Brüssel. Der Erfolg der ÖVP könnte erhebliche Folgen für die EU haben. Eine Einigung in der Flüchtlingspolitik dürfte noch schwieriger werden.

Nach der Wahl in Österreich fielen die offiziellen Reaktionen in Brüssel am Montag verhalten-freundlich aus. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mahnte den konservativen Wahlsieger Sebastian Kurz zwar zur Bildung einer proeuropäischen Regierung. Doch schrieb Juncker dem ÖVP-Chef auch: „Ich freue mich auf die künftige Zusammenarbeit.“ Die Aussicht, dass Kurz eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ eingehen könnte, löst in Brüssel keinen Aufschrei mehr aus – anders als im Jahr 2000, als die EU zur Strafe für die erste ÖVP/FPÖ-Koalition Sanktionen gegen Österreich verhängte.

Einerseits ist die FPÖ im Vergleich zu damals rhetorisch zahmer, rechtsnationale Töne hört man andererseits sowieso schon in anderen, osteuropäischen Regierungen. Doch auch wenn Proteste jetzt ausbleiben – dass der Rechtsruck in Österreich, gar eine schwarz-blaue Koalition, erhebliche Folgen für die Politik der EU haben könnte, ist in Brüssel jetzt allgegenwärtiges Thema. Im Blickpunkt steht vor allem die Flüchtlingspolitik: Kurz sieht sich bislang als Vorreiter für einen deutlich rigideren Kurs in ganz Europa.

EU-Kommission will das Asylsystem reformieren

Kurz will illegale Migration unterbinden und dafür eine „Obergrenze null“ durchsetzen – was auch heißt, die Mittelmeerroute zu schließen und Bootsflüchtlinge sofort nach Afrika abzuschieben. Verfolgte sollen nur Asyl in Österreich erhalten, wenn sie durch ein Resettlement-Programm außerhalb der EU, etwa in Nordafrika, ausgewählt wurden. Solche Positionen werden bisher von Polen, Ungarn oder Tschechien vertreten – dieses Lager kann jetzt auf Unterstützung aus Wien hoffen beim Widerstand gegen den Kurs, Flüchtlinge solidarisch auf die Mitgliedsländer zu verteilen.

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    Bislang will die EU-Kommission das Asylsystem zwar reformieren, aber das Recht auf Asyl nicht antasten. Nach ihrem Vorschlag sollen Migranten auch künftig dort Asyl beantragen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten. Zugleich soll aber künftig ein Korrekturmechanismus dafür sorgen, dass bei großen Flüchtlingszahlen auch die anderen EU-Länder Menschen aufnehmen. Schon jetzt ziehen sich die Verhandlungen der Mitgliedstaaten über die Asylreform in die Länge, die Bundesregierung ist alarmiert – Berlin drängt, die Konsenssuche allenfalls noch bis Jahresende laufen zu lassen.

    Kurz ist Merkels Gegenspieler in der Flüchtlingspolitik

    Kurz dürfte diesen Plan durcheinanderbringen. Eine unangenehme Wende auch für Kanzlerin Angela Merkel. Sie bekommt mit Kurz einen entschlossenen Gegenspieler in der Flüchtlingspolitik. Zwar gratulierte Merkel Kurz noch am Wahlabend, und der versprach, die gute Zusammenarbeit der ÖVP mit CDU und CSU solle weiter gepflegt werden.

    Aber der ÖVP-Chef hat Merkel auch schon wegen ihrer Flüchtlingspolitik angegriffen und ihr indirekt vorgeworfen, mit vermeintlich moralischer Überlegenheit andere EU-Staaten „wie Mitglieder zweiter Klasse“ behandelt zu haben. Die Kanzlerin will weiter eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise – was sowohl den Schutz der Außengrenzen umfasst als auch eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge in der EU.

    Kurz steht für ein Europa der Nationalstaaten

    Es ist nicht der einzige Konfliktpunkt: Auch in der Frage, ob sich die EU-Staaten nach dem Brexit zu einer engeren Kooperation entschließen und Reformen für die Währungsunion voranbringen, droht mit Österreich nun Streit – spätestens, wenn Wien im zweiten Halbjahr 2018 mit dem EU-Ratsvorsitz seine Positionen dominant vertreten wird.

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      Kurz selbst will ein Europa, in dem die Nationalstaaten wieder mehr Spielraum haben. Der mögliche Koalitionspartner FPÖ setzt sogar auf ein enges Bündnis mit Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei. „Wenn sich hier eine neue Visegrad-Achse formiert, wäre das für die EU brandgefährlich“, warnt der Chef der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, Jens Geier.

      Rechtspopulisten in ganz Europa dürften Auftrieb bekommen

      Die Spaltung, die die EU seit Längerem erlebt, könnte sich vertiefen – ein Rückschlag auch für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und für Juncker, die die Integration der EU voranbringen wollen. Möglich, dass sich da jetzt die Gewichte verschieben. Aber Optimisten in Brüssel, vor allem bei den Konservativen, sehen noch wenig Anlass zur Besorgnis.

      Kurz sei ein Proeuropäer, versichert der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber. Der FDP-Europapolitiker Graf Lambsdorff meint, Kurz vertrete zwar harte Positionen, man könne aber grundsätzlich auf europäischer Ebene mit ihm arbeiten. Kurz habe sich in Brüssel zudem als „Pragmatiker“ erwiesen, berichten EU-Diplomaten.

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      Sorgen bereitet aber auch manchem Optimisten das Signal, das vom Wahlerfolg und der möglichen Regierungsbeteiligung der FPÖ ausgeht: Es dürfte Rechtspopulisten in ganz Europa Auftrieb geben. Die ausländerfeindliche Lega Nord in Italien feiert jetzt den Erfolg des „guten Verbündeten“ in Wien und sieht ihn als Signal für die italienische Parlamentswahl im Frühjahr. Nach neuen Umfragen wird dann auch Italien nach rechts rücken.