Braunschweig. Viel Regen verheißt eine gute Ernte? Leider nicht ganz. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen zieht eine Bilanz des Erntejahres 2023.

Wenigstens für die Pflanzen ist der viele Regen gut – mit diesem Gedanken mag sich der ein oder andere in den regnerischen Sommerwochen im Juli und August getröstet haben. Gilt das tatsächlich für das Erntejahr? Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK) zieht Bilanz.

„Seit 2018 waren die Jahre sehr trocken, es gab ein Wasserdefizit auf allen Flächen“, erklärt der Präsident der LWK, Gerhard Schwetje. Dieses Jahr sei allerdings ein besonderes Erntejahr gewesen. „Bis März war das Wetter super für die Landwirtschaft“, so Schwetje, „danach wurde es sehr trocken für zwei Monate.“

Das Land im Süden Braunschweigs habe einen lehmigen Boden und die Trockenphase gut überstanden. Im Norden habe der sandige Boden das Wasser nicht so gut speichern können. Die Landwirte dort mussten ihre Felder zusätzlich beregnen – dabei wurden die hochpreisigen Kartoffeln oder Zuckerrüben zum Beispiel der Sommergerste vorgezogen. „Die fing dann an zu hungern“, beschreibt es Schwetje.

Regengüsse im Juli und August machen Ernte schwierig

Der einsetzende Regen im Juli und August hat dem Getreide allerdings auch nicht viel Gutes gebracht. Die Zeiträume, in denen Landwirte zwischen Stürmen und Regenschauern die Ernte einholen konnten, seien „extrem knapp“ gewesen, sagt der Kammer-Präsident. Um Getreide nach dem Regen ohne Schwierigkeiten dreschen zu können, seien Trockenphasen von 24 bis 48 Stunden notwendig, sagte Kammerdirektor Bernd von Garmissen am Mittwoch.

Und: „Mit jedem Regentag, an dem die Mähdrescher nicht fahren konnten, hat die Backqualität von Weizen und Roggen abgenommen – so verwandelte sich Brotgetreide vielerorts in Futtergetreide“, wird er in der Mitteilung der LWK zitiert. Das hat Folgen für die Landwirte, denn Futtergetreide ist weniger wert als Brotgetreide. Der Abstand von Futterweizen zu Brotweizen beispielsweise belaufe sich zurzeit auf 2,70 bis 3 Euro pro Dezitonne, also pro 100 Kilogramm, heißt es.

Durchschnittlich geht die Kammer davon aus, dass der Getreide-Ertrag in diesem Jahr bei 70,1 Dezitonnen (7 Tonnen) pro Hektar in Niedersachsen liegt – 7,6 Prozent weniger als im Jahr davor. Der vorläufig berechnete Erlös der Landwirte liegt bei 21,20 Euro je Dezitonne und damit 27,9 Prozent unter dem des Vorjahres. „Letztes Jahr gab es einen guten Durchschnittsertrag und dazu hohe Preise“, erklärt Schwetje. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hatte die Preise damals hochgetrieben. Dieses Jahr bewegten sich Ertrag und die Preise wieder auf „Normalniveau“.

Schwetje: Zuckerrüben und Mais „Gewinner des Jahres“

Vom nassen Sommer haben aber auch einige Sorten profitiert: insbesondere Zuckerrüben und Mais. „Wir hoffen auf gute Ernteerträge“, sagt Schwetje. Erste Proberodungen bei Zuckerrüben deuteten auf Erträge über dem Fünf-Jahres-Mittel von rund 75 Tonnen je Hektar. Wegen des „sehr guten Zuckerpreises auf dem Weltmarkt“ seien „auskömmliche Erlöse“ zu erwarten, erklärt der Kammer-Präsident am Mittwoch.

Beim Mais hätten sowohl die hohen Temperaturen im Frühsommer als auch der starke Regen das Pflanzenwachstum gefördert. Erwartet würden durchschnittliche bis leicht überdurchschnittliche Erträge. Außerdem konnte auch Wintergerste dank der frühen Ernteperiode im Juli planmäßig geerntet werden, heißt es in der Mitteilung der LWK. Im Braunschweiger Land sei in diesem Jahr mit vielen Zuckerrüben und Wintergerste aus dem Süden und Mais und Zuckerrüben aus dem Norden zu rechnen. Insgesamt, so Schwetje, sei dies wirtschaftlich gesehen „kein Jahr zum Klagen, aber auch keines für Freudensprünge.“

Kartoffel-Erzeugerpreis steigt um 73,9 Prozent

Bei Kartoffeln rechnet die Kammer mit einer durchschnittlichen Ernte, für eine Ertragsprognose ist es nach Schwetjes Worten aber noch zu früh. Mit den regenreichen Sommermonaten seien auch Pflanzenkrankheiten wie die Kartoffelfäule gekommen.

Außerdem war die Importware den Angaben zufolge schnell verbraucht, dafür aber die Nachfrage im Verarbeitungssektor groß. Dadurch stieg der Erzeugerpreis für eine Dezitonne Kartoffeln um 73,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 40 Euro. Fast die Hälfte aller deutschen Kartoffeln wächst in Niedersachsen.

Auch die Öko-Betriebe habe die verregnete Ernte getroffen, sagte Schwetje. Der überwiegende Teil des Öko-Wintergetreides sei nur als Viehfutter zu verwenden. Ohnehin habe die hohe Inflation den Bio-Boom vorerst abgebremst. Profitiert vom Wetter hätten Öko-Mais, -Zuckerrüben und -Sonnenblumen.

„Breite Fruchtfolge“, um auf Klimawandel-Folgen zu reagieren

Damit unvorhergesehenes Wetter nicht die ganze Ernte von Landwirten zunichte macht, sei es ratsam, eine „breite Fruchtfolge“ anzupflanzen. Also: nicht nur auf die Wintergerste zu setzen, zum Beispiel, meint Schwetje. All jene Höfe, die neben Getreide zum Beispiel auch Zuckerrüben und Mais angebaut haben, würden voraussichtlich „mit einem blauen Auge davonkommen.“ Außerdem gibt es noch eine andere Nische: der Anbau von Quinoa, Amaranth oder Kichererbsen.

Als positives Beispiel aus der Region Braunschweig-Wolfsburg nennt Schwetje am Telefon außerdem Landwirte aus dem Landkreis Helmstedt. Die hätten dort unter anderem angefangen, Sonnenblumen zu pflanzen, erzählt der Kammer-Präsident. „Das ist zwar noch ein kleiner Markt, aber für den Einzelnen ein guter Zusatz.“

Ein anderes interessantes Projekt gibt es im Landkreis Wolfenbüttel. Hierbei geht es allerdings um den Artenschutz – genauer gesagt um den Schutz des Feldhamsters, wie Nora Kretzschmar, Naturschutzexpertin der Kammer, mitteilt. Dort ernteten die Landwirte ihr Getreide mit hochgestelltem Mähwerk unterhalb der Ähren. So blieben längere Stoppeln und restliche Getreidekörner liegen und böten Schutz und Nahrung für die Tiere.