Brüssel. In Berlin und Paris wachsen die Sorgen wegen der finanziellen Folgen des Brexits. Dem EU-Haushalt droht ein großes Milliardenloch.

Die neue Verhandlungsrunde zum EU-Austritt Großbritanniens hatte noch gar nicht begonnen, da dämpfte EU-Chefunterhändler Michel Barnier schon die Erwartungen: Mit großen Fortschritten sei bei den Brexit-Gesprächen an diesem Donnerstag und Freitag nicht zu rechnen, erläuterte Barnier im Kreis der EU-Kommissare.

Mit seiner Skepsis steht er nicht allein: Vor allem Deutschland und Frankreich machen nach Informationen unserer Redaktion hinter den Kulissen Druck auf London – und wollen notfalls auch eine neue Eskalation beim EU-Gipfel im Dezember in Kauf nehmen.

Fördermaßnahmen sollen kritisch überprüft werden

Dort wollten die EU-Regierungschefs eigentlich grünes Licht für die Stufe zwei der Brexit-Verhandlungen geben, also die Gespräche über die künftigen Beziehungen und vor allem über ein Freihandelsabkommen starten – sofern bis dahin ausreichend Fortschritte bei den Trennungsmodalitäten, insbesondere den britischen Zahlungsverpflichtungen erreicht sind.

Doch Paris und Berlin drängen nun bereits auf eine Notfall-Variante: Für den Gipfel sollen zwei Erklärungs-Varianten vorbereitet werden – eine für den Erfolgsfall mit dem Start der Phase zwei, eine für die erneute Vertagung, wenn die Verhandlungsfortschritte nicht ausreichen.

Doch nicht nur der schleppende Fortgang der Brexit-Verhandlungen ist inzwischen Anlass zur Sorge. Auch die finanziellen Konsequenzen aus dem britischen Austritt bereiten in Brüssel wie in Berlin zunehmend Kopfzerbrechen.

Jährlich 10,2 Milliarden werden EU-Haushalt nach Brexit fehlen

Großbritanniens Premierministerin Theresa May.
Großbritanniens Premierministerin Theresa May. © REUTERS | TOBY MELVILLE

Denn vor allem für Deutschland dürfte der Brexit teuer werden. Nach einer aktuellen Studie des EU-Parlaments, die unserer Redaktion vorliegt, werden die deutschen Steuerzahler überproportional Lasten schultern müssen. Jährlich netto 10,2 Milliarden Euro dürfte die Lücke im EU-Haushalt betragen, wenn Großbritannien die Union verlässt – knapp vier Milliarden Euro davon müsste Deutschland übernehmen, so die Studie.

Die Bundesrepublik profitiert bisher, ähnlich wie etwa die Niederlande, von Vergünstigungen bei der Beitragsberechnung, die im Zuge des „Britenrabatts“ einigen Mitgliedern gewährt worden waren. Diese Rabatte werden, das gilt als ausgemacht, nun entfallen. Die Studie warnt deshalb, der Brexit werde nicht nur die Finanzlasten der verbliebenen 27 EU-Staaten erhöhen, „er ändert auch die Verteilung dieser Lasten“.

Demnach wäre Deutschland mit einer künftigen Nettozahlung von jährlich etwa 18 Milliarden Euro mit sehr weitem Abstand der größte EU-Finanzier – auf Platz zwei würde mit etwa sieben Milliarden Euro Frankreich folgen. Wie Frankreich hätten unter anderem auch Italien und die Niederlande zusätzliche Zahlungen in der Größenordnung von ungefähr einer Milliarde zu tragen.

Auch Einsparungen werden Teile der Lücke schließen

Allerdings: So muss es nicht kommen. Die Bereitschaft der Nettozahler, die britischen Beiträge zu schultern, hält sich in engen Grenzen. Weil die EU ja auch noch zusätzliche Ausgaben etwa für Verteidigung und Sicherheit plant, dürfte mindestens ein Teil der Haushaltslücke auch durch Einsparungen geschlossen werden. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat den Deutschen schon in Aussicht gestellt, am Ende würde ihr Mehrbetrag vielleicht sogar nur bei einer Milliarde Euro jährlich liegen – was wohl doch sehr optimistisch ist.

Für einige EU-Staaten ist der Brexit eine willkommene Gelegenheit, den Finanzausgleich zwischen reicheren und ärmeren EU-Ländern grundsätzlich neu zu ordnen. Auch die Bundesregierung mahnt bereits, dass „alle Fördermaßnahmen einer kritischen Prüfung unterzogen werden“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). © dpa | Michael Kappeler

Allerdings: Auch von Kürzungen im EU-Haushalt könnte Deutschland besonders betroffen sein. Die Strukturfonds kommen zwar vor allem den osteuropäischen Ländern zugute, aber immerhin 18 Milliarden Euro erhält auch die Bundesrepublik im Zeitraum von 2014 bis 2020. Die größten Summen gehen an die neuen Länder, aber auch NRW profitiert mit knapp zwei Milliarden Euro.

Merkel sorgt sich um neue Bundesländer

Besorgt fordert Kanzlerin Angela Merkel (CDU), bei der Aufstellung des EU-Haushalts ohne Großbritannien sei darauf zu achten „dass die neuen Bundesländer und die strukturschwachen Regionen Deutschlands nicht urplötzlich völlig von allen EU-Förderungen abgeschnitten werden“. Dennoch gibt es in der Kommission auch Überlegungen, die Strukturfonds für westeuropäische Länder radikal zusammenzustreichen.

Die Bundesregierung forciert einen anderen Weg: Sie will erreichen, dass Fördergelder der EU stärker von den Staaten kofinanziert werden. Und sie will die Transfers an rechtsstaatliche Prinzipien knüpfen – Polen oder Ungarn drohten dann wohl finanzielle Einbußen.