Berlin/Köln. Das Bundesverwaltungsamt klagt über politische Vorhaben, die am Bürger vorbeigehen. Ein Beispiel: Der elektronische Personalausweis.

Der 1. November 2010 hätte ein Meilenstein sein können. Mit dem Tag der Einführung des elektronischen Personalausweises sollte das Leben der Deutschen einfacher und unbürokratischer werden. „Er ist kleiner als der alte, kann aber viel mehr“, bewarb Thomas de Maizière (CDU), damals wie heute der verantwortliche Innenminister, den scheckkartengroßen Ausweis noch vor dessen Start.

Mit „viel mehr“ meinte der Minister die zuschaltbare Funktion, mit der die Nutzer sich im Internet erstmals ausweisen dürften. Nicht nur Behördendienste, etwa die Abmeldung des Autos, sondern auch Online-Einkäufe sollten mit der neuen Karte leichter und sicherer werden.

Teures Lesegerät für Zusatzfunktionen nötig

Nun gibt es den E-Personalausweis seit mehr als sechs Jahren, und so viel steht fest: Die Deutschen können mit dem digitalen Tamtam um die Plastikkarte nicht viel anfangen. Wer sie Zuhause nutzen will, braucht ein Kartenlesegerät – dafür müssen neben den 28,80 Euro für den Ausweis noch einmal zwischen 20 und 90 Euro investiert werden. Die wenigsten sind dazu bereit.

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Nach Angaben des Bundesverwaltungsamts (BVA) mit Sitz in Köln haben circa nur ein Drittel der 47,5 Millionen Inhaber des elektronischen Personalausweises die Online-Funktion aktiviert. Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Herbst vergangenen Jahres veröffentlichte Studie „E-Government-Monitor“, wonach von allen Ausweisinhabern gerade einmal 28 Prozent den elektronischen Zusatz nutzen.

BVA-Präsident: Bürger sind über Vorteile nicht informiert

Was ist da schiefgelaufen? Nachgefragt beim Bundesverwaltungsamt: Die Behörde ist als Dienstleister der Bundesregierung für die Firmen und Ämter zuständig, die für ihre Angebote und Dienste den digitalen Ausweis nutzen wollen und hierfür ein Zertifikat benötigen.

Ein Kartenlesegerät für den Personalausweis.
Ein Kartenlesegerät für den Personalausweis. © imago stock&people | imago stock&people/Sven Simon

BVA-Präsident Christoph Verenkotte spricht offen über die Fehler, die schon vor der Einführung der kleinen Karte gemacht wurden. Er wirft der Politik vor, die Bürger über die Vorzüge des elektronischen Ausweises nicht ausreichend informiert zu haben. „Wir waren der Meinung, dass man den elektronischen Personalausweis bewerben muss. Das sah der Bundestag seinerzeit anders und hat den einstelligen Millionenbetrag für eine Öffentlichkeitskampagne gestrichen“, erklärt der Behördenchef.

Ämter wissen wenig über die Funktionen des Ausweises

Es habe auch keine Schulungen für diejenigen gegeben, die die Ausweise aushändigen. Daran leide der Einsatz des elektronischen Personalausweises noch heute, klagt er – und beschreibt gravierende Folgen: Wer heute zum Bürgeramt gehe, erhalte meistens keinen Hinweis auf die elektronische Funktion des Ausweises. „Viele Mitarbeiter in den Bürgerämtern wissen nicht, was man alles mit dem elektronischen Personalausweis tun kann“, sagt er. In der Berliner Verwaltung sieht es nicht anders aus.

Gut gemeint, schlecht gemacht: Für Verwaltungsamtspräsident Verenkotte ist der Ausweis längst nicht die einzige Maßnahme der Politik, die – wenn sie zur Anwendung kommt – nicht richtig funktioniert. Er wirft den Bundesministerien grundsätzlich vor, politische Entscheidungen und Gesetze zu praxisfern zu gestalten. „In den Ministerien fehlt oft der Wille, diejenigen zu beteiligen, die die Gesetze in der Praxis umsetzen müssen“, sagt er.

