Innsbruck. Bei einer Alpenquerung der modernen Art geht es in vier Tagen mit E-Mountainbikes von Natters bis zum Gardasee.

Der Picco ist ein Tiroler Naturbursche. Er ist Geologe, Bergführer, Kraxel-Experte – und Mountainbiker. In Piccos Ausweis steht Christian Piccolruaz. Doch was zählen reale Namen, wenn er die siebenköpfige Gruppe auf Fahrrädern mit dicken Profilreifen von Natters bei Innsbruck über alle Berge zum Gardasee treibt?

Bei dieser Tour geht es über Feldwege, durch felsige Schluchten, Wald-Trails, Schotterpisten. Hoch auf 2200, 2300 Meter, wo kein Baum mehr steht. Runter ins Tal, wo die Autofahrer über die Brennerautobahn brettern. Erneut in Serpentinen hoch, dann wieder eine Schussfahrt mit Schüttelfaktor zehn.

Der Motor schiebt das Rad bei jedem Tritt wie von Geisterhand

Unsere viertägige Querfeldeinfahrt über den Alpenhauptkamm hat einen eingebauten Turbo: Die 5000 Euro teuren, 25 Kilo schweren Mountainbikes haben einen kaum sichtbaren Elektromotor. Nur der massige Viereinhalb-Kilo-Akku zeugt vom E-Bike. Man muss die Gänge vorausschauend schalten, kräftig in die Pedale treten. Schalten, treten, treten, schalten – je nach Berg- oder Talfahrt. Mit dem Hebel am linken Lenkergriff legt man Eco-, Trail- oder Turbo-Gang ein. Der Motor schiebt das Rad bei jedem Tritt wie von Geisterhand immer ein Stückchen weiter. Bergauf legt man sich über den Lenker nach vorne, damit sich das Zweiradungetüm nicht aufbäumt. Bergab wird der Motor bei 25 km/h abgeregelt oder abgeschaltet. Trotzdem erreicht man leicht Tempo 50 oder 60.

Picco spricht „Tirenglisch“, eine mitteleuropaweit verstandene Mischung aus Tiroler Singsang und BBC-Englisch. „Wenn’s eure skills improven wollt, dann bildet’s einen Kraftkreis aus Armen, Lenker und Brust. Macht’s die Ellenbogen breit.“ Dann kann man die Strecke richtig „runterfetzen“. Aber aufpassen, dass man sich keinen „Batschen“ fängt – einen Platten.

Über schlammtiefen, spitzsteinigen oder staubigen Boden geht es zur Ochsenalm und über Maria Waldrast ins Wipptal. Je näher wir dem Tal kommen, desto asphaltiger werden die Wege. Das beschleunigt den Tross. In Trins ist das Hotel Zita ein so ordentlicher Gasthof wie am Folgetag das Alpinhotel Gudrun in Gossensaß. Dunkles Holz am Giebel, helles für Boden und Türen. Gestärkte weiße Tischdecken, Kraftbrühe, braune Soße.

Der Girlanerhof in Eppan/Südtirol und die Villa Stella in Torbole am Gardasee bieten später noch größeren Komfort für müde Beine. Am Abend wartet am Parkplatz unser Fahrer mit dem großen Gepäck und den kosmetischen Mittelchen. Die Transalp-Tour führt an Tag zwei den Sattelberg (2100 Meter) hoch zum Brenner Grenzkamm. Ein grandioses Panorama öffnet sich unter dem Wolkenhimmel.

Die berühmten Alpengipfel scheinen zum Greifen nah, die Dolomiten in Sicht. Die Luft ist dünn. Hier rotten Weltkriegsbunker vor sich hin, die Mountainbikern bei Regen als Unterschlupf dienen. Bei der Abfahrt bloß nicht in den Abgrund schauen. Denn Picco weiß: „Das Bike folgt dem Blick!“ Die Rennfahrer von Giro d’Italia und Tour de France zeigen immer wieder die Anmut der Alpenrouten – aber eben nur für eine bis an die Kante trainierte Elite. Erst das E-Mountainbike demokratisiert dieses Abenteuer. Es entschleunigt die Überflieger und beschleunigt die Genießer. In wenigen Tagen sind 200, 300 Kilometer Distanz und Tausende Höhenmeter von Durchschnittspedaleuren zu meistern.

An Tag drei führt der Weg zum fantastischen Sonnenplateau auf den Ritten. Über Oberbozen lacht die Sonne. Am Endpunkt der Seilbahn wartet auf die, die herunterrasen werden, der letzte Cappuccino vor der grünen Hölle. Jetzt geht es hinein in eine der attraktivsten Wohlfühlregionen Europas. Eine von Bergen umsäumte Landschaft voller Weinreben, Apfelbaumplantagen und Bilderbuchdörfer. Sie heißen Eppan, Girlan oder Lana; es ist wohl der schönste Flecken Südtirols.

Mit diesem Spirit spurten „Piccos Sieben“ an Tag vier nach Andalo hoch. Im Winter ist das ein mondäner Skiort. Jetzt geht’s weg von der Straße, hinein in die Wälder, über wuchtige Wurzeln, schmale, felsige Trails, waghalsig an Wanderern vorbei. Hoch und runter, um enge Kurven zum Lago di Molveno. Unfassbar grün schimmert der Bergsee vor sich hin. Wofür Querfeldeinläufer zwei, drei Stunden brauchen, da brausen wir in der halben Zeit den letzten Gipfel über Schotterpisten hoch. Der Ausblick Richtung Gardasee ist atemberaubend. Hat diese Höhenluft einst auch Goethe zu seiner hemmungslosen Italienschwärmerei verführt?

Die Abfahrt zum Lago di Toblino erdet die Gruppe. Die mehrere Hundert Euro teuren Bremsscheiben glühen und verfärben sich braun oder regenbogenartig. Erst der Fahrtwind in der Ebene und das zügige Strampeln auf einem der schönsten Radwege Italiens kühlt die Technik wieder auf volles Funktionsniveau herunter.