Berlin. In der ersten Sitzung des neuen Bundestags droht Streit: Der AfD-Kandidat für das Parlamentspräsidium könnte bei der Wahl durchfallen.

Viermal haben sie es versucht, doch der Kandidat fiel durch: Als die Linkspartei vor zwölf Jahren Lothar Bisky ins Bundestagspräsidium wählen wollte, scheiterte sie am Unwillen der anderen Fraktionen.

AfD-Kandidat Al­brecht Glaser könnte es genauso ergehen: An diesem Dienstag kommt der neue Bundestag zu seiner ersten Sitzung zusammen, gleich zu Anfang wählen die Abgeordneten einen Präsidenten und dessen sechs Stellvertreter. Glaser wird voraussichtlich nicht genügend Stimmen bekommen. Es ist ein Eklat mit Ansage.

Glaser: Islam kennt keine Religionsfreiheit

„Ich empfehle, mit der AfD umzugehen wie damals mit der Linkspartei“, sagt Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, gegenüber unserer Redaktion. Damals blieb der Vizeposten nach Biskys Scheitern ein halbes Jahr unbesetzt.

Die Linke stellte dann mit Petra Pau eine neue Kandidatin auf, die weniger polarisierte, sie bekam auf Anhieb genügend Stimmen. Auch diesmal spricht niemand der AfD ihr Recht auf einen Vizeposten im Bundestagspräsidium ab. Die Ablehnung richtet sich vielmehr konkret gegen Glaser und dessen Äußerungen zum Islam. Der 75-Jährige hatte erklärt, der Islam kenne keine Religionsfreiheit und habe deshalb selbst kein Recht darauf.

Für viele Abgeordnete ist Glaser nicht wählbar

„Für mich steht fest, dass ich Herrn Glaser nicht wählen werde“, sagt Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Auch Grünen-Parteichef Cem Özdemir sieht das so. Sie sind nicht die Einzigen: Etliche Politiker von Union, SPD, Grünen, Linke und FDP halten den früheren Stadtkämmerer von Frankfurt, der bis 2012 CDU-Mitglied war, für den Falschen. Die meisten Fraktionen verzichten aber auf einen formalen Beschluss. „Demokraten wählen Demokraten. Wer darunter fällt, das muss jeder Abgeordnete mit sich selbst ausmachen“, sagt FDP-Fraktionsmanager Buschmann.

Um den Fall nicht zu eskalieren, hatte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles Glaser einen Brief geschrieben und Klarheit über dessen Islam-Zitate gefordert. „Wir haben ihn gefragt, ob er immer noch zu seinen Aussagen steht. Bislang hat er nicht geantwortet“, sagte Nahles am Sonntag. Am Montag bot Glaser schließlich ein Gespräch über seine Sicht an, nun lehnte Nahles ab.

Gauland will seinen Kandidaten auch ein zweites Mal aufstellen

Die AfD lässt es darauf ankommen. Sollte Glaser im ersten Wahlgang scheitern, will ihn Fraktionschef Alexander Gauland erneut aufstellen. Sollte der AfD-Mann endgültig durchfallen, so fürchten viele, werden seine Leute das ausschlachten: als Bestätigung der Außenseiterrolle, die die AfD nur zu gern einnimmt. Es dürfte nur der Auftakt für ein schwieriges Verhältnis im Parlament werden.

Einig sind sich daher die meisten, dass mit CDU-Politiker Wolfgang Schäuble der richtige Politiker­typus Bundestagspräsident wird: Der 75-Jährige ist durchsetzungsstark, schlagfertig und genießt über Parteigrenzen hinweg Respekt. Als Stellvertreter wollen die Fraktionen Hans-Peter Friedrich (CSU), Claudia Roth (Grüne) und Petra Pau (Linke) ins Präsidium schicken. Die FDP hat Wolfgang Kubicki nominiert. Die Liberalen halten Kubicki und Schäuble für ein ideales Gespann, um die AfD „in die Zange“ zu nehmen: „Der eine mit frechen Bemerkungen und Humor und der andere mit Staatsklugheit und Geschichtsbewusstsein.“

Diese Rechte haben Fraktionen

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    Die Abgeordneten des neuen Bundestages in einer interaktiven Fotostrecke: