Braunschweig. Die Open-Air-Oper von Giacomo Puccini nahm ein nasses und kaltes vorzeitiges Ende. Das sind die Konsequenzen.

Sintflutartige Regenfälle hatten am Mittwochabend die Oper Tosca auf dem Braunschweiger Burgplatz gestoppt. Bedröppelt ziehen die Besucherinnen und Besucher von dannen, an den Haltestellen und in manchen Kneipen wird diskutiert: Gibt es eine Entschädigung? Können wir nochmal rein? Es hatte ja so schön angefangen, wenngleich klitschnass durch und durch.

Wir haken nach bei Staatstheater-Pressesprecher Johannes Ehmann. Im Grunde genommen gebe es laut Geschäftsbedingungen, wie sie auch andere Häuser hätten, keinen Anspruch auf Entschädigung, wenn die Vorstellung bis zur Pause durchgelaufen sei. In diesem Fall aber habe Braunschweigs Staatstheater-Intendantin Dagmar Schlingmann jetzt ausdrücklich anders entschieden.

Johannes Ehmann: „Und zwar, dass jeder, der in der Vorstellung am Mittwochabend war, bei Vorlage der Karte beziehungsweise über seinen Namen Karten zu je 10 Euro für einen der beiden ersten Termine für La Boheme (1. und 3. Oktober 2023) auf den besten Plätzen und zusätzlich einen Getränkegutschein erhält.“ Es treffe sich gut, „dass wir gleich zu Beginn der Spielzeit diese passende Puccini-Wiederaufnahme im Programm haben“.

Und Tosca? Da ist nichts zu machen. Für die Burgplatz-Oper gebe es in den noch verbleibenden Vorstellungen in diesem Jahr nicht mehr genug Karten für alle Regen-Opfer.

Wie oft musste denn überhaupt achon abgebrochen werden? Das sei schon extrem selten, heißt es beim Staatstheater.

Axel Goerlt, Kassenchef seit 2008, recherchierte auf Anfrage der Redaktion. Tatsächlich könne dies nicht mehr ermittelt werden, „da eine angefangene Vorstellung im System nicht ,ausgefallen’ ist und auch sonst nicht weiter markiert ist“. Interessant. Der Kassenchef schätzt: „Abbrüche sind in den letzten 20 Jahren immer mal wieder vorgekommen, bleiben aber zum Glück eine große Ausnahme“.

Das wollen wir hoffen. Übrigens auch für den weiteren Regensommer 2023, in dem Giacomo Puccinis Oper Tosca ja noch bis zum 13. September gespielt wird ...

Nach dem ersten Akt und vor der Pause war die Oper abgebrochen worden. Ein Ende des Regens war nicht abzusehen

Nachdem es bei strömendem Regen für die Akteure und Sänger unterm Burglöwen immer gefährlicher geworden war und Wasser auch bereits in den Orchesterraum unter geschlossenen Planen von oben eindrang, hatte sich das Staatstheater zum Abbruch der Aufführung der Puccini-Oper nach dem ersten Akt und vor der Pause entschlossen.

Bewegungsspielraum wie in einer Sardinenbüchse: 60-köpfiges Orchester auf engstem Raum.
Bewegungsspielraum wie in einer Sardinenbüchse: 60-köpfiges Orchester auf engstem Raum. © FMN | Henning Noske

Ich, der Reporter, der im 60-köpfigen Orchester auf engstem Raum als Zaungast Platz 61 besetzte, erlebte mit, wie mehr als 100 Akteure und mehr als 1000 Zuschauer frustriert, durchnässt, frierend, aber auch mit Verständnis einen Operabend abbrechen mussten, der so fulminant begonnen hatte.

Das Orchester signalisiert Zustimmung - über einzelnen Plätzen regnet es schon durch

Zwar stand die Aufführung von Beginn an unter dem Damoklesschwert des Regens, doch nachdem fürs Staatsorchester und die empfindlichen Instrumente die Schutzplane entfaltet worden war, hatte Tosca bei Dauerregen und mit tapferen Sängerinnen und Sängern in Ensemble und Chören regulär begonnen.

