Essen. Trainer-Legende Huub Stevens erklärt, was die große Fußball-Nation ändern muss.

Da standen sie nun auf dem Rasen und wussten nicht wohin mit ihren Gefühlen, so öffentlich beobachtet von Tausenden ebenfalls tief Enttäuschten in Amsterdams Arena. Bondscoach Dick Advocaat schlug eine Hand vor das Gesicht, Bas Dost senkte den Kopf, Daryl Janmaat starrte in die Gegend. Als Arjen Robben sich gefasst hatte, schnappte er sich seine beiden Söhne Luka und Kai und drehte eine Ehrenrunde.

Das war’s. Die stolze Fußball-Nation Niederlande gewann gegen Schweden nur 2:0, verpasste damit nach der EM 2016 auch die WM 2018, und der zweimalige Torschütze Arjen Robben verabschiedete sich nach 96 Länderspielen von der Nationalmannschaft.

„Ich bin jetzt 33, ich spiele bei einem europäischen Top-Klub, und darauf will ich mich nun vollständig konzentrieren“, sagte der Flügelstürmer vom FC Bayern. Jetzt geht er – und verstärkt die Ratlosigkeit. Denn hinter ihm klafft ohnehin schon eine Generationslücke, die seit Jahren nicht geschlossen werden konnte. Und es wird dauern, auf neue Stars vom Weltklasseformat eines Arjen Robben oder seiner berühmten Vorgänger Johan Cruyff, Johan Neeskens, Ruud Gullit, Marco van Basten, Frank Rijkaard, Dennis Bergkamp und Clarence Seedorf zu warten.

„Es gibt einige interessante Talente, aber die sind 17, 18 Jahre alt und noch nicht reif für die Nationalmannschaft“, sagt Huub Stevens im Gespräch mit dieser Zeitung. Der ehemalige niederländische Nationalspieler und langjährige Bundesligatrainer in Schalke, Berlin, Köln, Hamburg, Stuttgart und Hoffenheim fordert, dass die Verantwortlichen in seinem Land aus dem aktuellen WM-K.o. die richtigen Schlüsse ziehen: „Die Niederlande müssen umdenken. Hier wird seit Jahren anders trainiert, es wird viel Wert auf Technik und Ballbesitz gelegt. Aber du brauchst Leute, die einen verlorenen Ball zurückerobern. Schon in der Jugend muss man deshalb anders trainieren. Die Spieler müssen lernen, sich zu behaupten, sich durchzusetzen, Widerstand zu leisten. Es geht nicht nur um Qualität, sondern auch um Mentalität. Darauf zu achten, das wurde in den vergangenen Jahren versäumt.“

Dabei waren die Niederländer einst stilbildend. In den 70er- und 80er-Jahren waren sie die Ersten, die ihre Jugendteams im gleichen System spielen ließen wie die Profis. Das berühmte 4-3-3-System mit wendigen, schnellen, torgefährlichen Außenangreifern war so attraktiv und erfolgreich, dass sich die Auffassung durchsetzte, es nicht ändern zu müssen.

Zeitgleich aber lernten andere Nationen dazu – wie der große Nachbar Deutschland, der es leid war, sich auf die Kraft und Wucht von Kampfwalzen zu verlassen. Nach den EM-Pleiten in den Jahren 2000 und 2004 entstanden Nachwuchs-Akademien, in denen Hochglanzfußball gelehrt wurde. Die Weltmeister-Mannschaft von 2014 vereinte Top-Techniker und Haudegen – eine solche Mischung fehlt den Niederländern.

Es fehlen aber auch internationale Erfolge der Klubs: Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam und PSV Eindhoven gehören nicht mehr zu Europas Spitze, die niederländische Liga ist für hochbegabte Fußballer kein Ziel.

Die Folge: Sie wechseln schon mit 16 oder 17 Jahren ins Ausland, sie spekulieren auf große Karrieren bei den reichen Klubs in England und Spanien. „Für viele der Jungen ist es aber zu früh, die Heimat zu verlassen“, sagt Huub Stevens. „Sie brauchen die Wärme, die ihr Zuhause bietet, und sie brauchen vor allem Spielpraxis. Aber leider gehen viele dorthin, wo mehr bezahlt wird.“

Der 63-Jährige, von den Schalke-Fans zum Jahrhunderttrainer der Königsblauen gewählt, bedauert diese Entwicklung sehr. Ihm missfällt der zunehmende Einfluss profitsüchtiger Berater, gibt denen aber nicht die Alleinschuld: „Auch die Eltern haben oft Dollarzeichen in den Augen.“ In solchen Fällen sei man als kleines Land eben chancenlos gegen die Konkurrenz.

Aber Huub Stevens will nicht nur Grantler sein, der optimistische Ausblick ist ihm wichtig. „In der Zukunft werden wir auch wieder starke Fußballer haben“, sagt er. Wohl wissend, dass bis dahin viel Geduld benötigt wird.