Betws-y-Coed. Mit wildromantischen Landschaften beeindruckt der Snowdonia-Nationalpark im Nordwesten von Wales.

Bald wird John Hadwin bei der Anfahrt auf den Parkplatz des Pen-y-Gwryd-Hotels wieder stark vom Gas gehen müssen. Die Herberge im Norden von Wales, in der sich einst Sir Edmund Hillary und Tenzin Norgay für ihre Besteigung des Mount Everest fit machten, liegt direkt an der mäandernden, von Steinmauern gesäumten Straße durch den Llan­beris-Pass, die laut Fremdenführer Hadwin „szenischste Straße von Wales“. Ende April versammelten sich nur eine Handvoll Wanderer auf dem gegenüberliegenden Halteplatz, um eine der sechs offiziellen Routen zum Gipfel des Mount Snowdon einzuschlagen. Das Wetter ist unstet, Graupel und Regen wechseln sich mit Schnee ab. Noch sei nicht viel los, aber „das wird sich bald ändern“, so Hadwin.

Dann nämlich, wenn nach dem Kinostart der aktuellen Guy-Ritchie-Verfilmung von König Artus’ Abenteuern jede Menge Kinofans den kleinen Parkplatz bevölkern, um von hier aus einige der Drehorte des mehr als 100 Millionen Dollar teuren Streifens zu betrachten. Mutmaßlich in Scharen, denn bislang war das noch nach jeder Großproduktion so, welche die glazialen Täler, Birken- und Eichenwälder und schroffen Berghänge als Kulisse in Szene setzte. Und vom Parkplatz aus könne man laut Hadwin eben einige der wichtigsten Locations sehen, die vielleicht noch kurz zuvor auf der Leinwand bestaunt wurden.

Filmtourismus ist in dieser wilden Gegend des Landes nichts Neues

Beispielsweise das lang gezogene Tal von Llyn Llydaw mit dem gleichnamigen See im Hintergrund: Überschattet vom 898 Meter hohen Y Lliwedd ließen die Produzenten hier Artus’ Streitmacht und die seines Kontrahenten Vortagern aufeinandertreffen und eine epische Schlacht ausfechten. Auch im Tal von Pen-y-Gwryd selbst, vollgestopft mit Geröllhalden, prallten die Schwerter aufeinander. Und wer wissen will, von welcher Klippe der Titelheld in einen 30 Meter tiefen See springt, muss nur ein paar Kilometer zurück nach Llanberis fahren. „Vor dem alten Pumpspeicherwerk Dinorwig gleich rechts“, sagt Hadwin.

Der Filmtourismus ist im Snowdonia-Nationalpark nicht neu. Seit mehr als 60 Jahren schon surren hier die Kameras. Meist geht es lediglich um einzelne und kurze Szenen. Bei den beiden hier gedrehten James-Bond-Filmen „Liebesgrüße aus Moskau“ und „Die Welt ist nicht genug“ erkennt man die Landschaft der walisischsprachigen Gwynedd-Region nur ein paar Sekunden oder Minuten im Bild. Das ist nicht gerade üppig, aber aus Namedropping-Gesichtspunkten enorm viel wert. „Bond zieht immer“, sagt Hadwin. Jeder hier in der walisischsprachigen Gwynedd-Region – drei Viertel der Einwohner beherrschen das lokale gutturale Keltisch, das sich auch auf den Ortsschildern wiederfindet – kennt die Geschichten, der Werbefaktor ist hoch. Und warum auch nicht, schließlich helfen die Dreharbeiten der lokalen Wirtschaft.

Als beispielsweise das Filmteam von „Tomb Raider 2“ keine Drehgenehmigung für China erhielt, filmte man Szenen der Motorrad fahrenden Angelina Jolie statt an der Großen Mauer am See Llyn Gwynant. Das mächtige Bauwerk wurde einfach digital in den Film hineinkopiert – während die Actrice vor den riesigen, bemoosten Findlingen der Umgebung ein paar wilde Stunts vollführt. Nur zehn Tage war die Crew vor Ort – doch in dieser Zeit wurden insgesamt 50 lokale Zimmerleute und Statisten beschäftigt, um ein walisisches in ein chinesisches Dorf zu verwandeln. Ein lohnenswerter Mummenschanz.

