London. Wayde van Niekerk will Gold über 200 und 400 Meter. Seine Trainerin ist schon Uroma.

Als Wayde van Niekerk in den Katakomben des Londoner Olympiastadions den Reportern erzählte, wie er seinen Sieg im Halbfinale über 400 Meter in 44,20 Sekunden erlebt habe, fasste er sich kurz: „Es ist ein guter Wettkampf hier, aber es bedeutet auch, ich muss hier mein Ding machen.“ Wer verstehen will, was der Südafrikaner sagt, muss seine Ohren spitzen. Van Niekerk spricht verhalten, seine Stimme ist sanft.

Und ausgerechnet diesem Mann der leisen Töne traut Usain Bolt zu, seine Nachfolge als Führungsfigur der Leichtathletik anzutreten? „Wayde hat gezeigt, dass er die Herausforderung annimmt, er ist bodenständig und bescheiden“, sagte Bolt kurz vor Beginn der WM. „Er hat gezeigt, dass er die Herausforderung annimmt, er ist eine große Person.“

Van Niekerk stand in den vergangenen beiden Jahren im Schatten des übermächtigen Bolt, inzwischen hat er mächtig aufgeholt. Während der Jamaikaner von Jahr zu Jahr langsamer wurde und jetzt sogar bezwungen wurde, geht van Niekerks Leistungskurve steil nach oben. Vor zwei Jahren gewann der damals erst 23-jährige van Niekerk den WM-Titel über 400 Meter, im Sommer 2016 flog er zum olympischen Gold über 400 Meter in 43,03 Sekunden und pulverisierte den 17 Jahre bestehenden Weltrekord des US-Amerikaners Michael Johnson.

Wayde van Niekerk will bei der WM in London das schaffen, was der heute 49-jährige Johnson 1995 in Göteborg erreicht hatte: Das Double über 200 und 400 Meter.

Dass auch der Leichtathletik-Weltverband nach Bolts Abschied im Kampf um Medienaufmerksamkeit auf van Niekerk setzt, zeigt die Tatsache, dass extra der Zeitplan in London geändert wurde, um van Niekerk die Mission Double zu ermöglichen. Am Dienstag will der Südafrikaner erst das Gold über 400 Meter und dann am Donnerstag den Titel über 200 Meter gewinnen.

Ein neuer Bolt wird van Niekerk aber auch mit solchen grandiosen Erfolgen nicht. Unterschiedlicher können Menschen kaum sein als Bolt und van Niekerk. Während sich das vor Selbstvertrauen strotzende Alphamännchen Bolt gern mal Junk Food essend oder mit Groupies im Nachtclub flirtend präsentierte, fällt der schüchterne, in sich gekehrte van Niekerk nur durch zwei Dinge auf, die nicht der Norm entsprechen: seine Schuhe, weil auf ihnen der Spruch „Jesus, I’m all yours, use me“ (Jesus, ich bin dein, führe mich) gestickt ist, – und seine Trainerin, die 75-jährige Ans Botha.

Es ist ein ungleiches Paar, der schmächtige Läufer mit den eleganten Schritten und die weißhaarige Frau, die drei Kinder, fünf Enkel und fünf Urenkel hat. „Sie ist eine fantastische Frau. Sie spielt eine riesengroße Rolle für das, was ich heute bin“, schwärmt van Niekerk über seine Trainerin, die in den Sechziger Jahren Weitspringerin war. “Sie sorgt dafür, dass ich dabei diszipliniert und fokussiert bleibe.“

Seit 2012 kümmert sich Botha um Wayde van Niekerk. Tannie Ans, Tante Ans, wie sie in Südafrika genannt wird, formte das Talent zum Star. „Zu Beginn unserer Zusammenarbeit war Wayde noch ein Junge“, erinnert sich die Trainerin. „Aber er hat sich unglaublich entwickelt. Nicht nur physisch, auch mental. Ich schätze Usain Bolt für das, was er getan hat. Ich möchte jedoch aus Wayde eine eigene Marke machen.“

Zum Weltmeister und Olympiasieger hat die Uroma ihren Schützling schon gemacht. Und van Niekerk hat bereits etwas erreicht, was keinem anderen Läufer vorher gelungen ist. Van Niekerk hat die magischen Marken geknackt: Er ist die 100 Meter unter zehn, die 200 Meter unter 20 und die 400 Meter unter 44 Sekunden gerannt. Es ist gut möglich, dass er heute im 400-Meter-Finale sogar als erster Mensch unter 43 Sekunden läuft.

Wayde van Niekerk ist schon ein Star, aber er ist längst nicht der einzige Weltklasse-Leichtathlet seines Landes. Caster Semenya, die Olympiasiegerin von 2012 und 2016 über 800 Meter, macht schon lange durch ihre Leistungen und durch ihren erhöhten Testosteron-Wert von sich reden. Der Weitspringer Luvo Manyonga holte in London bereits Gold für Südafrika. 2012 wurde Crystal Meth in seinem Urin gefunden. Manyonga, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, wurde gesperrt und rutschte immer wieder in den Drogensumpf ab. „Jetzt ist er Weltmeister. Das ist eine tolle Geschichte“, sagte Ruswahl Samaai, der Bronze im Weitsprung holte. „Wir kommen beide aus Townships. Wir haben die Medaillen nicht nur für uns geholt, sondern für unser ganzes Land. Wir wollen die Jugend in Südafrika inspirieren.“ Wayde van Niekerk könnte schon bald von noch mehr starken Teamkollegen umgeben sein.