Altengrabow. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius besucht erstmals Soldaten beim Kampftraining – und muss verlorenes Vertrauen aufbauen.

Politik ist manchmal oberflächlich, reduziert auf Äußerlichkeiten. Deshalb beginnt diese Geschichte ganz unten, an den Füßen von Boris Pistorius. Der neue Minister für Verteidigung steht auf einem Feld im Nirgendwo von Sachsen-Anhalt. Der Boden ist hart gefroren, Gräser und Büsche bis in die Ferne, dazwischen ein paar Bauminseln. Spuren der Panzerketten graben sich durch die Landschaft.

Boris Pistorius trägt braune, feste Schuhe. Winterstiefel. Er hat eine Jacke der Bundeswehr übergezogen, in Flecktarn, an der Schulter die Deutschland-Fahne aufgenäht.

Ein paar Minuten zuvor hatte Pistorius mit sicherem Abstand hier auf dem Truppenübungsplatz bei Altengrabow noch beobachtet, wie Schützenpanzer vom Typ Puma über das Feld rollen. Dreck spitzt hoch, die Kanonenschüsse donnern laut, pam, pam, pam, Rauschschwaden wehen über das Feld. Panzergrenadiere springen aus der Heckklappe, gehen in Deckung, feuern aus ihren Sturmgewehren.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist zum Antrittsbesuch bei der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist zum Antrittsbesuch bei der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow. © Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Pistorius bei der Truppenübung: Fehler der Vorgängerin vermeiden

Pistorius ist seit sieben Tagen Verteidigungsminister. "Nächste Woche höre ich auf, die Tage zu zählen", sagt er. Und an seinem siebten Tag besucht der SPD-Politiker zum ersten Mal die Truppe, die Soldatinnen und Soldaten. "Nahbar" wolle er sein als oberster Chef der Bundeswehr, sagt Pistorius. Sich für die Wahrnehmung der Bundeswehr einsetzen, mit den Soldaten immer wieder direkt sprechen. Er wolle wissen, wo der Schuh drücke, "oder besser der Kampfstiefel".

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Pistorius steht an diesem Tag auch deshalb vor den Schützenpanzern, den Soldaten und drei Dutzend Journalisten, weil seine Vorgängerin im Amt, Christine Lambrecht, diese Nähe zur Truppe nicht aufbauen konnte. Nie als "eine von ihnen" wahrgenommen wurde. Jedenfalls erzählen es so Soldaten und Führungsebene im Ministerium. Pistorius betreibt jetzt eigene Imagepflege – aber will auch Vertrauen schaffen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist zum Antrittsbesuch bei der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist zum Antrittsbesuch bei der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow. © Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Als Lambrecht ein paar Monate im Amt war, besucht sie die Bundeswehr in Mali. Im afrikanischen Wüstensand grüßt Lambrecht die Soldaten, trägt einen blauen Hosenanzug und Stöckelschuhe. Die Truppe vor Ort soll sauer gewesen sein, weil die Ministerin gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen habe. Aber auch das Signal war fatal: Zehn-Zentimeter-Absätze passen nicht zum Kampfeinsatz-Modus der Mali-Truppe. Pumps fügen sich nicht ein in Korpsgeist und Kameradschaft der Bundeswehr.

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Neuer Verteidigungsminister kämpft gegen 10 Jahre Vertrauensverlust

Manchmal sind es diese Oberflächlichkeiten der Politik, auf die es auch ankommt. Gerade bei der Bundeswehr. Und vielleicht war der Lambrecht-Auftritt in Mali der Beginn einer Entfremdung zwischen Ministerspitze und Truppe, der Graben, der aufriss, und der bis zu ihrem Rücktritt vor gut einer Woche nie mehr geschlossen werden konnte.

In Altengrabow traf Boris Pistorius auf eine Truppe in voller Montur.
In Altengrabow traf Boris Pistorius auf eine Truppe in voller Montur. © Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Boris Pistorius trägt auf dem Feld von Altengrabow Stiefel, wie sie auch die Soldaten tragen. Der neue Minister will mit seinem Auftritt auf dem Übungsschlachtfeld den Sound seiner Amtszeit setzen. In Niedersachsen hat er als Innenminister eines gelernt, das ihm jetzt hilft: Ansprache an einen Apparat, der auf Führung getrimmt ist. Polizei wie Bundeswehr sind sich da sehr ähnlich.

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Doch das Vertrauen der Bundeswehr in die Politik ist seit mehr als zehn Jahren kaputt. Seit dem Ende des Kalten Krieges gab es vor allem eine Richtung, die von der Regierung vorgegeben wurde: nach unten. Runter gingen die Zahlen an Brigaden, Kasernen wurden zusammengelegt, Fahrzeuge in Masse ausgemustert, nichts nachbestellt, und die Truppe reduziert auf wenige Einsätze im Ausland.