Um die Schönheiten des Snowdonia zu schätzen, muss man nicht unbedingt Kinofan sein. Die Möglichkeiten für Aktive sind enorm: Der Bala-See, sechs Kilometer lang, einen Kilometer breit und damit das größte natürliche Gewässer in Wales, lädt zum Baden und zum Wassersport ein. Angler holen aus seinem Wasser Felchen oder die nur hier lebenden Gwyniad-Fische. Im Oberlauf des Tryweryn werden Rafting-Touren angeboten, Golfer finden rund 20 Plätze, darunter solche Top-Adressen wie den Royal St. David’s in Harlech. Und für einen Adrenalin-Kick sorgt darüber hinaus ein Besuch der Seilrutsche „Zip World“ in Bethesda, bei der Mutige sich nacheinander an Drahtseilen in die Tiefe stürzen können – die rasante Fahrt erreicht mehr als 100 km/h.

„King Arthur“ von Guy Ritchie könnte ein Blockbuster werden

Eine Geschichte, mit der Reiseleiter Hadwin besonders bei seinen englischen Kunden punktet, die ihn gern für eine Fahrt ins nahe gelegene Küstendörfchen Portmeirion buchen. Ein Fahrziel, das Hadwin nur bedingt nachvollziehen kann, zumal dort niemand dauerhaft lebt. Der Ort am Rande von Snowdonia ist nichts weiter als ein begehbares Hotel, in dem ganze Busladungen von Tagestouristen vor den Balkonen der Ferienwohnungen flanieren. „An diesem Ort gibt es rein gar nichts Walisisches“, sagt er und stoppt auf dem vollen Parkplatz, „es ist nur der Spleen eines Architekten.“

Jener Clough Williams-Ellis ließ sich zu Beginn der 1920er-Jahre von den Gebäuden der italienischen Stadt Portofino inspirieren und schuf eine mediterrane Kulisse am Ufer der walisischen Küste. Mit bonbonbunten Häusern, hochgewachsenen Pinien, Springbrunnen, Statuen und weiten Plätzen aus weißem Marmor, die an manchen Orten zudem deutliche Bezüge zum Roman „Alice im Wunderland“ aufweisen. So gibt es dort überdimensionale Schachbretter, in einem kleinen Laden lächeln die Grinsekatze und der verrückte Hutmacher aus dem Schaufenster, und Besucher flanieren vor schlossähnlichen Gebäudetrakten vorbei. „Vielleicht ist das der einzige Bezug zu Wales“, meint John Hadwin, der gern die Legende berichtet, dass Autor Lewis Carroll in seinem Feriendomizil Llandudno die Bekanntschaft mit der titelgebenden Alice Liddell machte und ihr die Geschichte auf den Leib schrieb.

Deswegen aber stehe Portmeirion nicht so hoch in der Gunst britischer Besucher, wie er erklärt. Schuld sei vielmehr die Fernsehserie „The Prisoner“, der das Kunstdörfchen als Kulisse diente. Die Geschichte über einen ehemaligen Geheimagenten, der an einen abgelegenen Ort verschleppt wird und von dort zu entkommen versucht, war in den 1960er-Jahren ein Straßenfeger in England.

Einen solchen Blockbuster sieht John Hadwin auch in der aktuellen Artus-Verfilmung, zumal die Produzenten die populärste aller britischen Sagen an ihren Originalschauplätzen in Szene setzten. Irgendwo zwischen den Hängen des Mount Snowdon und des benachbarten Y Lliwedd soll der legendäre König nach einem Kampf gegen seinen Sohn Mordred sein Ende gefunden haben, mit weitem Wurf habe sein Ritter Sir Bedevere das magische Schwert Excalibur in die Tiefen des Llyn Ogwen befördert, und der Llyn Dynas sei laut John Hadwin nicht nur Heimat von Merlin, sondern auch die des roten walisischen Drachens gewesen, der die Landesflagge ziert.

Dass all diese Geschichten nicht verbrieft sind, stört den Guide nicht im Geringsten. „Natürlich gibt es keine Beweise, aber wo sollen die auch herkommen?“ Die Geschichte stamme aus dem 6. Jahrhundert und sei rund 700 Jahre lang nur mündlich weitergegeben worden; „Chinese Whispers“, wie er dieses Stille-Post-Prinzip nennt. Jeder Erzähler habe seine Version ein wenig ausgeschmückt. Eigentlich nichts anderes, als es auch die Filmemacher heutzutage tun.