Wolfsburg. Zum 30-jährigen Bestehen des Museums hat die Redaktion von Standort38 ein Gespräch mit Direktor und Kurator Andreas Beitin geführt.

Herzlichen Glückwunsch – das Kunstmuseum Wolfsburg feiert Ende Mai sein 30-jähriges Bestehen. Den runden Geburtstag nimmt das Haus zum Anlass, Schätze seiner Sammlung zu zeigen. Wir trafen Direktor und Kurator Andreas Beitin und haben mit ihm über – spektakuläre – Ausstellungen und Zukunftsvisionen gesprochen.

Herr Beitin, wie bewerten Sie die Kultur- beziehungsweise Museumslandschaft unserer Region?

Wir verfügen über eine reiche, vielfältige und qualitativ hochwertige Museums- und Kunstlandschaft. Leider erlebe ich immer wieder, dass diese, zumindest außerhalb unserer Region, mitunter unterschätzt wird.

Welche Rolle spielen Museen für unsere Gesellschaft?

Ich sehe uns als wichtigen Begleiter von gesellschaftlichen Prozessen. Wir zeigen Ausstellungen, die mal mehr, mal weniger gesellschaftspolitisch ausgerichtet sind. Mit den Mitteln der Kunst, Ästhetik, Überraschung und Provokation thematisieren wir elementare Fragestellungen; hinterfragen Dinge, die Menschen als selbstverständlich wahrnehmen. Museen sind Orte des Zusammenhalts, des gemeinschaftlichen Austausches und des Diskurses, der in jüngster Zeit sehr gelitten hat. Kurzum: Kunst und Kultur sind wichtige Akteure in einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft.

Macht es einen Unterschied, ob ich mir Kunst digital, also im Internet, angucke, im Katalog oder vor Ort im Museum?

Ja, definitiv. Einerseits ist es fantastisch, dass wir zunehmend immer mehr digitale Möglichkeiten haben, insbesondere im Bereich der Kunstvermittlung: Es gibt Museumsführungen via Zoom und wir haben das Studio Digital, eine digitale Lern-Plattform, entwickelt, die zeitgenössische Kunst außerhalb des Museums vermittelt. Wir nutzen die virtuelle oder erweiterte Realität und produzieren zu jeder größeren Ausstellung umfangreiche Publikationen, um nachhaltig zu kommunizieren. Der Besuch im Museum ist nach wie vor aber nicht zu ersetzen. Die unmittelbare Intensität im Dialog mit den Kunstwerken, das Auseinandersetzen, das Wirken von Farbe, von Sound, von Formen ist live unvergleichbar und kann nur im direkten Gegenüber erlebt werden.

Sie sind seit nunmehr fünf Jahren Museumsdirektor. Wie hat sich das Haus verändert, seitdem Sie hier arbeiten?

Wir entwickeln uns kontinuierlich weiter, sind beständig auf der Suche nach den richtigen künstlerischen Positionen, um unser Publikum mit Kunst aus aller Welt in den Bann zu ziehen. Die Formate der Kunstvermittlung werden immer besser, digitaler und vielfältiger. Darüber hinaus ist es eine große Herausforderung, die verschiedenen Ziele der Nachhaltigkeit zu verfolgen. Wir haben in diesem Zusammenhang mit dem gesamten Team wichtige Veränderungsprozesse angestoßen.

Das Kunstmuseum beziehungsweise Sie und Ihr Team feiern in diesem Jahr 30-Jähriges. Was gehört für Sie zur Retrospektive dazu? Was sind die schönsten Erinnerungen?

Was das Haus als solches angeht, ist es eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Auf Initiative von Professor Carl Hahn war es möglich, dieses Museum zu bauen. Meine Vorgänger haben dazu beigetragen, dass das internationale Ansehen des Hauses gewachsen ist. Und ich gebe alles, damit es weiterwachsen wird. Erst vor einigen Wochen haben wir für „Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen“ den Art-Kuratorenpreis für die beste Ausstellung des Jahres 2023 erhalten. Insofern ist das, was wir machen, offensichtlich gut und preiswürdig. Für mich persönlich zählt das Bewusstsein, dass es ein Privileg ist, hier zu arbeiten: Wir haben ein tolles Museum mit großzügigen räumlichen Möglichkeiten, ein wunderbares Team, das fantastisch zusammenarbeitet, und das Glück von verlässlichen Förderern, die uns auch in schwierigen Zeiten zur Seite stehen.

Wenn Sie zurückblicken, welche Ausstellung würden Sie heute als die wichtigste betrachten? Oder anders gefragt: Welche hat Sie besonders glücklich gemacht?

Da sind viele dabei gewesen. Ein großes Glück war die Umsetzung der bereits erwähnten Mondrian-Ausstellung. Auch „Empowerment“, in der wir weltweit erstmals in diesem Umfang feministische Kunst des 21. Jahrhunderts gezeigt haben, war eine große Freude.

