Braunschweig. Die Luftfahrtelektronik-Firma Aerodata rüstet Serienflugzeuge zu Spezialfliegern um. Zu ihren Kunden gehört auch das Militär.

Unser Leser Andreas Wiercioch aus Vechelde fragt:

Könnten größere Flüchtlingsgruppen so frühzeitig geortet werden, dass sie gar nicht erst Boote besteigen oder zumindest so schnell wie möglich aus dem Meer geborgen werden können?

Die Antwort recherchierte Sibylle Haberstumpf

Luft und Daten. Damit beschäftigt sich die Firma Aerodata mit Sitz am Braunschweiger Forschungsflughafen. Es geht dabei um Luftfahrtelektronik– um Radar, Sensoren, Navigation und Satellitenkommunikation. Und immer öfter geht es dabei auch um brisante Themen. Zum Beispiel um Flüchtlinge. Flüchtlinge, die im Norden Afrikas in Boote steigen und über das Mittelmeer nach Europa wollen und die geortet werden müssen, wie es unser Leser anspricht.

Was bei der Gründung des Unternehmens Aerodata im Jahr 1985 mit reinen Forschungsdaten begann – nämlich mit Messungen von Temperatur, Wind und Feuchtigkeit in der Antarktis – hat sich mittlerweile ausgeweitet zu einem globalen Einsatz von Flugsystemtechnik. „Die Flugvermessung ist das Kerngeschäft unseres Unternehmens“, betont Aerodata-Chef Hans Stahl, 56, Diplom-Ingenieur und früherer Bundeswehr-Hauptmann. Flugvermessung ist notwendig für die präzise Einstellung von Navigationsanlagen. Die Technik, die dahinter steckt, ist ein hoch spezialisierter Nischenmarkt.

Mit Hilfe dieser Elektronik werden sogenannte Instrumentenlandesysteme (ILS) auf Flughäfen regelmäßig überprüft. Aerodata verkauft sie in alle Welt, etwa an Argentinien, Russland, Japan oder Indonesien. Rund 60 Länder gehören zur Kundschaft. National gibt es keinen Wettbewerb, sagt der Geschäftsführer. „Wir operieren international.“ Nur vier Firmen gibt es weltweit, die den Markt bedienen, je eine in Frankreich, Norwegen, den USA und eben Aerodata in Deutschland. Die Braunschweiger gelten als Weltmarktführer.

„Sind richtig in den Flüchtlingstrubel geraten“

130 Mitarbeiter sind am Forschungsflughafen beschäftigt, etwa die Hälfte davon sind Luft- und Raumfahrtechniker, Software-Spezialisten und Elektrotechniker. Zu der an sich schon komplizierten Materie kommt seit einigen Jahren etwas hinzu: ein politisches Element. „Wir sind richtig in den Flüchtlingstrubel geraten“, sagt Stahl. Denn seit die Firma ihr Spektrum Ende der 1990er Jahre erweitert hat, liefert sie auch Technik für so sensible Bereiche wie See-, Grenz- und Luftraumüberwachung. Etwa zur Ausstattung von Seefernaufklärern der pakistanischen Marine. Und auch zur Ortung von Flüchtlingsströmen im Mittelmeer.

Größter Kunde ist dabei die kleine Inselrepublik Malta, sprich die maltesischen Streitkräfte (Armed Forces of Malta). Malta ist der kleinste Staat der EU. Mit 430 000 Einwohnern auf nur 316 Quadratkilometern Fläche gilt er als das Land mit der fünfthöchsten Bevölkerungsdichte der Welt. Die Malteser hätten „ein großes Interesse daran, frühzeitig zu sehen, wer zu ihnen kommt“, erläutert Hans Stahl. Italien und Malta waren in den vergangenen Jahren die Hauptziele von Bootsflüchtlingen aus dem Norden Afrikas.

Aufgrund seiner geringen Größe hatte Malta sich mehrmals dagegen ausgesprochen, noch mehr Bootsflüchtlinge aufzunehmen – international hat es dafür Kritik gegeben. Maltas Marine ist laut eigenen Angaben für die Koordinierung der Seenotrettung in einem 180 mal 600 Seemeilen großen Gebiet zuständig. In Braunschweig bei Aerodata haben die Malteser mittlerweile drei Flugzeuge vom Typ King Air 200 mit modernen Seeüberwachungssystemen ausrüsten lassen, um den Schiffsverkehr rund um ihre Insel zu sichten – der dritte Flieger wurde gerade in Valletta offiziell in Betrieb genommen. Die Flieger können Boote orten und erkennen, wie viele Menschen darauf sind.

Steht die Überwachung vor der Lebensrettung?

Einige Menschenrechtsorganisationen oder auch das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (ISW) in München kritisieren: Hier gehe es nicht hauptsächlich um die Seenotrettung – vielmehr stünden bei der Grenzsicherung die Überwachung und die Abwehr von Bootsflüchtlingen weit vor der Lebensrettung. Denn trotz der modernen Überwachung sind im vergangenen Jahr nach UN-Angaben fast 4000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken.

Aerodata-Chef Hans Stahl kennt die ethische Diskussion, beharrt aber auch darauf: Für die Malteser sei zu viel Flüchtlingszulauf schwer zu verkraften. Er beruft sich auf einen „Konsens in der EU, die Malteser nicht zu überfordern“. Dank Aerodata hätten sie nun die modernste Ausrüstung, die man bekommen könne. Stahl erklärt: „Sie können damit frühzeitig detektieren, wo die Boote sich befinden und damit auch Prognosen für die italienische Küstenwache liefern. Und sie dirigieren auch eigene Hubschrauber, Boote und Schiffe dahin, wo die Boote in Seenot sind.“

Seine Firma bezeichnet der Diplomingenieur als „Gehirnhersteller“ der Flugzeuge. Die Arbeit besteht darin, normale Flieger mit intelligenter Technik umzurüsten, so dass sie gemäß dem Firmenmotto spezielle Missionen („special missions“) übernehmen können. Aus Standardflugzeugen werden so in Braunschweig beispielsweise SAR-Suchflugzeuge („Search And Rescue“, zu Deutsch: Suche und Rettung). Aerodata verkauft seine Luftmesstechnik an Luftfahrtbehörden, Flugsicherungen oder an Luftwaffen im In- und Ausland. Das Unternehmen kauft übrigens auch selbst Flugzeuge, um sie dann umgerüstet an den Kunden zu liefern: Ein mittelgroßes kostet etwa acht Millionen, ein größeres zehn Millionen Dollar.

Die Internationalität hält Hans Stahl für das Spannendste in seinem Job. Es klingt tatsächlich exotisch: Bei ihm sind Mitarbeiter aus 15 Nationen beschäftigt, etwa aus Kamerun, Russland oder Peru. Wirtschaftlich ist das von Vorteil: „Wir können damit die Sprachen vieler unserer Kunden abdecken, die ja oft aus einer anderen Kultur kommen“, meint der Geschäftsführer. „Unser Zugang zu diesen Kulturen sind unsere Mitarbeiter, die aus diesen Kulturen kommen.“