Jerusalem. Premier Netanjahu brüskiert Gabriel, weil dieser sich mit Kritikern der Regierung traf.

24 Stunden können in der Politik eine Ewigkeit sein. Am Montag bewegte sich Außenminister Sigmar Gabriel noch gemessenen Schrittes durch das Holocaust-Museum Yad Vashem in Jerusalem. Er trug die Kippa, die Kopfbedeckung männlicher Juden, und legte einen Kranz nieder. Nachdenklich und betroffen wirkte er. Es war der Tag der Shoah, an dem Israel der Ermordung der sechs Millionen Juden gedenkt.

Am Dienstag sah die Welt völlig anders aus. Das geplante Treffen zwischen Gabriel und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, der auch Außenminister seines Landes ist, stand nicht mehr auf dem Tagesplan des Regierungschefs. Die israelische Presse hatte bereits am Morgen berichtet, dass Netanjahu sauer auf den deutschen Gast sei und erwäge, das Gespräch platzen zu lassen.

Israels Premier steht innenpolitisch unter Druck

Die Veröffentlichung war wohl eine indirekte Warnung an Gabriel, den vorgesehenen Meinungsaustausch mit den zwei israelischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) „Breaking the Silence“ („Das Schweigen brechen“) und „Betselem“ doch noch abzusagen. Beide kritisieren die israelische Regierung scharf für ihre Politik in den palästinensischen Gebieten. „Breaking the Silence“ sammelt zum Beispiel anonyme Augenzeugenberichte von ehemaligen Soldaten, die das Vorgehen der israelischen Armee in den Palästinensergebieten anprangern. Israel- ische Kritiker werfen den Organisationen vor, Fakten zu verdrehen.

Gabriel hielt jedoch an der Begegnung fest. Am Nachmittag bestätigte Netanjahus Büro dann: Der Premier lasse die Unterredung sausen. Ein Eklat. „Die Politik von Ministerpräsident Netanjahu ist, sich nicht mit ausländischen Besuchern zu treffen, die auf diplomatischen Trips in Israel wiederum Gruppen treffen, die israelische Soldaten als Kriegsverbrecher verleumden“, teilte sein Büro mit. Völlig unvorbereitet sei die Sache für den deutschen Chefdiplomaten allerdings nicht gekommen, hört man in Jerusalem. Das Außenministerium habe über die Sorge der israelischen Regierung Bescheid gewusst, sollte Gabriel die NGO-Vertreter sehen.

Und noch eine Alarmglocke gab es, wenn man sie denn hätte hören wollen. Im Februar hatte sich bereits Belgiens Premierminister Charles Michel mit Mitgliedern von „Breaking the Silence“ getroffen. Aus Protest ließ Netanjahu anschließend den belgischen Botschafter einbestellen. All dies kümmerte Gabriel offenbar nicht. Am Dienstagmorgen sagte er im ZDF noch betont selbstbewusst: „Man muss sich mal vorstellen, der israelische Premier (...) würde nach Deutschland kommen, würde sich mit Kritikern der Regierung treffen wollen, und wir würden sagen: ‚Du, das geht nicht. Wenn du das machst, sagen wir unsere Termine ab.‘“ Das wäre undenkbar, so Gabriel.

Auch nach dem krachenden Ausklang des Nachmittags gab sich der Minister kühl, versuchte, die Angelegenheit herunterzuspielen. Er führte die Absage Netanjahus auf innenpolitische Motive zurück. Das Ganze sei „keine Katastrophe“, betonte er. „Mein Verhältnis zu Israel und das Verhältnis Deutschlands zu Israel wird sich jetzt in keiner Weise dadurch ändern.“

Tatsache ist, dass der israelische Premier seit geraumer Zeit zunehmend unter den Druck der Siedlerpartei in seiner Koalition gerät. Vor diesem Hintergrund hatte es bereits in der Vergangenheit deutsch-israelische Verstimmungen gegeben. So hatte die Bundesregierung das im Februar verabschiedete israelische Gesetz zur rückwirkenden Legalisierung von 4000 Siedlerwohnungen auf palästinensischem Privatland scharf kritisiert. Kurze Zeit später wurden die für Mai geplanten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen verschoben – aus Termingründen, wie es hieß. In israelischen Medien wurde aber gemutmaßt, die Verschiebung sei auf die deutsche Verärgerung über das Siedlergesetz zurückzuführen.