Das Museum wird von der Kunststiftung Volkswagen getragen, die wiederum zu einem Teil von der Holler-Stiftung finanziert wird. Abgesehen von dieser Unterstützung: Wie stark ist der Druck auf Sie, Ausstellungen und Veranstaltungen zusammenzustellen, die dem Publikum gefallen?

Wie bei allen anderen Stiftungen gibt es ein Kuratorium, das zweimal im Jahr zusammentritt, um sowohl den wirtschaftlichen als auch den inhaltlich-künstlerischen Teil zu besprechen. Natürlich wird vollkommen berechtigt nach Besuchszahlen gefragt. Druck, in welcher Form auch immer, habe ich bisher nicht erlebt. Seit nunmehr 30 Jahren besteht der Auftrag, kulturelle Bildung in der Region zu betreiben und die Kunst der Welt an den Mittellandkanal zu holen. Diesem Auftrag fühlen wir uns nach wie vor verpflichtet und von daher verfolgen wir alle das Ziel, und da spreche ich für das gesamte Haus, dass wir mit unseren Ausstellungen ein größtmögliches Publikum anzusprechen.

In Kürze eröffnen Sie die Jubiläumsausstellung „Welten in Bewegung – 30 Jahre Kunstmuseum Wolfsburg“, die vom 25. Mai bis zum 4. August zu sehen sein wird. Was genau erwartet die Besucher?

Zum einen zeigen wir Werke aus unserer über 1.000 Kunstwerken umfassenden Sammlung, die lange nicht zu sehen waren. Es gibt zudem neue Arbeiten, die uns geschenkt worden sind. Außerdem haben wir 15 hochkarätige „Gäste“ aus der Sammlung des Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig als Leihgabe bekommen. Diese hochkarätigen historischen Werke werden in verschiedenen Kapiteln und unter bestimmten thematischen Aspekten ausgewählten Werken unserer Sammlung gegenübergestellt. Da trifft zum Beispiel eine „Venus“ von Lucas Cranach auf Fotografien von Cindy Sherman. Wir wollen zeigen, dass es in der Kunst schon immer Themen gegeben hat, die – mit neuen Darstellungsmethoden, Mitteln der Präsentation und Techniken – über Jahrhunderte hinweg aktuell bleiben.

Was ist noch für das Geburtstagsjahr geplant?

Das Jubiläumswochenende am 25. und 26. Mai bietet ein umfangreiches Programm mit Konzerten, Vorträgen und Führungen. Über den Sommer läuft die Jubiläumsausstellung „Welten in Bewegung. 30 Jahre Kunstmuseum Wolfsburg“. Am 5. Juli werden wir eine fantastische Schau mit Firelei Báez eröffnen. Inspiriert von karibischer Kultur, Erzählungen und der Rolle im Rahmen der globalen, politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen der Moderne, hat die dominikanisch-amerikanische Künstlerin eine symbolträchtige Bildsprache für ihre Gemälde und Installationen gefunden. In ihren Werken gehen Schönheit, Freude und Freiheit aus den Archiven gewaltvoller Geschichte hervor. Ebenfalls freue ich mich schon sehr auf Leandro Erlichs raumgreifende Präsentation „Schwerelos“. Hier wird die Welt im Kunstmuseum auf dem Kopf stehen, der Mond befindet sich auf der Erde, ein Haus hängt in der luftigen Halle und die Besucher:innen schweben scheinbar in der Schwerelosigkeit eines Raumschiffs. Die spektakulären Installationen der Schau laden zu einer Reise ein, sich mit den Beziehungen zwischen Wissenschaft, Technologie, Ökologie, Raumfahrt, globaler Erwärmung und Migration zu befassen.

Über den Fachkräftemangel in der Industrie wird viel gesprochen. Wie ist es für Sie und das Kunstmuseum: Finden Sie geeignete Mitarbeitende?

Auch in unserer Branche verzeichnen wir keine steigenden Bewerber:innenzahlen, sie sind bestenfalls stagnierend. Ich kann mir vorstellen, dass es in den nächsten Jahren schwieriger werden wird, Personal zu finden, nicht zuletzt, da immer mehr Wert auf Work-Life-Balance oder das Arbeitszeitmodell Vier-Tage-Woche gelegt wird. Das ist einerseits verständlich, andererseits ist zum Beispiel kuratorische Tätigkeit als Grundlage für Ausstellungen kein Nine-to-five-Job.

Was sehen Sie als die größten Herausforderungen für die nächsten 30 Jahre?

Sicherlich müssen wir zunehmend und noch intensiver dafür sorgen, dass wir die unterschiedlichsten Menschen ins Museum bekommen; dass sie sich weiterhin mit Kunst beschäftigen und auseinandersetzen wollen. Außerdem müssen wir uns noch viel mehr um Nachhaltigkeit, um die Reduzierung unseres Ressourcenverbrauchs kümmern – denn ein Museum ist zunächst eine Institution, in der sehr viel Energie für Klimatisierung, Strom, für Transporte verbraucht wird. Darüber hinaus wird es einen größeren Sanierungsbedarf geben – das Haus ist jetzt 30 Jahre alt.