Pointe-à-Pitre. Das weltgrößte Museum der Sklaverei ist eine touristische Attraktion auf der Antilleninsel in der Karibik.

Um die Mittagszeit wird es ruhig im Marché Saint-Antoine in Pointe-à-Pitre, der Hauptstadt der Antilleninsel Guadeloupe. Dann treffen sich die Marktfrauen am Brunnen zu einem Schwätzchen, weil jetzt kaum Kunden kommen. Nur Mamy Christiane nutzt die Pause der Konkurrenz und bleibt an ihrem Stand sitzen. „Ich bin die älteste Verkäuferin und schon seit 50 Jahren da“, sagt sie und richtet sich den Turban. Man sieht ihr das Alter nicht an. „Meine Vorfahren waren afrikanische Sklaven, ich habe gute Gene“, sagt sie scherzend.

Ein Foto von Mamy Christiane in ihrer kreolischen Tracht darf man nur machen, wenn man sie sehr nett fragt oder ihr etwas abkauft. Zum Beispiel eine Flasche hausgemachten Ti-Punch, den typischen Cocktail der Antillen aus Zuckerrohrsaft und Limetten, ein paar Gewürzen, Tamarinden oder Tee. Das ist die goldene Regel, die Touristen befolgen müssen, wenn sie die Exotik der Bewohner Guadeloupes mit der Kamera einfangen wollen: immer erst um Erlaubnis fragen. „Wir sind keine
Fotoobjekte, sondern Menschen“, sagt Mamy Christiane. Aus ihren Worten spricht Stolz. Es ist ein Gefühl, das sich die fast 300 000 Sklaven bis zum Jahr 1848, in dem die Sklaverei auf Guadeloupe offiziell abgeschafft wurde, nicht leisten konnten. 90 Prozent der Einwohner Guadeloupes haben afrikanische Vorfahren.

Nur zehn Minuten zu Fuß vom Zentrum der Stadt mit hübschen Kolonialbauten entfernt, steht das weltweit größte Sklavenmuseum: Memorial Acte, ein imposantes Mahnmal, das die Geschichte des Sklavenhandels erzählt und mit der Unterstützung Frankreichs 2015 eingeweiht wurde. Die Fassade des Baus aus schwarzem Granit passt zu diesem dunklen Kapitel der Menschheitsgeschichte.

In sieben Sälen geht es um

die Geschichte der Sklaverei

Der Ort, auf dem das 240 Meter lange und 15 Meter hohe raumschiffartige Museum errichtet wurde, könnte symbolträchtiger nicht sein: eine ehemalige Zuckerrohrplantage, auf der die Afrikaner schuften mussten. Gekrönt ist der Bau von silberner Netzstruktur aus Aluminium, die an das Wurzelwerk eines Feigenbaums erinnern soll. Von einem zwölf Meter hohen Steg aus hat man einen fantastischen Blick auf Pointe-à-Pitre, eingebettet in hügelige Regenwaldlandschaft und türkisblaues Meer.

„Das Museum soll den Opfern die Scham nehmen und einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten“, sagt Pressechef Fréderic Abidos. 85 Millionen Euro hat das architektonische Meisterwerk gekostet, modernste Technik kommt zum Einsatz, an nichts wurde gespart. Mit Videoinstallationen werden dem Besucher die ersten vier schwarzen Sklaven der Insel vorgestellt, gespielt von Schauspielern, in sieben Sälen geht es um die Geschichte der Sklaverei, verdeutlicht an Beispielen wie dem Transport der menschlichen „Ware“ in den „bateaux négriers“, den viele nicht überlebten.

Doch das Memorial Acte widmet sich auch der Alltagskultur der Karibik. Es zeigt den bunten, ausgelassenen Karneval mit seinen Tänzen und Geisterbeschwörungen, den kreolischen Garten, der in den farbenfrohen „Cases“ eine wichtige Rolle zur Selbstversorgung spielt. Die jüngere Sklavengeschichte in den USA, wo es kein vergleichbares Museum gibt, beendet den Rundgang. Der Erfolg des Projekts gibt den Initiatoren, der Landesregierung von Guadeloupe, recht. Im ersten Jahr kamen 110 000 Besucher, viele davon Franzosen, bei denen Guadeloupe so beliebt ist wie Mallorca bei den Deutschen.

„Uns hat das Interesse der Gäste an der Geschichte überrascht“, sagt Marc de la Reberdière, Reiseführer aus Saint François im südöstlichen Flügel der Insel, die die Form eines Schmetterlings hat. Von hier ist es nicht weit zur Pointe de Chateaux, wo Karibisches Meer und Atlantik zusammentreffen. Hier in der Region Grande Terre befinden sich einstige Zentren der Zuckerrohrplantagen wie Saint Anne, Le Moule oder Saint Louis, heute schmucke Küstenstädte, beliebt bei den Touristen wegen der Sandstrände.

Seit einigen Jahren gibt es eine offizielle Sklavenroute, die Route de l’esclavage, die um die Insel führt. Höhepunkt sind die Sklavenstufen bei Petit-Canal im Norden von Grande Terre. Es handelt sich um 49 Stufen, die die Neuankömmlinge aus Afrika geradezu in die Hölle führten, denn hier wurden sie an Plantagenbesitzer verkauft. Oberhalb der Treppenabschnitte sind die Namen der afrikanischen Stämme eingemeißelt, dem die Unglückseligen angehörten: Yorubas, Ibos, Wolofs, Peul oder Bamilékes. Hinter den Stufen stehen die Ruinen eines Gefängnisses, mittlerweile von einem mächtigen Feigenbaum überwuchert. „Die Sklaven säten die Samen, um so eines Tages die Gefängnismauern zu sprengen“, erklärt Marc.

Unklar ist, ob das vor oder nach Ende der Sklaverei gelang, an das eine Gedenktafel erinnert: Liberté–1848. Trotz der Vegetation konnten sich entkommene Sklaven nicht verstecken. Das Cachot d’Esclaves de Belmont oberhalb des Ortes Trois-Rivières im Süden von Terre Basse ist ein von den Besitzern des Landwirtschaftsbetriebs im 18. Jahrhundert errichteter vier Quadratmeter großer Kerker für ungehorsame Sklaven. Wie in Petit-Canal ist auch hier der Blick paradiesisch, im Hafen laufen Schiffe zur Inselgruppe Les Saintes aus. Vom Meer aus erkennt niemand den Kerker.