. In einem Zug irgendwo zwischen Berlin und Kiew trug Götz seine Idee vor. Mit etwa 20 anderen war er im Juni 1997 auf dem Weg zum Länderspiel zwischen der Ukraine und Deutschland. „Die haben erstmal ein wenig verdutzt geguckt, weil es ja auch kein klassischer Fan-Gesang war. Ich habe gesagt: ,Ich gebe den Text vor, und ihr singt ihn nach.‘ Die anderen fanden das Lied aber ganz gut“, erklärt Götz.

Der bekannteste Fan-Gesang von Eintracht Braunschweig?

Die Uraufführung im Eintracht-Stadion folgte in der neuen Saison. „Da habe ich gemerkt, dass die Leute sich damit identifizieren konnten“, sagt der Kölner. Außerdem: Der Gesang ist kurz und bündig. Jeder kann sich die Zeilen zügig merken.

Heute – rund 26 Jahre später – „merke ich, dass es wohl das einzige Eintracht-Lied ist, das jeder kennt“, sagt Götz, „das macht schon stolz“. Er wollte ein Unikum schaffen. Einen Gesang kreieren, der einzigartig ist. Das ist gelungen. Diese Melodie und der auf einen bestimmten Klub bezogene Text waren in Deutschland gänzlich neu.

Eintracht-Fan wollte ein Unikum schaffen

Und siehe da: Im Laufe der Zeit gab es Nachahmer. Das ist im Fußball ja wahrlich nicht neu. Der Gesang, der normalerweise mit den Worten „von der Elbe bis zur Isar“ beginnt und auf den Rhythmus des Songs „Oh My Darling Clementine“ gebannt wurde, wabert durch diverse Stadien der Republik. „Wir haben ja keine Lizenz darauf“, sagt Götz und lacht, „in Deutschland denkt man sich als Fan dann: ,Okay, ihr habt’s nachgemacht, aber wir waren die Ersten.“

In Fankulturen anderer Länder könne das durchaus anders laufen. Auch auf verschiedensten Schals, T-Shirts oder Pullis wurden die Zeilen als optischer Nachweis der Verbundenheit zur Eintracht gedruckt. Und eine Studioversion gibt es auch. In der werden die Textzeilen von verschiedenen Braunschweiger Lokal-Größen dargeboten. Vor den Heimspielen wird sie über die Lautsprecher des Stadions gepumpt. In Braunschweig kennt’s eben jeder. In anderen Städten wird vielleicht zweimal geschaut auf den eigentümlichen Text. Für Eintracht-Fans ist er auch identitätsstiftend. Vielleicht sogar ein Beleg der Integrität. Und all das startete mit dem Spiel zwischen Roter Stern Belgrad und dem 1. FC Kaiserslautern – und weil Thilo Götz den Fernseher einschaltete.