Paris. Statt normaler Stadtrundfahrt geht es heute an der Seine um Erlebnisse, bei denen Gäste auch ganz andere Seiten kennenlernen.

Es stinkt. Ekelig! Wonach genau? Nach Abfall, sagt der eine. Nach Schweiß und Fisch, glaubt der andere. Die Herausforderung für den Geruchssinn ist frei gewählt, wir sollen ein Gespür dafür bekommen, wie es im 18. Jahrhundert in Paris roch. Denn wo die Straßen heute mit „Chanel No. 5“ getränkt sind, stank es früher erbärmlich. Die Menschen kippten ihre Abfälle vor die Tür und fürchteten sich vor Wasser, denn sie glaubten, Monster würden durch die Hautporen kriechen, wären diese nicht von Dreck verschlossen. „Manche badeten ein ganzes Jahr lang nicht“, sagt Maud Hacker und sprüht den nächsten Duft zum Schnuppern auf Papierstreifen.

Wir befinden uns auf einer Geruchstour, einem Rundgang auf den Spuren von Jean-Baptiste Grenouille, der Hauptfigur aus Patrick Süskinds Bestseller „Das Parfum“. Mehr als 20 Millionen Mal verkaufte sich der Roman über einen armen Pariser Jungen im 18. Jahrhundert, der – ausgestattet mit einem außergewöhnlichen Geruchssinn – beschließt, zum größten Parfümeur aller Zeiten zu werden. Um sein Ziel zu erreichen, tötet er junge Frauen, deren Duft er zu konservieren versucht.

Die Touren machen die Stadt

auf ganz neue Arten erfahrbar

Sie sei ein riesiger Fan dieses Werkes, erklärt Maud Hacker, weil man es auch wie eine Mischung aus Geschichtsbuch und Stadtplan lesen könne. Alle von Süskind beschriebenen Orte in Paris existieren, und so kam die Historikerin auf die Idee mit der Geruchstour. Es funktioniert wie bei der Weinprobe, nur ohne Alkohol. An bestimmten Plätzen der Stadt zitiert sie Passagen aus dem Buch, und die Teilnehmer bekommen den passenden Duft serviert.

„Über die Ansprache mehrerer Sinne fällt die Zeitreise viel leichter“, sagt Hacker und kredenzt auf der Brücke Pont au Change eine Mischung aus Veilchen und Lavendel. So roch es im Atelier von Grenouilles Lehrmeister Baldini. Damals waren die Pariser Brücken mit Wohnungen bebaut, ähnlich der Ponte Vecchio in Florenz. Regelmäßig stürzten die Brückenpfeiler ein, und ganze Familien ertranken.

Beim nächsten Halt am Turm von Saint-Jacques möchte man fast würgen, als Hacker die Teststreifen herumreicht. Saint-Jacques war die offizielle Kirche der Schlachter, und da Grenouille zunächst als Gerber arbeitete, hielt er sich hier im Roman häufig auf. Fleisch und Verwesung erriechen die Teilnehmer. Immerhin können sie froh sein, dass sie kein Blut an den Schuhen haben so wie früher alle, die hier entlanggingen. Einmal kam der Bruder von Ludwig XIV. mit den damals für Männern üblichen hochhackigen Schuhen des Weges. Bei seiner Rückkehr in Versailles gerieten alle aus dem Häuschen ob der schicken roten Absätze, die er trug. Sie dachten, es handele sich um Farbe. Nach dieser Geschichte sieht man Christian Louboutins berühmte rote Sohlen plötzlich ganz anders.

Im Anschluss an den 90-minütigen Stadtrundgang wird man selbst zum Parfümeur. Auf Mord und Totschlag wie bei Grenouille wird dabei verzichtet, heute entsteht guter Duft leichter. Aus
17 Essenzen lässt sich in den Ateliers von Candora der persönliche Lieblingsduft kreieren, was zum einen Spaß macht, zum anderen eine Lehrstunde in Blüten-,
Gewürz- und Länderkunde ist. „Orange Blossom“ beispielsweise entführt nach Marokko, „Lily of the Valley“ nach Monaco zu Grace Kelly, die den Duft genauso liebte wie Kate Middleton, die ihn
für das Blumenbouquet bei ihrer Hochzeit mit Prinz William
wählte.

120 Euro kostet die Kombination aus Rundgang und Parfum-Workshop, wesentlich teurer also als eine Tour mit den üblichen Doppeldecker-Bussen, doch normales Sightseeing war gestern. Heute geht es um Erlebnisse, und die Pariser haben eine Reihe von Touren erdacht, um ihre Stadt auf ganz andere Art und Weise erfahrbar zu machen.

Die Kreativität hat ihren Ursprung teilweise in der traurigen Tatsache, dass die Besucherzahlen nach den Terroranschlägen zurückgegangen sind. Offiziell nur um 13 Prozent, doch wer vergleicht, wie lange er noch vor zwei Jahren beim Louvre in der Schlange stand, während er heute vollkommen ohne Warterei zur Mona Lisa durchmarschieren kann, der hat den Eindruck, dass sich deutlich weniger Touristen in der Stadt befinden als jemals zuvor.

