Wolfsburg. Valérien Ismaël spricht in seinem ersten Interview als neuer VfL-Cheftrainer über seine Philosophie und Ziele.

Valérien Ismaël hat gerade seine erste Einheit als frisch ernannter Cheftrainer des Bundesligisten VfL Wolfsburg hinter sich, da nimmt er schon Platz zum ersten Interview. Eine Tasse Kaffee vor sich, erläutert der 41-jährige Franzose unseren Redakteuren Christian Buchler und Leonard Hartmann seine Philosophie. Leidenschaftlich, gestenreich und wortgewandt. Wie auf dem Platz. Nach 45 Minuten kippt Ismaël das kaltgewordene Heißgetränk in die Spüle. Wenn er über Fußball spricht, blendet er alles andere aus.

Herr Ismaël, Sie haben die Mannschaft stabilisiert. Wie sieht nun der nächste Schritt aus?

Wir haben einen Weg eingeschlagen und der Mannschaft klargemacht, was wir sehen wollen. Jetzt geht es darum, das zu bestätigen und weiter zu intensivieren. In unserer jetzigen Situation geht es erst einmal darum, Sicherheit und Kompaktheit in die Arbeit gegen den Ball zu bekommen. Dann geht es an die Arbeit mit dem Ball, da müssen wir uns noch besser bewegen. Es ist wichtig für uns, nach dem Sieg in Freiburg nachzulegen, um in Schwung zu kommen.

Wie stark müssen Sie nicht nur auf dem Platz, sondern auch psychologisch auf Ihr Team einwirken?

Ich muss die Balance finden, was die Mannschaft braucht. Durch den Sieg sind wir ein bisschen aufgelockert, und es herrscht nicht mehr so großer Redebedarf. Aber es ist immer wichtig, ein Gefühl zu bekommen, ob alles in Ordnung ist. Man merkt schon, dass ein bisschen Druck von der Mannschaft gewichen ist.

Müssen Sie aufpassen, dass nicht zu schnell Zufriedenheit einkehrt?

Nein, die vergangenen Wochen sind noch zu präsent. Der Sieg ist eine Erleichterung, mehr nicht. Es herrscht keine Gemütlichkeit oder Wir-haben-uns-alle-lieb-Stimmung. Es gibt nur das gute Gefühl, endlich mal wieder ein Bundesligaspiel gewonnen zu haben. Wir freuen uns auf die nächste Aufgabe.

Die heißt Schalke 04. Ist das schon ein Endspiel, wenn man es doch noch in dieser Saison nach Europa schaffen will?

Das sehe ich nicht so. Natürlich ist das Spiel wichtig, weil es uns sehr helfen könnte. Unser Ziel ist, das Heimspiel zu gewinnen. Wir brauchen Konstanz in unseren Leistungen und wollen eine Serie starten. Wenn man unten herauskommen will, muss man mehrere Spiele in Folge gewinnen.

Bis zur Winterpause sind es noch sechs Spiele: Wie lautet das Ziel?

Es geht um die Entwicklung der Mannschaft. Ich weiß noch nicht, wie gefestigt unser Konstrukt ist. In Freiburg haben wir gezeigt, was wir können, und darauf baue ich als Trainer auf. Wenn wir in der Lage sind, solche Leistungen sechsmal hintereinander zu bringen, kann man über andere Ziele sprechen. Aber momentan ist es noch zu früh. Ich muss ein Gefühl bekommen: Welche meiner Vorstellungen hat die Mannschaft schon verinnerlicht, und woran müssen wir noch einmal arbeiten?

Gemäß welcher Spielphilosophie?

Drei Punkte habe ich der Mannschaft aufgezeigt: die Arbeit gegen den Ball, Kompaktheit und Ballbesitz. Die Mannschaft hat es in Freiburg gegen den Ball wirklich extrem gut gemacht, die Abstände zwischen den Linien dürfen nie zu groß sein, damit bei Ballverlust der ballnahe Spieler sofort draufgehen kann. Wenn der es nicht schafft, kommt der nächste und dann wieder der nächste. Gegen Freiburg gab es eine unglaubliche Szene: Der Gegner ist 44 Sekunden in Ballbesitz geblieben, und wir haben nie locker gelassen, sind immer wieder hinterhergerannt und draufgegangen, bis der Gegner einen Fehler gemacht hat. Darum geht es in erster Linie. Es lohnt sich, sich zu quälen.

Und wenn es nicht alle tun, müssen im Winter Verstärkungen her…

So weit sind wir noch nicht. Wenn unsere Verletzten zurück bei 100 Prozent sind, sieht der Kader schon gut aus. Aber wir beobachten in den nächsten Wochen, wie konsequent die Mannschaft die Vorgaben umsetzt. Und vielleicht müssen wir dann nachjustieren. Das werden wir analysieren.

Durften Sie denn Wünsche bei Manager Klaus Allofs hinterlegen?

Wir haben uns darüber ausgetauscht. Der Grundgedanke ist, dass ich Fußballer brauche, die viel Herz zeigen und die intensiv arbeiten.

Während Ihrer kurzen Cheftrainer-Station bei Zweitligist Nürnberg funktionierte es nicht. Sie mussten bald wieder gehen. Haben Sie daraus Lehren ziehen können?

Da ist vieles zusammengekommen: Die Mannschaft hatte noch nie zusammengespielt. 20 Spieler weg, 20 Spieler neu. Dazu kamen hohe Ziele, ein unruhiges Umfeld und ein neuer Trainer, der bei seiner ersten „großen“ Station noch entscheidende Fehler machte. Eigentlich musste sich alles noch finden, ich brauchte Zeit. Aber die hat man nicht. Ich hatte aber gespürt, dass ich auf dem richtigen Weg war. Nur bis ich verstanden hatte, wie alles funktioniert, war es schon zu spät. Man erkennt die Qualität eines Menschen, eines Spielers und eines Trainers daran, wie er auf eine Niederlage reagiert und wie er danach wieder aufsteht. Man muss auf seinem Weg bleiben. Mein Ziel blieb es, mich als Trainer zu etablieren. Ich weiß, dass es ein harter Weg ist. Aber ich werde ihn nicht aus dem Auge verlieren, nur weil ich Misserfolg hatte. So war ich schon als Spieler. Bevor ich Meister und Pokalsieger wurde, gab es auch schwere Zeiten, in denen ich drei Monate arbeitslos war. Man braucht solche Phasen, um stärker zu werden. Daher bin ich dankbar für diese Erfahrung.