Hochkonzentriert in seinem Element: Generalmusikdirektor Srba Dinić.
Hochkonzentriert in seinem Element: Generalmusikdirektor Srba Dinić. © Braunschweig | Henning Noske

Doch der Regen nahm ständig zu, verdichtete sich zu einem trüben Vorhang und trommelte förmlich aufs Orchesterdach. Im Publikum hatte man sich mit Pelerinen und Planen vermummt. Um 20.23 Uhr dann der bittere Entschluss: Abbruch! „Das ist Burgplatz!“, sagt Chefdirigent Srba Dinić danach. Es ist seine fünfte Burgplatz-Oper - und erst sein zweiter Abbruch. Das Staatsorchester quittiert die Maßnahme im engen provisorischen Orchesterraum mit der Anmutung eines Raumschiffs mit Zustimmung. Über einzelnen Plätzen hatte es bereits durchzuregnen begonnen.

Auf der Bühne spielten sich Szenen ab, die an eine Rutschpartie erinnerten. Sängerinnen und Sänger der Chöre, beim Auftritt in Regenponchos gehüllt, schlidderten durch Regenpfützen. Dinic selbst, gleichsam Verbindungsmann zwischen Orchester-Burgplatzgraben und Tosca-Bühne, schüttelte in der konzentrierten Leitung mehrfach den Kopf, wischte sich Regentropfen aus dem Gesicht und teilte den Streichern um ihn herum mit, dass eine klamme Kälte hereinzog. Die Sängerinnen und Sänger draußen dampften schon aus dem Mund, signalisierte er mit einer Handbewegung.

„Tosca, du lässt mich Gott vergessen!“ - dann signalisiert das Regenradar endgültig: Abbruch!

Schade, immer noch Hoffnung, doch als Polizeichef Scarpia in der Puccini-Oper sang: „Tosca, du lässt mich Gott vergessen!“ und die wunderbare Musik zum Finale des ersten Akts anschwoll, war Schluss. Und die traurige Durchsage gab Gewissheit: Das Regenradar für Braunschweig zeigte an, dass mit einem Abebben in den nächsten Stunden nicht mehr zu rechnen war. Instrumente wurden zusammenpepackt, Rucksäcke geschnürt, eilig der Heimweg unter Kapuzen durch die regennasse Stadt angetreten.

Meine Nachbarn, die Hörner: Michael Klamp (vorn), Sophie Günther.
Meine Nachbarn, die Hörner: Michael Klamp (vorn), Sophie Günther. © FMN | Henning Noske

So kommen die geplanten Studien zur Akustik im Orchester-Verschlag selbst, der den Musikern den Bewegungsspielraum einer Sardinenbüchse beschert, zwangsläufig ein wenig zu kurz. Drinnen, das muss man sagen, ist der Klang unbeschreiblich bis interessant. Nicht unbedingt schön. Aber laut.

Mein Platz ist in den Kontrabässen und gleich neben den Hörnern. „Wir sind hier drinnen abgeschnitten, können das Klangerlebnis, wie es draußen ankommt, nicht erschließen“, sagt mir Hornistin Sophie Günther. Über zahreiche Mikrofone wird der Klang nach draußen übertragen. Umgekehrt kommen die Stimmen von draußen über Monitore (Lautsprecher) herein.

Nach einer halben Stunde entschließe ich mich, die vorsorglich mitgebrachten Gehörschutz-Stopfen einzuführen. Besser ist es. Das Ergebnis ist ebenfalls interessant: Das Prasseln des Dauerregens ist weg, aber Pauken und Bläser immer noch voll da.

Beim Lärmschutz hat im Maschinenraum der Musik jeder seine eigene Strategie

Was den Lärmschutz an diesem außergewöhnlichen Arbeitsplatz betrifft, so hat im Orchester jeder seine eigene Strategie, manche mit Gehörschutz, viele ohne. Es ist ein Maschinenraum der Musik voller Individualisten, die auf faszinierende Weise, mit Leidenschaft, aber nicht gerade komfortabel untergebracht, perfekt zusammenspielen.

Mein Nachbar am Kontrabass: Noi Nishiguchi.
Mein Nachbar am Kontrabass: Noi Nishiguchi. © FMN | Henning Noske

Menschen wie mein Nachbar zur Linken, der zierliche Japaner Noi Nishiguchi (24), seit einem Jahr im Staatsorchester, der seinen gewaltigen Kontrabass in den provisorischen Holzfußboden überm Braunschweiger Burgplatz-Pflaster stemmt. Vater und Mutter in Kyoto spielen auch Kontrabass, erzählt er mir, fing schon in der Schule mit diesem Instrument an - und hat einen Traum: Dort also in Kyoto nämlich einmal mit beiden gemeinsam im Symphonieorchester zu spielen.

Open air“, sagt Noi noch, und wir blicken auf den triefenden Burgplatz, „ist eigentlich gut, auch ganz schön, sehr schön“. Nur das Wetter ...