Peking. Auch im Exil sind Aktivisten der Demokratiebewegung in Hongkong nicht sicher. Sie müssen Entführungen fürchten – und noch Schlimmeres.

Als Hongkongs Verwaltungschef John Lee vor die Presse trat, machte der 61-Jährige mehr als deutlich, wie ernst ihm die Angelegenheit ist: „Wir werden die Kriminellen lebenslang verfolgen, bis sie sich ergeben“, sagte der patriotische Regierungsbeamte.

Bei den „Kriminellen“ handelt es sich um acht Anhänger der Hongkonger Demokratiebewegung, die mittlerweile im Exil in Kanada, Australien, den USA und Großbritannien leben. Den ehemaligen Parlamentsabgeordneten und Rechtsanwälten wird unter anderem Separatismus und Untergrabung der staatlichen Ordnung vorgeworfen. Dabei haben sie de facto nur an Peking-kritischen Demonstrationen teilgenommen.

Jetzt setzten die Sicherheitsbehörden auf die acht Hongkonger ein Kopfgeld in Höhe von einer Million HK-Dollar aus. Umgerechnet sind das knapp 120.000 Euro. Die Summe ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil Hongkong selbst gegen flüchtige Mörder und Vergewaltiger nur einen Bruchteil davon erhebt.

Nationales Sicherheitsgesetz hebelt einstige Rechtsstaatlichkeit aus

Doch seit die ehemals britische Kronkolonie vor drei Jahren das umstrittene nationale Sicherheitsgesetz einführte, ist es mit der einstigen Rechtsstaatlichkeit in Hongkong vorbei. Auf Druck der Zentralregierung in China haben die Behörden politische Opposition unter Strafe gestellt: Kritische Zeitungen mussten schließen, Politiker zurücktreten und Demonstranten langjährige Haftstrafen absitzen.

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Dass Hongkongs Behörden nun Kopfgeld auf Kritiker im Exil erheben, ist eine weitere Eskalationsstufe. Ein Sprecher des Washingtoner Außenministeriums sprach unmissverständlich von einem „gefährlichen Präzedenzfall, der die Menschenrechte und Grundfreiheiten von Menschen auf der ganzen Welt bedroht“. Die chinesische Regierung hingegen wertet das Thema als rein „innere Angelegenheit“.

2019 gingen Tausende für Demokratie in Hongkong auf die Straßen. Heute sind solche Proteste nicht mehr möglich. Die meisten Aktivisten sind ins Ausland geflohen.
2019 gingen Tausende für Demokratie in Hongkong auf die Straßen. Heute sind solche Proteste nicht mehr möglich. Die meisten Aktivisten sind ins Ausland geflohen. © picture alliance / Photoshot | picture alliance / Photoshot

Wie Pekings Außenamtssprecherin Mao Ning mitteilte, solle die Welt „Hongkongs Rechtsstaatlichkeit respektieren“ und „aufhören, Kriminellen Schutz zu bieten“. Bereits Ende Juni veröffentlichte die chinesische Staatszeitung „Ta Kung Pao“ einen Leitartikel, der sich wie eine Warnung an Demokratie-Aktivisten im Ausland liest: „Glauben Sie nicht, dass Sie im Ausland tun und lassen können, was Sie wollen. Solange es auch nur die kleinsten Anzeichen von Verstößen gibt, werden Sie sich dem Gesetz nicht entziehen können“.

Chinesische Nationalisten diskutieren über Entführung aus Großbritannien

Laut Peter Dahlin, der die Organisation „Safeguard Defenders“ leitet, hat die Strafverfolgung der Hongkonger Behörden rein rechtlich keine realistische Chance auf Erfolg. Die Betroffenen seien sich ohnehin darüber bewusst, dass sie in kein Land mehr reisen können, das ein Auslieferungsabkommen mit China abgeschlossen hat. Doch die einschüchternde Botschaft der Kopfgeld-Jagd dürfte verfangen. Sie könnte bei vielen Chinesen im Ausland dazu führen, dass sie sich ins Private zurückziehen.

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Chinesische Nationalisten hingegen fühlen sich zunehmend ermutigt, die Sicherheitsansprüche ihres Heimatlandes auf eigene Faust umzusetzen. Der in Großbritannien lebende Menschenrechtsaktivist Finn Lau, der zu den acht verfolgten Hongkongern gehört, hat bereits Screenshots von chinesischen Nationalisten zugeschickt bekommen, in denen offen über seine Entführung diskutiert wird.

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