Hannover. Die Fraktionen läuten den Wahlkampf ein. Das erste Kabinett Weil ist fast Geschichte.

Nach mehr als einer Stunde an Vorwürfen, Zwischenrufen und Wut packte der CDU-Abgeordnete Jens Nacke dann noch einmal den Hammer aus.

„Wer nicht freiwillig geht, der wird gegangen“, giftete Nacke an die Adresse des Ministerpräsidenten und dessen Ministerriege. Und dann war im niedersächsischen Landtag für diesen Tag alles vorbei: Der Antrag von SPD, Grünen, CDU und FDP auf ein Selbstauflösen des Landtags war eingebracht und diskutiert, das erste Kabinett Weil ist fast Geschichte. Am 21. August soll in einer weiteren Sitzung der nächste Akt folgen – der finale Beschluss zum Auflösen des Landtags. Neuwahlen sollen dann am 15. Oktober stattfinden.

„Das ist etwas, was zu Recht eine riesengroße Zahl von Menschen umtreibt.“
„Das ist etwas, was zu Recht eine riesengroße Zahl von Menschen umtreibt.“ © Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zum Übertritt Twestens.

Die Frau, die das alles am „Schwarzen Freitag“ vor einer Woche ausgelöst hatte, saß mitten in ihrer neuen Fraktion, der CDU-Fraktion. Für die Grünen war sie seit 2008 im Landtag gewesen. Doch die räumliche Entfernung von den Grünen und der SPD half Elke Twesten wenig, Die Fraktionsvorsitzenden Johanne Modder (SPD) und Anja Piel (Grüne) machten aus ihrem Zorn und ihrer Enttäuschung über den Übertritt Twestens zur CDU keinen Hehl. „Ich fürchte, Frau Twesten, Sie haben tatsächlich Ihren inneren moralischen Kompass verloren“, sagte Modder, während sich Twesten heruntergebeugt am Abgeordnetenpult Notizen machte. Dass es konsequenter gewesen wäre, das Mandat zurückzugeben, das dürften viele Abgeordnete durchaus ähnlich wie Modder sehen. „Was für ein Preis wurde bezahlt?“, fragte die SPD-Frau aber weiter. Die rot-grüne Mehrheit von einer Stimme habe bis zum Übertritt Twestens immer gestanden, erinnerten sich die Koalitionäre, zwischen trotzig und träumerisch. Die Grüne Anja Piel wirkte eher mitgenommen als kämpferisch. Piel zitierte aus einer Zeitungskolumne Twestens vom 12. Juni, die seinerzeit offiziell noch 100 Prozent Grüne war. „Keine andere Partei wird aktuell gerade so sehr gebraucht wie die Grünen – und wir alle können es uns nicht leisten, abzuwarten“, schrieb Twesten da. Dabei galt Twesten seit langem als konservative Grüne. Als Wahlkreiskandidatin in Rotenburg/Wümme war die Abgeordnete an der Basis zuletzt durchgefallen. Das hatte wohl den Ausschlag gegeben, die Grünen zu verlassen und zur CDU zu gehen.

Stephan Weil persönlich, der düpierte Ministerpräsident, las Twesten in der Debatte ebenfalls die Leviten. Nein, das alles sei kein normaler Vorgang. „Das ist etwas, was zu Recht eine riesengroße Zahl von Menschen in Niedersachsen umtreibt“, rief Weil erregt. Die Wähler hätten 2013 schließlich Rot-Grün die Stimme gegeben. Auch dass gerade jetzt seine Regierungserklärung von 2015 zum Thema VW skandalisiert worden sei, passe ins Drehbuch. Dabei sei dies in der Sache falsch und die Abläufe seit mehr als einem Jahr bekannt. Es ging um das Abstimmen der Rede mit VW, die grundsätzliche Kritik hatte sich Weil nicht abhandeln lassen.

Den demonstrativen Ovationen für Weil setzten CDU und FDP kühle Härte entgegen. „Sie sind am Ende gewesen mit Ihrer Politik“, sagte CDU-Fraktionschef Björn Thümler, Weil führe sich seit dem Twesten-Übertritt wie ein Rumpelstilzchen auf. Stefan Birkner von der FDP sah es auch so. „Sie sind gescheitert, und zwar an sich selbst, nicht an Elke Twesten.“ Und natürlich wollten SPD und Grüne nichts hören von der Lage an den Schulen an so einem Tag, über die sie sonst selbst oft schimpfen, und auch nichts von den vier Staatssekretären in der Staatskanzlei, dieser Staatskanzlei, wo so vieles durcheinandergehe. Mochten Thümler und Birkner von der Vergabeaffäre sprechen, von entlassenen Staatssekretären und Untersuchungsausschüssen, nahm sich die Zeit seit 2013 für die Regierungskoalitionen ganz anders aus. Der gewählte Ministerpräsident sei und bleibe Weil, rief SPD-Fraktionschefin Modder. Und versprach der CDU, die werde einen Denkzettel bekommen. „Sie versuchen es mit Mitleid“, sagte FDP-Mann Birkner an die Adresse von Weil. Man mache Twesten zum Mittel zum Zweck. Weil wiederum mahnte zu einem fairen Wahlkampf – das erwarteten die Bürger in Niedersachsen.