"Kampfstiefel" statt Pumps: Pistorius zeigt sich in Camouflage

Es waren Friedenszeiten in Europa, und Minister wie zu Guttenberg und De Maizière drückten Budgets nach unten, verschlankten den Führungsstab. Unten, bei den Soldatinnen und Soldaten, kam das nicht gut an, es fehlt seitdem an vielem, nicht nur an modernen Waffensystemen, sondern auch schon an zeitgemäßen Handschuhen und Funkgeräten.

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Pistorius muss dieses Vertrauen wieder aufrichten. Jetzt in Kriegszeiten ist das Verteidigungsministerium nicht mehr nur ein behäbiger Verwaltungsapparat, es ist zentrales Ressort einer Bundesregierung, die an der Seite der Ukraine im Krieg gegen Russland stehen will. Pistorius muss Soldaten für die "Zeitenwende" motivieren, die sein Kanzler ausgerufen hat.

Kurz nach der Schießübung auf dem Feld in Altengrabow steht Pistorius vor den Panzergrenadieren, spricht zu den Soldaten. Man hört nicht genau, was er sagt, nur Wortfetzen kommen an. Sein "Anspruch" sei, "schnell Lösungen" zu finden. Er freue sich, die Übung der Soldaten persönlich kennenzulernen, ihre "Einsatzfähigkeit" sehen. Zeit für Fragen der Soldaten an den Minister bleibt nicht, Pistorius muss weiter – vor die Kameras und Mikrofone der wartenden Journalisten.

Beim ersten Kontakt mit den Soldaten konnte Pistorius Pluspunkte sammeln. Ganz im Gegensatz zu Vorgängerin Lambrecht.
Beim ersten Kontakt mit den Soldaten konnte Pistorius Pluspunkte sammeln. Ganz im Gegensatz zu Vorgängerin Lambrecht. © Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Pistorius erlebt "Déjà-vu" auf dem Truppenübungsplatz

Auch mit seiner eigenen Geschichte will Pistorius die Nähe zur Truppe aufbauen. Als er heute früh auf das Gelände des Übungsplatzes gefahren sei, habe er ein "Déjà-vu" gehabt. Aus seiner eigenen Zeit als Wehrdienstleistender bei der Bundeswehr, Anfang der Achtziger war das. "Ich bin froh, wieder bei der Truppe zu sein", sagt Pistorius.

Es gibt keine brisantere Zeit. Gerade hat die Bundesregierung nach langem Zögern die Lieferung von Leopard 2 an die Ukraine angekündigt. Ende März sollen die 14 Fahrzeuge an das ukrainische Militär übergeben werden, sagt der Minister an diesem Tag. Ab der kommenden Woche sollen Ukrainer erst an dem Schützenpanzer Marder und dann am Kampfpanzer Leopard im niedersächsischen Munster ausgebildet werden.

Wer mit Soldatinnen und Soldaten auf dem Truppenübungsplatz in Altengrabow spricht, hört viel Positives über den neuen Minister. Pistorius wirke "sehr angenehm", "nicht steif". Er habe sich die Belange der Armee angehört. Oberstleutnant Thorsten Fennel trainiert mit seinem Logistikbataillon in diesen Tagen das Schießen mit scharfer Munition hier in Sachsen-Anhalt. Der Minister kommt auch bei Fennels Leuten vorbei, schaut sich die Sturmgewehre an. "Er hat nach Unterschieden zum alten G3 aus seiner Wehrdienstzeit gefragt", sagt Fennel. Fragen zu Waffen, zu Militärtechnik und Taktik – das kommt an. Es sind Fragen, so sagen manche im politischen Berlin, für die sich die alte Ministerin nicht besonders interessiert haben soll.

Verwaltung, Truppenmoral, Gerät: Viele Baustellen für den Neuen

Einer aus dem Führungsstab in Altengrabow sagt zugleich, dass die Bundeswehr keine "Wunder" erwarten dürfe, wenn nun ein neuer in Berlin das Ministerium führe. Der Apparat ist träge, die Beschaffung von Material und Kriegsgerät langwierig und komplex. Allein bis die ersten Bestellungen aus dem Milliarden-Paket der "Zeitenwende"-Politik von Kanzler Scholz vom Parlament genehmigt waren, vergingen Monate.

In der kommenden Woche plant Boris Pistorius den nächsten Termin. Diesmal trifft er nicht die Truppe, sondern die Firmen, die die Soldaten schneller und stärker mit Waffen und Panzern ausstatten sollen, die Rüstungsindustrie. Der Minister muss zurück: vom Truppenübungsplatz ins Bürozimmer. Pistorius wechselt die Bundeswehrjacke wieder gegen das Sakko.