Die französische Leichtigkeit jedoch scheint ungebrochen. In den Cafés und Brasserien stoßen die Menschen mit Champagner auf das französische Savoir-vivre an, stolzer und überzeugter denn je. „Was denken die Terroristen denn, wer wir sind?“, fragt Maud Hacker. „Wir sind Pariser, wir haben mehrere Revolutionen überstanden, wir lassen uns unsere Art zu leben nicht von diesen kranken Gehirnen zerstören.“

Und so wird weiterhin konsumiert und den schönen Dingen im Leben vielleicht sogar ein bisschen mehr zugesprochen als vor den Anschlägen. „Im Modebereich scheint plötzlich alles in Bewegung, die Leute wollen etwas erschaffen,“ sagt Quentin Poisson, der zusammen mit seiner Freundin 2015 ein Start-up für Damenkleidung gründete und damit gleich den Grand Prix de la Création gewann, eine Auszeichnung der Stadt, die finanzielle Unterstützung für zwei Jahre garantiert. Paris tut einiges für junge Designer, schließlich will es seinem Ruf als Hauptstadt der Mode auch in Zukunft gerecht werden.

Quentin und andere Talente lernt man auf einer Erlebnistour kennen, bei der man hinter die Kulissen der Fashionwelt schaut und interessante neue Shops erkundet. Bester Stadtteil dafür ist der Marais. Früher das jüdische Zentrum, reiht sich im Marais heute ein cooler Laden an den nächsten.

Wer vom Place des Vosges, einem der ältesten und schönsten Plätze der Stadt, die Rue des Francs-Bourgeois hinabflaniert, wird von der Auswahl an Boutiquen, die übrigens auch sonntags geöffnet sein dürfen, fast erschlagen. Gut, wenn man eine
professionelle Shopping-Beraterin wie Camille Vincent von der Agentur Le Connoisseur an seiner Seite weiß. Sie kennt die Besitzer von außergewöhnlichen Läden wie zum Beispiel „L’Eclaireur“ in der Rue de Sévigné, wo man erst mal nur Kunst und Videos sieht. Die Kleidung versteckt sich hinter unsichtbaren Türen, die sich auf Geheiß der Angestellten öffnen. Wer das nicht weiß, denkt wahrscheinlich fälschlicherweise, er befände sich in einer Galerie.

Eine olfaktorische Reise durch Welt und Zeit im Museum

Ein Einkaufsbummel mit den
Experten von Le Connoisseur ist Paris für Fortgeschrittene. Es geht darum, aus dem Status des Touristen aufzusteigen und so einzukaufen, wie die Pariser es tun. „Wir gehen doch nicht in die Galeries Lafayette. Es gibt viel interessantere Läden“, sagt Camille
Vincent. Zum Beispiel den
Concept-Store „Merci“ am Boulevard Beaumarchais. Kleidung, Schmuck oder Küchenutensilien – hier findet man eine Auswahl an besonderen Produkten und fühlt sich an der Kasse sogar noch gut, weil die Einnahmen an einen guten Zweck gehen. „Merci“ ist außerdem ein Beispiel dafür, dass besondere Geschäfte in einem Viertel eine größere Bedeutung haben, als man meinen könnte. Sie können die Entwicklung einer Stadt begünstigen. „Vor fünf Jahren war hier wenig los, dann kam ‚Merci‘, und der ganze Stadtteil wurde aufgewertet und kam in Bewegung“, sagt Camille. Natürlich kennt sie auch die besten Parfümerien.

Seit Mitte Dezember kann man die bekanntesten Düfte der Welt nicht nur in den üblichen Geschäften erwerben, sondern auch im Grand Musée du Parfum in der Rue de Faubourg Saint Honoré. Hier gibt es die Klassiker, alte und ikonische Gerüche und darüber hinaus eine olfaktorische Reise durch Welt und Zeit. Warum tragen fremde Kulturen andere Düfte? Warum war Parfüm so wichtig – sogar in der Politik? Auf drei Etagen klären sich Fragen wie diese. Napoleon Bonaparte beispielsweise benutzte Unmengen „Eau de Cologne“. Er soll es sogar auf dem Schlachtfeld getrunken haben, weil er das anregend fand. Cleopatra besprühte ihr Segelboot, um Marc Aurel bereits bei ihrer Ankunft zu betören, und Louis XIV. ließ seine Springbrunnen parfümieren.

Im Museum, einem ehemaligen Wohnhaus des Designers Christian Lacroix, blickt man auf die Zutaten von „Kyphi“, dem ersten von Menschen geschaffenen Duft überhaupt. Die alten Ägypter benutzten es, um ihre Götter zu besänftigen. Die Nase hat hier einiges zu tun, mehr als 60 Düfte stehen bereit. Für Jean-Baptiste Grenouille wäre es der Himmel auf Erden gewesen.