Martin Schulz verschafft sich Zeit, um die SPD zu erneuern
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Von Philipp Neumann
Berlin. Während am Rande der Jamaika-Sondierungen über Neuwahlen diskutiert wird, versucht die SPD um Martin Schulz, sich neu auszurichten.
Als in der Pressekonferenz der Name Olaf Scholz fällt, wird Martin Schulz einsilbig. Das Interview, das sein Stellvertreter im Parteivorsitz dem „Spiegel“ gegeben hat, habe er auch gelesen, sagt der SPD-Chef. „Mit großem Interesse.“ Schulz vermeidet am Montag dann aber jede Bewertung dessen, was Scholz in dem Gespräch gesagt hat.
Der Hamburger Bürgermeister gilt als größter Kritiker von Schulz und als möglicher Konkurrent im Amt des Parteivorsitzenden. Das ganze Interview liest sich wie ein einziger Vorwurf an den gescheiterten Kanzlerkandidaten, jede Antwort ist eine Ohrfeige. „Wir hätten die Bundestagswahl gewinnen können“, sagt Scholz, was nichts anderes heißt als: Ich hätte diese Wahl gewonnen. Nur auf eines antwortet Scholz nicht, und das ist die Frage, ob er im Dezember auf dem Parteitag der SPD gegen Schulz antreten wird. Er sagt nicht, dass er kandidiert. Er sagt auch nicht, dass er es nicht tut.
Aufarbeitung des Desasters bei der Bundestagswahl
Im SPD-Präsidium, das am Montag getagt hat, meldet der Hamburger ebenfalls keinen Anspruch auf den Chefsessel an. Im Foyer des Willy-Brandt-Hauses nimmt Andrea Nahles, die neue Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Schulz sogar ausdrücklich in Schutz: Er habe „große Rückendeckung“ in der Partei und „die Zügel fest in der Hand“, sagt Nahles. Es müsse jetzt eine Aufarbeitung des Desasters bei der Bundestagswahl geben. Man dürfe nicht wieder alles unter den Teppich kehren, sie wolle „nicht wieder einen Elefanten unter dem Teppich“, sagt Nahles.
Seit Wochen diskutieren die Sozialdemokraten darüber, wie es nach dem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten weitergehen soll, und ganz offensichtlich wollen sie es mit Martin Schulz noch einmal versuchen. Der Vorsitzende selbst will sich den Delegierten auf jeden Fall zur Wiederwahl stellen. „Ich trete wieder an“, sagt Schulz. Er hoffe dabei auf eine „deutliche Mehrheit“. Im März war er noch mit 100 Prozent aller Stimmen gewählt worden. So viel wird es dieses Mal nicht werden, das weiß auch Schulz.
Mit dem Leitantrag will Schulz die SPD wieder fit machen
Wie also weiter mit der SPD? Es gehört inzwischen zu Schulz’ Markenzeichen, dass er auf diese Frage keine Antwort geben will, jedenfalls derzeit nicht. „Ich habe noch nicht auf jede Frage ne Antwort“, sagt der Vorsitzende seit Wochen schon. Am Montag hat er dennoch erste Hinweise dazu gegeben. Er hat dem Parteipräsidium den Leitantrag für den Parteitag vorgelegt, in dem die grobe Richtung steht. „Unser Weg nach vorn“ heißt das 16 Seiten lange, eng bedruckte Papier, das – ganz modern – auch mit einem in sozialen Netzwerken üblichen Schlagwort versehen ist: „#SPD erneuern“.
In dem Text benennt Schulz vier Kernthemen, zu denen er gleichzeitig viele Fragen aufwirft. „Ziel ist es, innerhalb eines Jahres bis Ende 2018 zu einer mutigen und klaren innerparteilichen programmatischen Klärung zu kommen“, heißt es beispielsweise. Diese Themen seien erstens Europa, zweitens Digitalisierung und sozialer Fortschritt, drittens Antworten auf Flucht und Migration sowie die Stärkung von Zusammenhalt und Demokratie. Auf einem Sonderparteitag Ende 2018 soll die SPD dann über den neuen Kurs entscheiden.
