Hamburg. In der ARD-„Wahlarena“ wird der SPD-Kanzlerkandidat nicht sehr gefordert.

Als Annette Hackebeil, 42 Jahre alt, aus dem Erzgebirge, erzählt, wie sie als sechsfache Mutter von Kindern zwischen drei und 22 Jahren das Familienleben organisiert und mit einer Rentenprognose von aktuell 603 Euro leben muss – da hält Martin Schulz einen Moment inne. Er sei „wirklich aufgewühlt“, sagt Schulz, er fühle sich sehr an seine Mutter erinnert, die fünf Kinder hatte. Die Lage von Frau Hackebeil zeige, „was Ungerechtigkeit bei den Generationen“ bedeute. „Ich will Ihren Rentenbescheid ändern“, verspricht Schulz der Frau, und zwar durch eine neue Solidarrente, die Kleinrentner besserstelle. Es ist ein kleiner emotionaler Moment in der „Wahlarena“, am Montagabend live in der ARD. So richtig überzeugt scheint die Mutter allerdings nicht.

Es läuft nicht gut für SPD-Chef Martin Schulz. Das Stimmungshoch aus den ersten Wochen nach seiner Kür zum Kanzlerkandidaten ist längst verflogen. In den Umfragen liegt der Herausforderer meilenweit hinter Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Union. Sein Mantra von der Unentschlossenheit vieler Wähler, wem sie am 24. September ihre Stimme geben sollen, klingt längst mehr nach Zweckoptimismus als nach einer echten Chance. Schulz’ letzte Hoffnung, so scheint es in den letzten Tagen vor der Wahl: Die SPD rettet sich noch einmal in eine Große Koalition. Doch ob die SPD-Mitglieder noch einmal dem ungeliebten schwarz-roten Bündnis ihren Segen geben würden, gilt als höchst ungewiss.

Und nun steht Schulz an diesem Montagabend in einer Halle im Lübecker Hafen und stellt sich den Fragen von Bürgern. Es ist sein letzter großer Auftritt vor der Bundestagswahl. Kann Martin Schulz diese Chance nutzen, um seine Lage zu verbessern?

Er spricht über den Abbau der Staatsverschuldung, unter der aber die „Investitionen in die Zukunft“ nicht leiden dürften: „Wenn wir nicht investieren, wachsen wir nicht. Und wenn wir nicht wachsen, haben wir keine Einnahmen, um Schulden zu tilgen.“ Er spricht über das Wohnungsproblem von Familien (Schulz: „Die Mietbremse hat nicht funktioniert“) oder über sein Versprechen, die Kitagebühren abzuschaffen: „Wir müssen die Familien stärken.“ Die Fragen aus dem Publikum sind meist eher zahm, Schulz hat es nicht sonderlich schwer, dagegenzuhalten.

Bei Angela Merkel sah das eine Woche zuvor in der ARD-„Wahlarena“ noch anders aus. Ein Pflege-Azubi hatte die Kanzlerin während der Livesendung mit den gravierenden Folgen des Fachkräftemangels in der Kranken- und Altenpflege konfrontiert – und dies bemerkenswert hartnäckig. Der junge Mann ließ sich nicht von Merkel abwimmeln, argumentierte leidenschaftlich und gab sich nicht mit Allgemeinplätzen zufrieden. Im Internet wurde er dafür gefeiert.

Auch Schulz hat in Lübeck seinen Pflegemoment. Die Geschäftsführerin einer Pflegeeinrichtung spricht ihn auf die schlechte Bezahlung der Mitarbeiter an. Sie habe „mit Entsetzen gesehen“, dass SPD-Sozialministerin Andrea Nahles den Mindestlohn der Branche auf 10,23 Euro angehoben habe. Das sei zu wenig.

Schulz hat die Sendung mit Merkel gesehen, er ist vorbereitet, scheint nur auf das Thema gewartet zu haben. „Ich werde einen kompletten Neustart in der deutschen Pflegestruktur beginnen“, antwortet er. Er werde dafür sorgen, dass es mehr Personal, eine um 30 Prozent höhere Bezahlung sowie mehr Pflegeplätze gebe. „Das ist Staatsaufgabe Nummer eins“, sagt er.

Das Fazit: Schulz geriet in der Fragestunde nicht in Bedrängnis. Die Bürger machten es ihm leicht. Beim Thema Pflege setzte er einen Treffer. Einmal zeigte er Emotionen.