Mein perfektes Wochenende. Jenny Scriven und Wohlert Wohlers reisen befreundeten Künstlern und verehrten Komponisten nach.

Andere hoppen von Stadion zu Stadion, bei Jeannie Scriven und Wohlert Wohlers könnte man sagen, sie sammeln Opernhäuser. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit, denn eigentlich reisen sie wegen der Musik. Und um Menschen kennenzulernen, die Musik machen oder als Zuschauer lieben wie sie.

So kommt das Braunschweiger Ehepaar zwar gerade aus Prag und will im November endlich zum ersten Mal in die New Yorker Metropolitan Opera gehen, aber die beiden Opernfans fahren auch nach Regensburg, Hagen oder Hildesheim. Natürlich haben sie ein Abonnement am Staatstheater Braunschweig, aber auch eins in Hannover und an der Deutschen Oper Berlin.

Begonnen hat das 1995 mit einer „Norma“-Aufführung am Staatstheater. „Oh, Bellini liebe ich bis heute am meisten von allen, diese herrlichen Melodien tun einfach gut“, sagt Jeannie Scriven. Ihr Mann dazu nur trocken: „Gut, dass er tot ist, sonst würde sie mit ihm durchbrennen!“

Sofort wollten die beiden damals diese „Norma“ noch einmal sehen –aber es war die letzte Vorstellung. „Da haben wir uns gleich ein Abo gekauft, damit uns das nicht wieder passiert“, sagt die gebürtige Engländerin. Sie ist in Leeds durchaus mit Musik groß geworden, spielt zu Hause auf dem Klavier Chopin, aber es ist die Oper, die sie letztlich richtig gepackt hat.

„Da waren wir auch schon über 40“, sagt Wohlers, „das ist das Alter, in dem man die Menschen gewinnen muss. Dass nicht schon Jugendliche massenhaft in die Oper laufen, ist doch okay.“

Die Liebe bestärkt hat dabei zweifellos die Bekanntschaft mit den Künstlern. Es war bei einem Neujahrsempfang dieser Zeitung im Malersaal des Staatstheaters, dass sie Gelegenheit bekamen, auf die dort auftretenden Sänger zuzugehen. „Ich spreche jeden an, der mich interessiert!“, sagt Jeannie Scriven unumwunden. Und so holte sie sich Bariton Peter Bording, der inzwischen wieder am Staatstheater singt (zum Beispiel in der Oper „Hexenjagd“), an ihren Stehtisch, zusammen mit Dramaturgin Annette Zühlke. Man verstand sich so gut, dass das Ehepaar das gesamte Musiktheaterensemble zu sich nach Hause einlud. „Sogar Operndirektorin Brigitte Fassbaender kam“, sagt Wohlers stolz.

Seither passt das Ehepaar auf, wo ehemalige Braunschweiger Sänger auftreten. Ob Michelle Breedt in Bayreuth, Mario Klein in Regensburg, Rainer Zaun in Hagen, Janina Baechle in München oder Peter Bording in Berlin – sie fahren hin und treffen sich oft hinterher mit den Künstlern in der Kantine oder im Café.

Scriven ist auch nicht scheu vor neuen Bekanntschaften. Begeistert von Alice Coote als Octavian im Münchner „Rosenkavalier“, warf sie ihr eine rote Rose aus der Seitenloge zu. Als die Sängerin damit nach der Vorstellung ins gegenüberliegende Spatenhaus einlief, hatte Scriven einen Anknüpfungspunkt.

Kommunikativ ist die schon seit Schulzeiten Deutsch sprechende Engländerin, die in Dublin moderne Sprachen und in Bath Management studiert hat, schon von Berufs wegen. An der Uni Norwich war sie Dozentin für Weiterbildung, in Braunschweig am Biotechnologiezentrum (HZI) verant- wortlich für den internationalen Austausch und die Gaststudenten. Eine Zeit voller Reisen.

Das Ehepaar lernte sich in Norwich kennen, als Biologe Wohlers dort beim „Papst der Blattlausforschung“ seinen Postdoc machte. Nicht ohne in 14 Tagen fünf Gilbert-und-Sullivan-Opern zu se- hen. Durch eine Freundin lernten sie sich kennen und lieben. Die ersten Jahre pendelte Scriven zwischen Norwich und Braunschweig, dann fand sich der Job hier.

Das Wissenschaftlerleben führte beide auch eineinhalb Jahre nach China. „Wir haben 30 China-Opern geguckt, aber immer letzte Reihe. Sie sind einfach zu laut, weil die Sänger die speisenden Zuschauer im Parkett übertönen müssen“, erzählt Wohlers. In einem Laden in der Opernstraße hat ihm seine Frau ein originales China-Opernkostüm erstanden, das heute kleidsam an der Wand über dem Klavier hängt.

Natürlich sind die beiden Opernfans auch den angesagten Stars auf den Fersen. Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Anja Harteros – haben sie alle schon gesehen. Und natürlich immer wieder Bellini, zuletzt etwa „Norma“ im Fenice in Venedig. „Oper sieht in Italien noch ganz anders aus: schöne Kostüme, man singt viel an der Rampe, uns stört das nicht“, sagt Wohlers.

„Rigoletto“ im Box-Club, wie jüngst am Staatstheater, fand Scriven zunächst gewöhnungsbedürftig, dann aber doch ganz überzeugend. Und sie erlebten eine Vorstellung, in der ein im Publikum sitzender Tenor aus Hannover für dessen in der Aufführung plötzlich indisponierten Freund auf der Bühne einsprang: Andrea Shin –inzwischen an der Met engagiert! Das sind so die Operngeschichten, die man sich gern erzählt unter Fans. „Man unterhält sich ja auch mit seinen Sitznachbarn, mailt sich dann zu, wenn man was Besonderes erlebt hat“, berichtet Scriven.

Die beiden, inzwischen Rentner, reisen für die Sänger und die Musik, nicht für die Inszenierungen. Aber für Dirigenten. Besonders bei Wagner wichtig. „Dessen Opern sind ja manchmal harte Arbeit. Aber sie können sehr bewegend sein, wenn der Dirigent es wagt, leise zu dirigieren. So haben wir es mal von Kent Nagano im Münchner ,Lohengrin’ gehört: Da konnte man die Konversation der Instrumente im Graben heraushören. Das wird oft vernachlässigt, dann klingt es nur mächtig“, findet Scriven. Ihre Favoriten: Andris Nelsons und Kirill Petrenko.

Oper, Musical, nicht so sehr Schauspiel suchen die Eheleute auf, da schwärmen sie noch von Großtaten wie Peter Brooks „Sturm“ bei den Braunschweiger Theaterformen. Ihr schlimmstes Theatererlebnis? „Calixto Bieitos ,Troubadour’ mit den Fäkalienschmierereien in Hannover“, sagt Wohlers. Als sich Zuschauer im Berliner „Don Carlos“ über kopfüber hängende Nackte aufregten, sagten sie längst abgehärtet: „Das ist was für Anfänger.“

Aber besonders Jeannie Scriven betont: „Die deutsche Opernlandschaft ist ein Schatz. Wer im Ausland gelebt hat, weiß: in dieser Dichte gibt es das nirgends. Nutzt es, geht hin, lasst euch fesseln.“