Mangelnde strategische, thematische und organisatorische Vorbereitung
In dem Papier übernimmt Schulz auch Verantwortung für den Absturz der SPD vor sechs Wochen auf rund 20 Prozent bei der Bundestagswahl. „Der Kanzlerkandidat und die gesamte SPD haben diese Wahl verloren“, heißt es darin. Zugleich verweist er auf eigene Erfolge wie etwa „die Begeisterung für die SPD, die wir im Februar und März nach der Kanzlerkandidatennominierung erlebt haben“. Das zielt darauf, dass die SPD kurz nach seiner Nominierung zumindest für wenige Wochen in den Umfragen kräftig aufgeholt hat.
Die Vorsitzenden der SPD seit 1946
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Die mangelnde strategische, thematische und organisatorische Vorbereitung des Wahlkampfs sei aber schließlich zur „Achillesferse“ geworden, schreibt Schulz außerdem – ein Vorwurf an den vorhergehenden SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der Schulz inthronisiert hatte, als er für sich selbst nur noch geringe Chancen als Kanzlerkandidat sah. Viel Wert will Martin Schulz in den nächsten Wochen darauf legen, die Mitglieder der Partei in den Erneuerungsprozess der Partei einzubinden. Eine breite Diskussion solle es geben, sagt er am Montag.
SPD-Mitglieder sollen über das Internet mitdiskutieren
Die Basis solle mehr Macht bekommen, das werde die gesamte SPD stärken. „Wir brauchen eine Beteiligungskultur in der Partei“, sagt Schulz. Er wolle die Strukturen der Partei nicht hinterfragen, aber ergänzen. Konkret denkt Schulz daran, Mitglieder über das Internet mitdiskutieren zu lassen, obwohl sie nicht an den klassischen Ortsvereinssitzungen teilnehmen können, weil sie sich etwa um die Familie kümmern müssen. Die SPD soll eine Online-Diskussionskultur entwickeln.
Der spannendste Teil der Organisationsreform aber ist die direkte Wahl des Parteivorsitzenden, über die Schulz nachdenkt. Bisher können die SPD-Mitglieder schon über den Kanzlerkandidaten entscheiden. Ab 2019 könne es mit der Vorsitzendenwahl so weit sein, sagt Schulz. Er jedenfalls habe „eine gewisse Sympathie dafür“. Auf den Veranstaltungen zur Zukunft der Partei, die er in den vergangenen beiden Wochen besucht habe, hätten ihm viele SPD-Mitglieder gesagt, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen. Sie hätten das Gefühl, bei Personalentscheidungen nichts zu sagen zu haben.
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Scharping verlor als Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl
Nicht alle in der Parteiführung, das gibt Schulz zu, sind begeistert von der direkten Demokratie in der Partei. So soll unter anderem der scheidende Generalsekretär Hubertus Heil auf rechtliche Probleme hingewiesen haben. Auch Schulz sagt in der Pressekonferenz am Montag, dass das Parteienrecht es erfordere, dass ein Vorsitzender von einem Parteitag gewählt wird. Neu an der bisher schon möglichen Mitgliederbefragung sei nur ein zweiter Wahlgang. Damit wäre die SPD nicht viel weiter als schon 1993, als Rudolf Scharping von den Mitgliedern zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Auch damals musste ein Parteitag das Ergebnis absegnen. Eine glückliche Wahl war das nicht: Scharping verlor anschließend als Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl.
Bei der Basis dürfte Schulz mit seinem Vorschlag hingegen Punkte machen. Auch der nordrhein-westfälische SPD-Chef Michael Groschek unterstützt den Vorschlag: „Ich persönlich bin immer dafür, das Prinzip ‚Basis statt Basta‘ zu stärken.“ Wie beliebt Schulz’ innerparteiliche Gegner in der Partei sind, wird der Parteitag zeigen, wenn er die Stellvertreter des Parteichefs wählt. „Ich begrüße es, wenn Olaf Scholz wieder kandidierte“, sagt Schulz nur.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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