Rom. Das Referendum in Norditalien bestätigt den Wunsch nach mehr Autonomie. Doch ob die Regierung in Rom dabei mitspielt, ist fraglich.

Die weltweite Aufmerksamkeit für die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen hat viele Wähler Norditaliens motiviert, am Autonomie-Referendum teilzunehmen. Die Wahlbeteiligung lag in den beiden wirtschaftsstarken Regionen Lombardei und Venetien weit über den Erwartungen der Initiatoren, die unter dem Motto „Wir wollen mehr Unabhängigkeit von Rom“ zur Wahl aufriefen. Dennoch werden sie damit nicht automatisch den Sonderstatus als autonome Regionen wie Sardinien, Sizilien, das Aostatal, Südtirol und Friaul erhalten.

In Mailand und Umgebung stimmten 40 Prozent der Wahlberechtigten ab. Regionalpräsident Roberto Maroni hatte sicherheitshalber darauf verzichtet, eine Mindestbeteiligung für eine Gültigkeit des Referendums vorzuschreiben. Er hatte vorsichtig bereits im Vorfeld 34 Prozent Wahlbeteiligung als Zielmarke für einen Erfolg ausgegeben.

Initiatoren vergleichen das Ergebnis mit dem Fall der Berliner Mauer

In Venetien mit den Touristenhochburgen Venedig und Verona lag die Wahlbeteiligung bei 57 Prozent. Regionalpräsident Luca Zaia nannte das Ergebnis einen „Big Bang“ und verglich ihn mit dem Fall der Berliner Mauer, mit dem zuvor auch niemand gerechnet habe. In beiden Regionen stimmten mehr als 95 Prozent für Verhandlungen mit der römischen Zentralregierung über mehr Autonomie.

Vom Wahlerfolg beflügelt, verkündete Zaia bereits siegesgewiss: „Wir wollen neun Zehntel der Steuern behalten“. Dabei ist das Referendum für die Zentralregierung nicht bindend und gehört der Länderfinanzausgleich nicht zu den 23 Themen, bei denen die Regionen Forderungen an Rom durchsetzen können. Mehr Kompetenzen könnte dagegen in Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Katastrophenschutz auf die Regionen übergehen. Als Erfolg des Referendums verbuchen die Befürworter von mehr Autonomie jedoch, dass sie durch das Votum gestärkt in Verhandlungen mit Rom treten können.

Gegner des Referendums sehen Geldverschwendung

Die Lega Nord, die in der Lombardei und in Venetien regiert, hatte mit der Forderung, mehr Steuern in den Regionen zu behalten, indes Wahlkampf für das Referendum gemacht. Den Erfolg der Abstimmung verbuchten dennoch auch jedoch die Demokraten von Ministerpräsident Paolo Gentiloni und die oppositionelle Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo für sich. Beide hatten ebenfalls für ein Ja beim Referendum geworben.

Gegner des Referendums sehen eine Verschwendung von öffentlichem Geld. Man hätte lieber in Straßen oder Schulen investieren sollen. „Rechtlich ist ein Referendum nicht notwendig, um bei der Zentralregierung in Rom ein Autonomiegesuch einzubringen“, erklärt Jan Labitzke, Politikwissenschaftler und Italienexperte der Universität Gießen. „Die Verfassungsgrundlage wurde von der Mitte-links-Regierung bereits 2001 geschaffen.“ Labitzke bewertet das Referendum als wirksame Öffentlichkeitsarbeit der Lega Nord. Deren Politiker erhoffen sich durch das Referendum einen Popularitätsschub. Bei Umfragen liegt die Partei momentan bei etwa 15 Prozent.

Nun stehen mehrere Wahlen in Italien an

Bei der Verteilung der Kompetenzen und Steuern wird sich in Italien trotz Referendums so bald nichts ändern. Zunächst wartet man die Ergebnisse der Parlamentswahlen im kommenden Mai ab. Danach wird im Juni das regionale Parlament in der Lombardei gewählt.

Haben sich die Verhandlungspartner auf einen möglichen Kompromiss geeinigt, muss dieser Beschluss mit einer absoluten Mehrheit des Senats und des Abgeordnetenhauses genehmigt werden. „Bevor irgendwelche Ergebnisse vorliegen, wird noch eine ganze Zeit vergehen“, bestätigt Labitzke.

Keine Unabhängigkeit wie in Katalonien

Für die Rolle Italiens in der EU spielt das Referendum keine Rolle. Würden alle Forderungen der Lega Nord umgesetzt, hätte zwar eine steuerliche Autonomie Auswirkungen auf den italienischen Staatshaushalt, doch in Rom hat die Regierung vor, Schulden gegenüber der EU abzubauen und wird daher nicht auf alle Wünsche eingehen.

Anders als in Katalonien, strebt weder ein Großteil der Bevölkerung noch die Lega Nord eine Unabhängigkeit der nördlichen Regionen an. Lega Nord-Chef Matteo Salvini spricht nicht mehr von einer Unabhängigkeit Norditaliens. Das würde die Wählerschaft im ärmeren Süden des Landes verschrecken. Dort wirbt Salvini mit der „Noi con Salvini“ („Wir mit Salvini“) um Wählerstimmen. Von Autonomie ist dann nicht die Rede. Ohne Geld aus Rom kommt man hier nicht weit.