Brüssel. Gedrückte Stimmung in vielen Hauptstädten: Das Bild von Deutschland als Hort der Stabiliätbekommt mit der Sondierungskrise Risse.

Der französische Präsident ließ alle Zurückhaltung fahren. Mit offener Besorgnis kommentierte Emmanuel Macron am Montag die gescheiterte Regierungsbildung in Deutschland.

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, „wiegt schwer“, erklärte Macron. „Es liegt nicht in unserem Interesse, dass es zu weiteren Anspannungen kommt, denn wir müssen vorankommen“.

Noch Sonntagnacht hatte Macron mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen der neuen Lage in Berlin telefoniert – schließlich hatte der Präsident bislang darauf gebaut, mit Unterstützung einer gestärkten Kanzlerin seine europapolitischen Reformideen umsetzen zu können. Der „Hauptpartner“ Frankreichs solle stabil und stark sein, drängt Macron nun. Nicht nur in Paris herrscht Alarmstimmung.

Merkel will keine Minderheitsregierung – darum ist das klug von der Kanzlerin

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    Der niederländische Außenminister Halbe Zijlstra sprach in Brüssel von einer „schlechten Nachricht“ für Europa. Wenn Deutschland keine Regierung habe, verlangsame dies auch die Politik auf europäischer Ebene, warnte der Minister. Sein belgischer Amtskollege Didier Reynders meinte düster, Deutschland mit seinem enormen Einfluss in der EU werde sich aber ohne Regierung sehr schwer tun, Positionen zu beziehen.

    Und in Myanmar berichtete Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) nach einem Treffen europäischer und asiatischer Außenminister, alle seine Gesprächspartner schauten aufmerksam nach Berlin: „Alle haben die Hoffnung, dass Deutschland bald wieder eine stabile Regierung hat“.

    Weltweit ist die Irritation über die Vorgänge in Deutschland groß

    Bislang galt die Bundesrepublik als Hort der Stabilität in einer Welt zunehmender Unsicherheit. Während in vielen Staaten auch des Westens häufige Regierungswechsel und wachsender Einfluss radikaler Populisten längst an der Tagesordnung sind, schien auf die Deutschen Verlass. Und auf Merkel, die mit Abstand dienstälteste Regierungschefin eines großes Industriestaats, erst recht. Nun wankt auch dieser Pfeiler. Vor allem in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten herrscht Verunsicherung. Die EU steht in den nächsten Monaten vor großen Entscheidungen.

    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beschwört schon das „Fenster der Gelegenheit“, das nach den Wahlen in Deutschland und Frankreich für die entschlossene Gestaltung der europäischen Zukunft offen stehen sollte – es wird sich allerdings schon im kommenden Sommer wegen der nahenden Europawahlen 2019 wieder schließen. Ohne eine stabile deutsche Regierung dürfte der Reformmotor erst gar nicht in Gang kommen. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn mahnte am Montag deshalb schon, Europa sei dringend auf eine stabile Regierung in Deutschland angewiesen.

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      Furcht vor einer Lähmung Deutschlands

      Nicht alle teilen die Besorgnis.

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      : „Unser Land hat eine funktionsfähige Bundesregierung, die geschäftsführend im Amt ist und in der die Beteiligten ähnliche europapolitische Vorstellungen haben.“ So habe die Regierung erst letzte Woche in Brüssel mit der Pesco-Vereinbarung in der Verteidigungspolitik ein sehr ambitioniertes EU-Projekt vorangebracht, erklärt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments. Und auch für die Themen des nächsten EU-Gipfels Mitte Dezember sehe er „keine unüberwindlichen Hürden aufgrund der unübersichtlichen Lage in Berlin.“

      Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer dagegen fürchtet, die „Verantwortungslosigkeit der FDP“ lähme Deutschland in der EU. „Deutschland hat auf absehbare Zeit keine Regierung, die in der Lage ist, mit den Franzosen, mit der EU-Kommission, mit allen, die verstanden haben, dass Europa jetzt einen Aufbruch braucht, gemeinsam nach vorne zu gehen“, klagt Bütikofer.

      Auch beim Brexit stehen wichtige Entscheidungen an

      Denn auch beim EU-Gipfel im Dezember dürfte Merkel nur begrenzt sprechfähig sein. Dabei hätte es dann wirklich losgehen sollen: Die EU-Kommission will wenige Tage vorher ihre Vorschläge für eine Stärkung der Eurozone vorlegen, Investitionsbudget, europäischer Finanzminister oder europäischer Währungsfonds inklusive. Wenige Tage später sollen die Pläne – und wohl ähnliche Vorstöße von Macron – auf einem Eurozonen-Gipfel beraten werden.

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        Auch beim Brexit drängen Entscheidungen: Bislang hat es die Bundesregierung verstanden, mit Frankreichs Unterstützung eine harte Linie gegenüber Großbritannien durchzusetzen. Aber hält das? Gut möglich, dass London jetzt versucht, die Front aufzuweichen. In den nächsten Monaten muss die EU unter anderem auch eine Einigung über die umstrittene Asylrechtsreform erreichen und über die mittelfristige EU-Finanzen ohne britische Zahlungen beraten – ein Großkonflikt unter den Mitgliedstaaten steht da bevor.

        Die EU-Kommission äußert sich rücksichtsvoll

        Besonders prekär ist die Lage für Frankreichs Präsident Macron: Er will das kommende Jahr eigentlich zu einer „Neubegründung Europas“ nutzen. Ohne Merkels Hilfe wird aus seinen Plänen nichts. Allerdings: Die neue Lage bietet für den Franzosen durchaus auch Chancen. Solange Merkel gelähmt bleibt, kann Macron zwar wenig durchsetzen, aber seine Position als neuer europäischer Anführer ausbauen.

        Das Scheitern der Sondierungsgespräche stärke die Notwendigkeit für Frankreich, Initiativen zu ergreifen und „an einem ehrgeizigen europäischen Projekt zu arbeiten, das wir mit unserem deutschen Partner umsetzen werden“, erklärt der Präsident schon.

        EU-Kommission ist zuversichtlich

        Und wenn die FDP, die Macrons Reformvorschlägen zur Eurozone besonders skeptisch gegenübersteht, nun erstmal nicht mitregiert, könnte das am Ende seiner Sache sogar helfen. Lieber späte Unterstützung aus Berlin als

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        Die EU-Kommission, deren Ideen für die Eurozone ebenfalls auf Widerspruch der FDP gestoßen waren, kommentierte die Krise in Berlin auffallend rücksichtsvoll: Die Kommission sei zuversichtlich, „dass Stabilität und Kontinuität gewährleistet sein werden“, sagte der Sprecher Junckers. Ob sich die EU-Reformen jetzt verzögern würden, darüber wolle die Kommission nicht spekulieren.