Berlin. Die Verhandlungen über ein mögliches Jamaika-Bündnis im Bund gehen in die heiße Phase. Doch wie geht’s weiter, wenn sie scheitern?

Die voraussichtlich letzte Jamaika-Sondierungswoche hat am Sonntag mit Kompromisssignalen der Sondierer begonnen. Trotzdem bleibt die Liste der Streitpunkte lang: Einwanderung, Klimaschutz, Energie, Innere Sicherheit – unter anderem.

Bis zum 16. November wollen die schwarz-gelb-grünen Koalitionsunterhändler mit ihren Sondierungen fertig werden. Es bleiben also nur noch wenige Tage. Wir zeigen, was passiert, wenn Union, Grüne und FDP den Weg nach Jamaika nicht finden.

Gibt es andere Bündnisse, die die Regierung bilden könnten?

Eine neue Große Koalition hätte zumindest die erforderlichen Mehrheiten. Allerdings hat sich so ziemlich alles, was in der SPD etwas zu sagen hat, dagegen ausgesprochen. Zum Teil auch mehrfach.

Zuletzt bekräftigte Hubertus Heil, dass die Sozialdemokraten nicht an einem schwarz-roten Bündnis interessiert sind. „Wir stehen nicht als Reserve-Rad zur Verfügung. Wenn die Jamaika-Parteien nicht in der Lage sind, eine Regierung zu bilden, könnte es auf Neuwahlen hinauslaufen“, sagte der SPD-Generalsekretär dem „Focus“.

Auch die Duldung einer Minderheitsregierung lehnte Heil ab. Es stünden wichtige Entscheidungen in Europa an. Deswegen sei Deutschland mit ganzer Kraft gefragt. Da sich auch die FDP und Angela Merkel in Sachen Minderheitsregierung ähnlich äußerten, kann man dieses Szenario getrost als ausgeschlossen ansehen.

Thomas Oppermann hatte Ende September bei einem TV-Auftritt bei Markus Lanz zwar angedeutet, dass er sich eine Große Koalition für den Fall vorstellen könnte, dass sich Kanzlerin Merkel zurückzieht. Damit provozierte der abgelöste SPD-Fraktionschef allerdings umgehend lauten Widerspruch von vielen führenden Parteikollegen.

Könnten die Jamaika-Partner weitere Verhandlungsrunden ansetzen?

Theoretisch: ja. Und so lange sie wollen. Denn es gibt laut Grundgesetz kein Ultimatum, was die Bildung einer Regierung nach der Bundestagswahl angeht.

Vorgeschrieben ist nur, dass der neue Bundestag spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammen kommen muss. Dann läuft zwar auch gesetzesgemäß die Amtszeit von Regierung und Kanzlerin aus, jedoch bleiben beide geschäftsführend im Amt – Deutschland steht also nie ohne Regierung da.

Die Regierung der letzten Legislaturperiode wurde erst am 17. Dezember 2013 gebildet, 86 Tage nach der Wahl. Länger dauerte eine Regierungsbildung noch nie. Ähnlich lang dauerte die Regierungsbildung nur bei der zweiten rot-gelben Regierung unter Helmut Schmidt im Jahr 1976. Damals vergingen 73 Tage.

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    Die Deadline am 16. November ist von den Jamaika-Sondierern selbst gewählt – oder besser: Sie stammt von Angela Merkel. Am 6. November hatte die CDU-Chefin dieses Datum fixiert in einem Statement, das ihre Partei auch auf Facebook gepostet hatte.

    Allerdings ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Union, Grüne und FDP noch eine Extrarunde drehen wollen. Mehrfach hatten die Parteien darauf verwiesen, dass es ihre staatspolitische Verantwortung sei, eine Regierung zu bilden. Das entspreche dem Willen der Wähler. Das Scheitern der Verhandlungen könnte den Jamaika-Partner als Schwäche ausgelegt werden und Wählerstimmen bei einer Neuwahl kosten.

    Unabhängig davon, welches Ergebnis die Jamaika-Parteien erzielen und wie lange sie verhandeln – einen „Rekord“ haben sie schon aufgestellt: Noch nie hat es so lange nach einer Wahl gedauert, bis überhaupt Sondierungsgespräche aufgenommen wurden.

