Pertisau. Die Kombination „Hike and Fly“ am Achensee in Österreichist nur etwas für mutige Touristen.

„Mad Mikes“ Plan klingt simpel. „Wenn ich dir das Kommando gebe, rennst du los, so schnell du kannst!“ Das Problem ist, wo ich rennen soll: eine steile, fürchterlich zerfurchte Wiese hinab. Seit einer halben Stunde stapfen wir über die Hänge unterhalb der Haidachstellwand, um einen Startplatz zu finden. Der Nordwind pfeift, Hochnebel hängt schwer über uns. Miese Bedingungen. Und jetzt muss alles plötzlich ganz schnell gehen.

Angurten, letzte Instruktionen. „Los, jetzt“, schreit mir Mike Küng ins Ohr. „Vorwärts, lauf, lauf, lauf!“ Ich sprinte ein paar Schritte, dann reißt mich der Schirm zurück, mehr als ein paar halbherzige Hüpfer bekomme ich nicht hin. Wir schießen dicht über Latschenkiefern hinweg, ich ziehe die Knie an – und dann fliegen wir doch noch.

„Hike and Fly“ heißt das Programm des Extremsportlers „Mad Mike“ Küng, das nicht für gewöhnliche Touristen gedacht ist. Küng, 48, ist klein und drahtig. Unter Paraglidern ist Küng eine Berühmtheit. Er lernte den Sport vor 27 Jahren, wurde dreimal Weltmeister im Akrobatikfliegen. Als er 2004 mit seinem Gleitschirm aus 10 000 Meter Höhe von einem Ballon sprang, war das eine Sensation. „Heute würde es keinen mehr interessieren“, sagt Küng. „Es müssten schon 20 000 Meter sein. Die Weltrekorde sind nur noch mit sehr viel Geld schlagbar.“

An diesem Tag geht es

hoch auf die Haidachstellwand

Deshalb ist aus dem Extremsportler ein Lehrer geworden. „Wir wollen unser Können jetzt weitergeben“, sagt Küng. In Kursen vermittelt er, wie man den Gleitschirm auch unter widrigen Bedingungen beherrscht. Die Idee von „Hike and Fly“ ist nicht neu: Die Kombination aus Wandern und Gleitschirmfliegen gibt es schon in Mayerhofen und Schladming, in den Dolomiten oder
im schweizerischen Walenstadt. „Aber wir wollten deutlich über das hinausgehen, was bisher angeboten wird“, sagt Andreas Nothdurfter. „Eigentlich müsste es bei uns ‚Climb and Fly‘ heißen.“ Also Klettern und Fliegen. Nothdurfter, 38, ist seit zehn Jahren Bergführer und Küngs Kompagnon in dem Projekt. Nothdurfters Job ist es, die Gäste auf den Berg zu bringen. Sind sie fit und erfahren genug, steigt er mit ihnen über
Klettersteige auf Gipfel wie Spieljoch, Guffert oder Hochiss. An diesem Tag ist die Haidachstellwand unser Ziel, der erste Berg des Fünf-Gipfel-Steigs im Rofangebirge.

Wir wandern durch ein Hochtal, das im Nebel an die schottischen Highlands erinnert. Küng trägt einen unförmigen Riesensack auf dem Rücken, gut 20 Kilo schwer; aber nur, weil es ein Tandemschirm für zwei Personen ist. „Mittlerweile gibt es Wanderschirme, die nur vier Kilo wiegen.“ Die Leichtgewichte lassen sich genauso gut fliegen wie ein Standardmodell – sie kosten allerdings doppelt so viel. Am Krahnsattel zurren wir die Klettergurte fest und setzen Helme auf. Der Fels ist glitschig, aber gut gesichert. Dennoch sind knifflige Stellen zu durchkraxeln. Abklatschen am Gipfel, Freude. Aber nur kurz. Auf der Wiese gleich unterhalb könnte man bei gutem Wetter ganz entspannt starten. Doch nicht bei diesem Hochnebel. Also steigen wir wieder ab unter die Wolkendecke. Der Wind pfeift hier ein bisschen weniger garstig. „Wir gehen jetzt da rüber“, ruft Küng. „Da gibt’s Aufwind.“ Mit dessen Hilfe zum Ebner Joch: Klingt locker. Und ist es dann auch – nach dem Umknicken, dem Beinahe-Crash. Wir fliegen. Das Gefühl ist überwältigend. Am Ebner Joch schrauben wir uns in die Höhe, bis wir über dem Gipfel kreisen. „Hier könnten wir jetzt den halben Tag hin-und herfliegen“, ruft Küng. Keine Frage: Es gibt langweiligere Jobs.