Brüssel. Nach den Anschlägen in Brüssel sind die Menschen auf den Straßen einig im Widerstand gegen den Terror.

„Normalité“ jetzt schon, einen Tag danach? „Geht nicht“, sagt Jan, der Blumenhändler. „Nicht mit den vielen Polizisten!“ – „Muss“, sagt Hannelore, die Parlamentsangestellte. „Nur so können wir zeigen, dass wir keine Angst haben.“ So angestrengt, wie Brüssel sich nach den Terrorwarnungen im November selbst abgeschlossen hat, so angestrengt will es nach den Terroranschlägen schnell wieder normal sein.

Der Held der Normalität heißt Christian Delhasse. Am Dienstag steuerte er den Metrozug, den die Bombe an der Haltestelle Maelbeek zerriss. Delhasse, vorn in seinem Fahrerhäuschen, kam nicht zu Schaden. Er half, die Verletzten ins Freie zu schleppen, vorbei an Toten und Verstümmelten. Am Dienstag erschien er wieder zum Dienst. Sowas nötigt selbst Joe Biden Respekt ab. „Die haben Rückgrat, die lassen sich nicht kleinkriegen“, lobt der US-Vizepräsident die Belgier bei einem Solidaritätsbesuch in der Botschaft in Washington.

Die ganze Stadt bemüht sich. Im Stadtteil Molenbeek, dort, wo Terroristen in ihren Zellen gehockt haben sollen, wo erst in der vergangenen Woche ihr mutmaßlicher Anführer Abdeslam festgenommen worden war, führen Lehrerinnen eine fröhliche Grundschulklasse über die Straße. Polizei? Nicht zu sehen. An einem der Tatorte, der U-Bahn-Station Maelbeek, ist von den weiträumigen Absperrungen nicht mehr viel übrig. An den Eingängen hängt noch Flatterband, die Rolltore sind heruntergelassen, doch eine Haltestelle weiter fährt die Metro wieder, spuckt am Morgen Menschen aus, die zur Arbeit eilen, den Blick nach unten gerichtet, stumm.

Unten aber warten sechs vermummte und bewaffnete Soldaten, kontrollieren jede Tasche. „Nein danke“, sagt eine Frau und macht auf dem Absatz kehrt. Sie geht doch lieber zu Fuß, die Geschäfte sind ja wieder offen, keine hundert Meter vom Anschlagsort herrscht geschäftiges Treiben, an Baustellen wird wieder gebaut.

Es ist vorerst ein wackliges Nebeneinander aus trotzig behaupteter Alltäglichkeit und den unübersehbaren Folgen der Katastrophe. An Bahnhöfen und anderen neuralgischen Punkten, vor den EU-Gebäuden, an Bahnhöfen, Haltestellen und belebten Plätzen ist zusätzlich Polizei, Gendarmerie und Militär aufgezogen. Die Metro funktioniert nur auf bestimmten Linien. Auch bei den Vorortzügen kommt es zu Ausfällen. Eurostar, Betreiber des Tunnelzuges nach London, forderte die Reisenden auf, früher am Südbahnhof zu erscheinen. Maelbeek selbst, einer der schöneren Bahnhöfe des bescheidenen Netzes, wird nach Darstellung des Brüsseler Bürgermeisters Yvan Mayeur Wochen brauchen, die Verwüstungen zu reparieren.

„Wir versuchen, normal zu sein, in einer Situation, die nicht normal ist“, sagt eine junge Italienerin im Europa-Viertel. Hinter ihr hängen drei rosafarbene Blumen am Geländer, „no fear“, keine Angst, hat jemand auf einen Zettel gekritzelt. Alles steht voller grüner Militärautos, vor der Kommission hängen die 28 blau-gelben EU-Sternenbanner auf halbmast.

Blumenmann Jan, der schon seit 18 Jahren hier seinen Stand hat, ist wütend. So viel Militär, so wenig Schutz. Jan wird laut, er zittert, die Tochter einer Bekannten aus seinem Dorf war in der U-Bahn, ein Opfer, das er gekannt hat. „Das geht ans Herz.“

Zum Knotenpunkt der Trauer hat sich der Platz vor der Börse in der Innenstadt entwickelt. Dort treffen sich seit dem Vortag Touristen und Einheimische. Um ihr Entsetzen zu bekunden, ihre Trauer und ihre Empörung. Um sich zu vergewissern, dass sie mit ihrer Fassungslosigkeit nicht allein sind. Und um zu demonstrieren – wem auch immer –, dass die Mord-Kampagne chancenlos bleiben wird.

Das Pflaster am Fuß der Treppe ist zum Kondolenzbuch geworden, auch wenn der Regen manche der bunten Kreidezeichnungen verwaschen hat „Brüssel, ich liebe dich“ oder „Bruxelles, ma belle“ haben sie auf die Steine geschrieben, „Liebe schlägt Hass“ oder „Wir sind Brüssel“. Viele Wünsche sind verdeckt von Flaggen aus aller Welt.

Zwei Kilometer weiter, im Europa-Viertel, trifft sich die politische Führungsebene, um ebenfalls schweigend ihren Respekt zu bekunden. Im Berlaymont, Sitz der EU-Kommission, ist neben dem Hausherrn Juncker und seinem Team ein Kreis versammelt, der für Belgien und Europa steht, mit König Philippe und seiner Gattin Mathilde, mit Premierminister Charles Michel und dessen französischem Kollegen Manuel Valls.

Am Sonntag wird an der Börse ein „Marsch gegen die Angst“ starten, eine weitere Demonstration ist für den Ostermontag am Brüsseler Wahrzeichen Atomium geplant. Drei Tage soll das ganze Land Staatstrauer halten.