Frankfurt/Main. Im Frankfurter Bahnhofsviertel können Frauen geführte Touren durch das Rotlichtmilieu machen. Stripperinnen, Dominas und ansonsten eher verschwiegene Security-Leute erzählen aus ihrem Alltag. Die Gäste erhalten Einblicke, die sonst nicht möglich sind.

Eine Freimaurerloge, Luxushotels, der gut sortierte türkische Gemüsehändler, eine Vielzahl von Asia-Läden – und die berüchtigte Rotlichtmeile: Dieser bunte Milieu-Mix hat Frankfurts Bahnhofsviertel zum Hotspot des Nachtlebens gemacht.

Künstler, hippe Bars und Clubs zog der unnachahmliche Mix an, auch Ulrich Mattner. Der Journalist lebt seit acht Jahren mitten im gelebten Multikulti zwischen Moscheen und Kirchen, den wenigen alteingesessenen Geschäften und den unvermeidlichen Ein-Euro-Shops. In der Zeit ist er so etwas wie der Chronist des berüchtigten Viertels der Bankenmetropole geworden. Mit Erfolg.

Seit vier Jahren führt er Frauen durchs Rotlichtviertel, hinein in die Bars, Bordelle und Table-Dance-Lokale. Die Führungen „Sex in the City“ speziell für Frauen sind über Monate ausgebucht. Wenn Mattner bis zu 24 Teilnehmerinnen durch die Szene lotst, kommt er aus dem Grüßen kaum heraus. Mattner kennt Imame, Dominas, Ladyboys, Junkies, Freier und Streetworker, aber auch Kreative und neuerdings Anwohner, die in die ersten schicken Neubauten rund um die Schmuddel-Etablissements ziehen.

„Jedes Jahr entstehen hier etwa fünf bis sieben neue Szene-Bars und Musikclubs“, erzählt Mattner. Die Aufwertung vollzieht sich langsam. „Junkies und Rotlichtszene hemmen die Gentrifizierung.“

Reich und Arm, Glanz und Elend, brav und versaut kommen im Frankfurter Bahnhofviertel auf Tuchfühlung. So bunt war das Leben in dem Viertel nicht immer. Als die Freimaurer 1894 ihr Haus an der Kaiserstraße bauten, war die zentrale Achse vom 1888 errichteten Hauptbahnhof in die Innenstadt ein Prachtboulevard. Gründerzeithäuser mit Säulen und Erkern begannen, die Straßen zu säumen. Erstaunlich viele Häuser überstanden die Bomben des Zweiten Weltkrieges. Die amerikanischen Besatzer bezogen hier Quartier und legten den Grundstein für jene Vergnügungsmeile für Männer in Elbe-, Kaiser-, Mosel- und Taunusstraße – weg von der Gutbürgerlichkeit.

Animierdamen beantworten Fragen zu Sexpraktiken

„Wir unterhalten uns aber auch mit Frauen“, sagt Claudia, die Bardame des Lokals „My Way“. Wie zum Beweis gesellt sich Animierdame Natascha zu Mattners Einführungsvortrag dazu und beantwortet entgegenkommend jede Frage der Frauen zu den Sexpraktiken einer Domina. Umsonst, einfach weil sie gesprächig ist und in der Bar gerade nicht so viel los ist. Ansonsten ist natürlich ein Getränk ab 18 Euro für ihre Gesellschaft fällig. Das ist das Geschäftsmodell.

Falls Männer mehr wollen, stehen die Türen in den oberen Etagen im Laufhaus nebenan für sie offen. Beide Etablissements gehören einem Hells-Angels-Mitglied. „Ein Laufhaus ist so etwas wie die Discountversion eines klassischen Bordells“, erklärt Mattner. Durch die Flure laufen Männer, schauen sich die Sexarbeiterinnen an, und wenn ihnen eine gefällt und beide sich einigen, schließen sich die Türen hinter ihnen. Mindesteinsatz: 25 Euro für eine Viertelstunde.

Die Frauen sehen auf der Tour auch, was Männer nicht zu sehen bekommen: Im ersten Stock des Hauses gibt ein Mann von der Security ihnen Auskunft über die Sicherheit im horizontalen Gewerbe und wirft dabei immer mal wieder einen Blick auf die Monitore vor ihm. Sie zeigen Treppenhaus und Gänge. „Puffmütter“, die die Huren den Freiern zuführen, gibt es schon lange nicht mehr.

Im Großbordell „Crazy Sexy“, das 1968 der erste offizielle Puff im Bahnhofsviertel war, sitzt heute im Kontakthof die Security. Es ist heute eines von 23 Bordellen. Auch sonst hat sich einiges geändert. Die etwa 20 verbliebenen illegalen Prostituierten im Viertel sind rauschgiftsüchtig. Junkies vegetieren herum, und Dealer offerieren ihnen gestrecktes Zeug. „Das menschliche Elend ist schon bitter“, sagt Mattner. Als Vorsitzender des Gewerbevereins will er eine Debatte anstoßen, wie man den Junkies effektiv helfen kann.

Zurück zur Führung durchs legale Gewerbe: „Nennt mich Niko“, sagt der muskulöse Kosovare, der für die Sicherheit des Bordells zuständig ist. Seinen Namen will er nicht sagen: „Meine Familie weiß nicht, wie ich mein Geld verdiene.“ Was hinter den geschlossenen Türen geschieht, kümmert ihn nur, wenn eine Sexarbeiterin einen versteckten Alarmknopf betätigt. Dann sind Nikos Deeskalierungskünste gefragt. „Dazu muss man kein Muskelpaket sein“, sagt er. „Man braucht Gespür für die Situation.“ Dass manchmal doch die Fäuste zum Einsatz kommen, darüber berichten regelmäßig die lokalen Zeitungen.

Junggesellengruppen lassen es gerne mal so richtig krachen

Auch die Domina Vanessa, die in ihrem kargen Zimmer im Hinterhaus bereitwillig Auskunft über ihren Beruf gibt, hält Privates außen vor. Viel Einfühlungsvermögen und vor allem gepflegte Füße für die devoten Handlungen der Kunden brauchten Dominas, sagt sie. An den Wänden hängen Masken, Fesseln, Ketten, Wäscheklammern und Korsagen. Damit bedient die Domina die Fantasien ihrer Freier.

Vanessa ist eine der wenigen Deutschen. Das Geschäft besorgen heute hauptsächlich Rumäninnen und Bulgarinnen. Sie mieten die Zimmer als freie Prostituierte für 140 Euro pro Tag. Im Preis enthalten: Sicherheitsdienst, Frühstück, Kondome, Taschentücher und Softdrinks.

Letzte Station der Führung ist die Table-Dance Club „Pure Platinum“, wo am Wochenende manchmal sogar eine Rechtsanwältin strippt, wie Mattner weiß. In dem Keller-Club lassen Damen- und Herrengruppen es bei Junggesellenabschieden schon mal so richtig krachen. An einem Dienstag wie heute räkeln sich die jungen Damen aber eher gelangweilt an den Stangen. Das Publikum fehlt. „Es geht nach Zwölf erst richtig los“, sagt Mattner. „Und natürlich am Wochenende.“dpa