Braunschweig. Mein perfektes Wochenende: Corinna Melcher arbeitet ehrenamtlich im Filmfest-Verein Braunschweig.

Corinna Melcher (32) ist nur unwesentlich älter als das Internationale Filmfest Braunschweig, das in diesem Jahr zum 31. Mal stattfindet. Und es scheint so, als seien das Filmfest und sie eins. Ihre Augen strahlen, wenn sie erzählt, wie sie zum Filmfest gekommen ist, wie viel Freude sie an ihrer Arbeit im Filmfest-Verein, seit 2015 im Vorstand, hat. „Ich finde es schade, dass Menschen so wenig ins Kino gehen“, sagt sie.

Die Medienwissenschaftlerin, die an der TU Braunschweig arbeitet und freiberuflich als Grafik-Designerin tätig ist, hat schon frühzeitig zum Filmfest gefunden. Ihre Mutter nahm sie mit. Was Corinna Melcher damals besonders fasziniert hat? „Ich konnte Fragen stellen, mehr über den Film und sein Entstehen erfahren.“

Das macht Filmfestivals aus, dass nicht nur die Filme gezeigt werden, sondern Schauspieler, Regisseure, Produzenten, Drehbuchautoren usw. anwesend sind und mit ihnen über den Film gesprochen, diskutiert werden kann. Nicht nur der Film an sich, sondern sein Entstehungsprozess wird erfahrbar. Ein Filmerlebnis ganz anderer Art.

Später hat Corinna Melcher Plakate und Prospekte in Kneipen verteilt und dafür Kinokarten erhalten. „Fünf Freikarten fürs Kino, das war schon was als Schülerin“, erklärt sie.

Im Jahr 2005 trat sie in den Filmfest-Verein ein. Sie hat sich unterschiedliche Gruppen zur Vorbereitung des Filmfests angesehen und dort mitgearbeitet: Neue deutsche Filme, Kurzfilme und Filme zum Publikumswettbewerb „Der Heinrich“.

Wie läuft das ab? Was ist zu tun in Vorbereitung dieses nicht nur in Braunschweig inzwischen gut etablierten Ereignisses? Im Moment herrscht noch die Ruhe vor dem nächsten Filmfest, das vom 17. bis 22. Oktober stattfindet. Aber so ungefähr ab April geht es wieder los. Dann müssen die Filme für die einzelnen Reihen gesichtet werden.

Sehen wir uns mal die Filmauswahl für den Publikumswettbewerb „Der Heinrich“ genauer an: Hierfür müssen zehn Filme ausgesucht werden, europäische Debüt- oder Zweitfilme.

Für den mit 10 000 Euro dotierten Preis müssen schon mal 120 Filme gesichtet werden – Filme, die eingereicht werden oder die Mitglieder des Filmfest-Vereins auf anderen Filmfestivals gesehen oder in Rezensionen entdeckt haben und für geeignet halten. Eine Gruppe von mindestens drei Leuten muss sich diese Filme ansehen, und das tut zunächst einmal jeder für sich allein.

„Früher war das so, dass jeder in unser Büro gegangen ist und sich einen Stapel Filme gegriffen hat. Heute haben wir einen Server, auf den wir von Zuhause zugreifen können“, erzählt Corinna Melcher. 120 Filme mit jeweils einer ungefähren Länge von 90 Minuten, da braucht es schon das ein oder andere Wochenende, den ein oder anderen Abend, um sich ein Bild zu machen.

Nicht jeder sieht sich jeden Film an. Aber jeder bildet sich über die Filme, die er gesehen hat, eine persönliche Meinung und stellt die Filme in der Gruppe vor. Dabei spielen natürlich auch objektive Kriterien wie zum Beispiel die Kameraführung oder die Ausstattung des Films eine Rolle.

Gibt es denn beim Sichten der „Heinrich“-Filme schlechte Filme, die man sich nicht bis zum Ende ansehen mag? „Nein“, sagt Corinna Melcher, „die Langfilme sind alle gut, weil da eine Menge an Geld, Personal und Organisation drin steckt.“ Am Abspann sehe man ja gut, wie viele Menschen an einem Film beteiligt seien. Bei Kurzfilmen sei das etwas anderes. Die könne inzwischen jeder machen, da sei die Qualität manchmal nicht so gut. „Aber“, sagt sie lachend, „so ein Kurzfilm ist ja glücklicherweise auch schnell vorbei“.

Nach dem individuellen Sichten wird in der „Heinrich“-Gruppe diskutiert, bis nur noch 10 Filme übrigbleiben. Auch das kann dauern. Und natürlich gibt es auch eine Ersatzliste, falls ein Film nicht mehr zu haben oder schlicht zu teuer ist.

Das Ganze ist ein offener Prozess. „Beim Sichten entdeckt man von Jahr zu Jahr einen anderen roten Faden, der sich durch die Filme zieht. Das ist spannend, da man vorher nicht weiß, was dieses Jahr angesagt sein wird“, erklärt Corinna Melcher.

Und wenn dann alle Gruppen ihr Programm fertig haben, müssen die Filme angefragt und das Festival insgesamt organisiert werden. Und da zählt jede Hand. Vom Dekorieren der Kinos über das Dolmetschen der Gäste bis zum Verteilen der Stimmkarten für den Publikumswettbewerb „Der Heinrich“.

Und was treibt Corinna Melcher an, sich für das Filmfest zu engagieren? „Ich möchte Werte vermitteln. Wir sind kein politisches Festival, aber Kultur ist ein politischer Faktor.“ Gerade in Zeiten zunehmender Fremdenfeindlichkeit können Filme aus aller Welt die Augen öffnen für die Welt, für deren Vielfalt, für Individualität und die offene Gesellschaft. „Es ist eine angenehme Art, Politik zu betreiben“, sagt Corinna Melcher.

Und sie verweist auf einen Programmschwerpunkt des vergangenen Filmfests: Anlässlich des Jubiläums „25 Jahre deutsch-pol- nischer Partnerschaftsvertrag“ wurden zehn polnische Filme aus den Jahren 2013 bis 2016 gezeigt, darunter der Oscar-prämierte Film „Ida“ von Pawel Pawlikowski und „Walesa. Man of Hope“ von Andrzej Wajda. Zehn Jahre wurde in Polen der Film gefördert. Doch nach dem Sieg der nationalkonservativen PiS-Partei soll die polnische Kultur „der Stärkung der patriotischen Einstellungen dienen“, so Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo.

„Da haben Kritik und die Freiheit der Kunst keinen Platz mehr. Umso notwendiger sind Menschen, die sich für die Freiheit der Kultur engagieren“, meint Corinna Melcher.