    Was passiert, wenn kein Bündnis mit Mehrheit gefunden wird?

    Im Grunde genommen sind Neuwahlen die Folge – allerdings nicht unmittelbar. Denn anders als Willy Brandt (1972), Helmut Kohl (1983) und Gerhard Schröder (2005), die jeweils nach einem verlorenen Misstrauensvotum Neuwahlen ausriefen, kann Merkel allein keine Neuwahl erwirken. Schließlich kann sie sich vom neuen Bundestag nicht anzweifeln lassen, weil sie auch nicht von ihm gewählt wurde.

    An dieser Stelle käme der Bundespräsident ins Spiel. Laut Grundgesetz muss er dem Bundestag einen Regierungschef vorschlagen und über ihn abstimmen lassen. In der Regel tut er das, wenn sich ein Parteienbündnis mit Mehrheit gefunden hat. Wenn Jamaika (und alles andere) scheitert, würde Frank-Walter Steinmeier wohl die Vorsitzende der stärksten Bundestagsfraktion vorschlagen: Angela Merkel.

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      In den ersten beiden Wahlgängen bräuchte Merkel die absolute Mehrheit, im dritten Wahlgang würde die einfache Mehrheit reichen. Sollten keine Mehrheiten zustande kommen, kann Steinmeier den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen.

      Wie würde es nach Neuwahlen weitergehen?

      Im Prinzip genauso, wie es nach den Bundestagswahlen im September auch weitergegangen ist: Wahl, Sondierungsgespräche – und dann nach Möglichkeit die Regierungsbildung. Laut Umfragen sähe das Meinungsbild nach einer Neuwahl nicht entscheidend anders aus als im September.

      Mit zunehmender Dauer der Koalitions-Sondierungen fällt allerdings gerade die Union in der Wählergunst. In einer Emnid-Umfrage stürzte sie auf den tiefsten Stand seit sechs Jahren und erreichte nur noch 30 Prozent.

      Die SPD gewinnt dagegen einen Punkt auf 22 Prozent. Auch FDP und AfD legen einen Prozentpunkt zu und kommen auf elf beziehungsweise 13 Prozent. Die Grünen verlieren einen Punkt auf zehn Prozent. Die Linke erreicht ebenfalls zehn Prozent, unverändert zur Vorwoche.

      Wie wahrscheinlich ist es, dass Jamaika scheitert?

      Nach Einschätzung des Politologen Ulrich von Alemann führt an Jamaika kein Weg vorbei. „Ein Scheitern von Jamaika halte ich für sehr unwahrscheinlich“, sagte er der „Heilbronner Stimme“. „Die deutschen Parteien sind immer noch durch die Bank, außer die AfD vielleicht, sehr staatstragend. Sie wissen genau um ihre Verantwortung und dass es im Augenblick keine Alternative zu Jamaika gibt.“

      Deshalb sei er davon überzeugt, dass ein Jamaika-Bündnis geschlossen wird. Eine Minderheitsregierung sei extrem unbeliebt in Deutschland und „keine Option“, sagte von Alemann. Dies gelte auch für Neuwahlen.

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        Auch der Politikwissenschaftler Dieter Roth, Gründer der Forschungsgruppe Wahlen, rechnet fest mit einer schwarz-gelb-grünen Regierungsbildung. „Union, Grüne und FDP sind zu dieser Koalition verdammt. Frau Merkel wird das durchsetzen“, sagte Roth bei einer Veranstaltung der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Heidelberg). Spekulationen über eine Minderheitsregierung wies der Wahlforscher zurück: „Das will die Kanzlerin mit Sicherheit nicht, dann wäre sie ja total dirigiert von den CSU-Leuten.“

        Stattdessen sei Kanzlerin Angela Merkel mit Blick auf die Machtkonstellation innerhalb der Union geradezu auf Koalitionspartner angewiesen, um ihre „sozialdemokratischen Zielsetzungen“ durchzusetzen. „Sie braucht immer auch Argumente, dass ein Koalitionspartner sie zu einer bestimmten Politik zwingt“, erklärte er nach Angaben der Zeitung auf der Veranstaltung am Mittwochabend. (ba/dpa/rtr)