Wenn ein Gesetz fertig ist, fängt die Arbeit erst an

Die Politik setze sich zu wenig mit der Umsetzung ihrer Entscheidungen auseinander, kritisiert Verenkotte, „denn der Erfolg von Politik hängt nicht von der Formulierung eines Gesetzes ab, sondern von der Praxistauglichkeit des umsetzenden Verwaltungsverfahrens“.

Das finde zu wenig Berücksichtigung, beklagt Behördenchef. Verenkotte wirft der Politik vor, „leider oft“ zu vergessen: „Wenn ein Gesetz fertig ist, fängt die Arbeit erst richtig an.“ Man brauche einen Projektplan, klare Ziele, die richtigen Mitarbeiter, ausreichend finanzielle Ressourcen. Das sei viel Arbeit. In der Politik heiße es oft schlicht, man müsse „nur die Ärmel hochkrempeln, dann wird es schon klappen“. Das sei „pure Illusion“, beklagt der BVA-Präsident.

Kritik auch an den Lebensarbeitszeitkonten

Bundesinnenminister Thomas De Maizière bei der EInführung des neuen Personalausweises im Jahr 2010.
Bundesinnenminister Thomas De Maizière bei der EInführung des neuen Personalausweises im Jahr 2010. © imago stock&people | imago stock&people

Auch die politische Ausgestaltung der sogenannten Lebensarbeitszeitkonten ist für ihn so ein Beispiel: Eigentlich sollte es bei den Arbeitskonten darum gehen, im Berufsleben Zeit anzusparen, um zu einem späteren Zeitpunkt früher in Rente gehen zu können oder Angehörige pflegen zu können. „Heraus kam ein komplett praxisuntaugliches System, weil die umsetzenden Behörden nicht hinreichend beteiligt waren“, schimpft Verenkotte.

Das Gesetz ermöglichte Arbeitnehmern eine Zeitersparnis von maximal sieben Monaten, „das ist viel zu wenig Ertrag für zu viel Aufwand. Die Beschäftigten fühlen sich verschaukelt.“

Das BVA hat mehr Aufgaben, als der Name vermuten lässt

Sein Ärger hat Gründe: Das Bundesverwaltungsamt ist mehr, als der Behördenname vermuten lässt. Als zentraler Dienstleister ist das BVA nach eigenen Angaben nicht nur die ausführende Verwaltungsbehörde des Bundes, sondern auch mit unzähligen Zusatzaufgaben beauftragt: Es ist etwa verantwortlich für das Auslandsschulwesen, das Zuwendungsmanagement der Sport-, Kultur-, Jugend- und Sozialförderung, vergibt Bildungskredite, zieht BAföG-Darlehen ein und ist Ausbildungsbehörde für den mittleren Dienst auf Bundesebene.

Das BVA kümmert sich zudem um das Ausländerzentralregister, das Reisemanagement, Beihilfe und Bezüge der Bundesbeamten sowie die Personalgewinnung der Bundesministerien.

Positiv-Beispiel: Der Gotthardtunnel in der Schweiz

Sollte einmal ein Mammutprojekt wie der elektronische Personalausweis wieder anstehen, rät der Verwaltungsamtschef der Politik, mal in der Schweiz nachzufragen. Dort habe es ein Projekt gegeben, an dem sich „die Politik in Deutschland ein Beispiel nehmen“ könne, wie er sagt: der Gotthardunnel. Da habe es von der Schweizer Politik aus gesehen keine „ministerielle Arbeitsgruppe“ gegeben, sondern ein klassisches Projektmanagement – „unter Einbeziehung der Umsetzer“, wie Verenkotte betont.

Was er am Gotthard-Projekt so gut findet? „Die ausführenden Personen konnten Änderungsvorschläge einbringen, und das hat das Vorhaben verbessert.“ Davon sei man in Deutschland noch weit entfernt, doch Verenkotte stellt auch fest, zumindest beim Verteidigungsministerium und Verkehrsministerium gebe es inzwischen sehr Schritte in diese Richtung.